
Für den VW-Skandal sind Manager und Ingenieure bei Volkswagen verantwortlich. Sie haben sich für den leichten und kostengünstigen Weg – bei der Zulassung betrügen – entschieden, statt mit Innovationskraft und den nötigen Investitionen brauchbare Technik auf die Straße zu bringen. Allerdings: Politiker in Berlin und Brüssel haben ein Klima geschaffen, in denen Tricksereien und Betrug erst so richtig gedeihen konnten.
Nach Enthüllungen der WirtschaftsWoche über die Rolle der Politik im VW-Skandal fordern Politiker und Umweltverbände nun Konsequenzen. So fordert etwa die Grünen-Fraktion im EU-Parlament die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zur Rolle der EU-Kommission und der nationalen Regierungen im VW-Skandal.
Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter kritisiert Bundeskanzlerin Angela Merkel scharf: „Nach dieser Enthüllung klingen die Beteuerungen, die Bundesregierung habe von den Manipulationen bei VW nichts geahnt, noch unglaubwürdiger als zuvor.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel war nach Informationen der WirtschaftsWoche frühzeitig über die für US-Grenzwerte zu hohen Stickoxid-Emissionen deutscher Autohersteller informiert. Im Rahmen eines Staatsbesuchs traf sich Merkel am 14. April 2010 mit dem damaligen kalifornischen Gouverneur Arnold Schwarzenegger zu einer vertraulichen Unterredung im Four Seasons Hotel in Beverly Hills im US-Bundesstaat Kalifornien. Schwarzenegger wurde damals begleitet von der Chefin der kalifornischen Umweltbehörde CARB, Mary Nichols.
"Überraschend, dass Merkel etwas über die Stickoxid-Probleme wusste“
Merkels „erster Kommentar, nachdem die Türen geschlossen worden waren, war eine Beschwerde an mich“, so Nichols gegenüber der WirtschaftsWoche. „Kalifornien mit seinen sehr strengen Stickoxid-Grenzwerten schadet den deutschen Autoherstellern“, habe Merkel sie angegriffen. „Es war für mich sehr überraschend, dass die Bundeskanzlerin überhaupt etwas über diese spezifischen Stickoxid-Probleme der deutschen Hersteller wusste.“
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Erstaunlich sei aber auch der vehemente Vorstoß gegen kalifornisches Umweltrecht gewesen: „Eine ähnliche Intervention eines Politikers gegen unsere Umweltgesetze hatte ich weder zuvor nach in der Zeit danach noch einmal erlebt“, so Nichols gegenüber der WirtschaftsWoche. Eine Sprecherin der Bundesregierung erklärte zu den Erinnerungen von Behördenchefin Nichols lediglich: „Wir geben über nicht öffentliche Gespräche der Bundeskanzlerin grundsätzlich keine Auskunft.“