Insolvenzverfahren Sind Autohäuser die neuen Bäckereien?

Ein Mann sitzt auf einem untergehenden Firmengebäude. Quelle: imago images

Diesel-Skandal, Online-Boom und Ärger mit den Herstellern – Autohändler kämpfen mit einem gefährlichen Mix an Problemen. Die Insolvenzzahlen dürften steigen.

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Willy Tiedtke galt lange Zeit als eine Art Institution im Autohandel. Seit 1935 ist Hamburgs ältester VW-Vertragshändler bereits im Geschäft und zählt zu den 100 größten Autohändlern des Landes. Vergangenen Dienstag ging dem Anbieter für Audi-, VW- und Skoda-Fahrzeuge jedoch die Puste aus. Das Unternehmen mit 300 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von zuletzt rund 150 Millionen Euro Umsatz stellte beim Amtsgericht Hamburg Insolvenzantrag in Eigenverwaltung. Die erfahrenen Sanierer Thorsten Bieg, Gerrit Hölzle und Marc Odebrecht sollen nun die Geschäftsführung unterstützen und retten, was zu retten ist. Die Juristen sind Partner der Wirtschaftskanzlei Görg, die zu den führenden Insolvenzkanzleien Deutschlands zählt.

Ziel sei eine Sanierung oder der kurzfristige Verkauf, kündigte Hölzle bereits an. Am Montag soll ein Krisen-Treffen bei VW in Wolfsburg geplant sein. Als vorläufiger Sachwalter beaufsichtigt Nils Krause von Schultze & Braun die Mission.

Einsätze wie diese dürften sich in den kommenden Monaten häufen. Galten lange Zeit Bäckereiverfahren – im Norden gern auch Schiffs-KGs – als Treiber des Insolvenzgeschehens, könnte nun der Autohandel eine führende Rolle in der Pleitenstatistik übernehmen. Darauf deuten bereits Daten des Karlsruher Insolvenzdienstleisters STP-Portal hin.

„Es gibt einen Anstieg bei den eröffneten Insolvenzen“, konstatiert STP-Portal-Chef Jens Décieux. Nach seinen Daten wurden in den ersten neun Monaten 2018 bereits 1943 Verfahren im Bereich Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen eröffnet. Im Vorjahreszeitraum waren es 1890. Und das dürfte erst der Anfang sein. Das Problem: „Alle Hersteller und damit deren Händler stehen vor der Herausforderung, dass alle Fahrzeuge, die ab dem 1. September 2018 verkauft werden, nach einer neuen Norm bei der Abgasuntersuchung zugelassen sein müssen“, erklärt Tobias Hirte, Experte für den Autohandel bei Schultze & Braun. Und bei der Umsetzung dieser Anforderungen hängen deutsche Hersteller mitunter deutlich zurück. „Bei einigen Marken sind mehr als zwei Drittel der Modelle überhaupt nicht verfügbar“, sagt Hirte. „So konnten mitunter bei Porsche-Händlern gar keine Neufahrzeuge bestellt werden.“ Und ohne Fahrzeuge kein Umsatz. Zudem sei der Verkauf im Vorfeld des Stichtags durch umfangreiche Rabatte angekurbelt worden. All das „sorgt natürlich dafür, dass den Händlern einiges an Liquidität fehlen kann, und es ist mit dem Blick auf diese Entwicklung alles andere als unwahrscheinlich, dass es im Kfz-Handel vermehrt zu Krisensituationen, mitunter auch zu Insolvenzen kommen wird“, erwartet Hirte.

Havarien vom Willy-Tiedtke-Kaliber dürften dabei aber zunächst Ausnahmen bleiben. „Es trifft vor allem kleinere Autohäuser“, sagt Décieux. Ihre finanziellen Ressourcen sind oft ohnehin schon strapaziert, tiefgreifende strukturelle Veränderungen haben in ihren Bilanzen bereits tiefe Spuren hinterlassen und ihre Krisenanfälligkeit erhöht.

„Der Diesel-Kompromiss kann für viele Händler existenzbedrohend werden“

So werden Autos mittlerweile häufiger Online gekauft und mitunter sogar per Softwareupdate gewartet. Zudem bröckelt das traditionelle Bündnis zwischen Händlern und Herstellern. BMW konnte einen Streit mit seinen Vertriebspartnern gerade noch beenden, bevor die Lage eskalierte. Doch auch Anbieter wie VW und Opel haben bereits vor einiger Zeit zur Neustrukturierung des Händlernetzes ihren Vertragshändlern flächendeckend die Verträge gekündigt. Nur mit einigen Händlern sollen neue markengebundene Verträge geschlossen werden. Vor allem aber schlägt der Dieselskandal ins Kontor. Nicht nur das schleppende Neuwagengeschäft sondern auch durch den Wertverlust bei Leasing-Fahrzeugen. In der Regel müssen die Autohäuser die Wagen nach Vertragsende zu festgelegten Preisen zurücknehmen. Preise, die am Gebrauchtmarkt für Diesel derzeit nicht mehr zu erzielen sind. Auf den Verlusten bleiben die Händler sitzen.

Dies habe auch bei Willy Tiedtke, genau wie bei anderen Autohäusern, zu Umsatzeinbußen geführt und so die Situation verschärft, gab Sanierungsexperte Hölzle zu Protokoll. Auch bei der Insolvenz des Autohauses Weihrauch, das das Bremer Umland mehr als 30 Jahre mit Autos der Marken Volkswagen und Audi mobilisiert hat, spielte die Abgasaffäre eine Rolle. „Die Verluste beim Wiederverkauf der geleasten Dieselautos waren signifikant“, sagte der ehemalige Besitzer Volker Weihrauch der WirtschaftsWoche. Insolvenzverwalter Christian Willmer von WillmerKöster, der bei Weihrauch im Einsatz war, geht davon aus, dass es aufgrund der Dieselproblematik zu weiteren Insolvenzen in der Branche kommen wird.

Langfristig womöglich noch entscheidender: Vor allem in den Metropolen verzichten immer mehr Menschen auf ein eigenes Auto, setzen auf Carsharing-Modelle, Lieferdienste oder schlicht das Fahrrad. Und selbst die E-Mobilität taugt nicht als Hoffnungsträger für Händler und Werkstattbetriebe. Elektroautos werden verstärkt online verkauft und gelten als weniger wartungsintensiv.

Das kosten Elektroautos aus zweiter Hand
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