Nach der Verhaftung von Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn in Japan fordert die französische Regierung für Renault eine kommissarische Führung. „Herr Ghosn ist heute nicht in der Lage, das Unternehmen zu führen“, sagte Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire am Dienstag dem Radionachrichtensender Franceinfo.
Le Maire hat in der Krise ein gewichtiges Wort mitzureden, denn der französische Staat hält 15 Prozent der Anteile bei Renault. Die Regierung betreibe nicht die förmliche Ablösung des Topmanagers, sagte Le Maire. „Wir haben keine Beweise.“ Der Renault-Verwaltungsrat sollte sich nach Auffassung Le Maires „in den kommenden Stunden“ zusammenfinden, um eine kommissarische Führung für das Unternehmen zu bestimmen. Die Weichen sollten nach dem Willen der Regierung bei einer Verwaltungsratssitzung am Dienstagabend gestellt werden. Nach Informationen der französischen Nachrichtenagentur AFP dürfte der Autobauer kommissarisch von einem Manager-Duo gesteuert werden: Im Gespräch seien Vize-Generaldirektor Thierry Bolloré - bisher nach Ghosn die Nummer zwei im Konzern - und Verwaltungsratsmitglied Philippe Lagayette. Eine Bestätigung war dazu zunächst nicht zu erhalten. An der Börse in Japan gerieten die Aktien von Nissan und Mitsubishi Motors unter Druck.
Ghosn war am Montag wegen mutmaßlicher Verstöße gegen Börsenauflagen verhaftet worden. Internen Ermittlungen zufolge sollen Ghosn und ein weiterer Manager ihre Geldbezüge in offiziellen Berichten an die japanische Börse falsch dargestellt und in Ghosns Fall zu niedrig beziffert haben. Medien hatten berichtet, Ghosn habe seit 2011 über einen Zeitraum von fünf Jahren insgesamt 5 Milliarden Yen (rund 40 Millionen Euro) Einkommen zu wenig angegeben. Japanische Behörden verhafteten den 64-Jährigen am Montag.
Die Ergebnisse der internen Untersuchung hätten neben fehlerhaften Einkommensangaben weiteres Fehlverhalten von Ghosn ans Tageslicht befördert – darunter den persönlichen Gebrauch von Firmeneigentum. Die japanischen Strafverfolgungsbehörden seien von Nissan unterrichtet worden, das Unternehmen kooperiere in vollem Umfang. Von Renault hieß es, der Verwaltungsrat erwarte genauere Informationen von Ghosn. Die Franzosen stünden zu der Allianz.
Automanager Carlos Ghosn: Frankreichs „Kostenkiller“
Nissan kennt Ghosn, der sieben Sprachen sprechen soll, bestens. 1999, also vor knapp 20 Jahren, managte er den Einstieg von Renault bei dem japanischen Autobauer. Das Unternehmen hatte damals große finanzielle Schwierigkeiten und schlug dann einen Sanierungskurs ein. Die Konzerne sind durch Überkreuz-Beteiligungen miteinander verbunden.
Bei Renault übernahm Ghosn dann 2005 den Chefposten von Vorgänger Louis Schweitzer. Sein Umbauplan führte in Frankreich zu viel Widerspruch. Der französische Staat hat bei dem Unternehmen immer noch gewichtigen Einfluss, er hält 15 Prozent der Anteile.
Die Hauptaufgaben des 64-Jährigen mit Wurzeln im Libanon: die Strategie des Konzerns lenken, einen Nachfolge-Plan vorantreiben und die komplexe Allianz mit den japanischen Autobauern Nissan und Mitsubishi absichern. Ghosn ist bisher insbesondere für dieses globale Bündnis der Dreh- und Angelpunkt.
Erst zu Beginn 2018 bekam der in Brasilien geborene Vorstandschef eine Vertragsverlängerung bis 2022. Die Hauptaufgaben des 64-Jährigen mit Wurzeln im Libanon: die Strategie des Konzerns lenken, einen Nachfolge-Plan vorantreiben und die komplexe Allianz mit den japanischen Autobauern Nissan und Mitsubishi absichern. Ghosn ist bisher insbesondere für dieses globale Bündnis der Dreh- und Angelpunkt.
Mit der jüngsten Vertragsverlängerung akzeptierte Ghosn, dass sein Gehalt um 30 Prozent gekürzt wird. Der Manager selbst begründete dies damit, dass er die Steuerung des operativen Geschäfts abgebe. Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire sagte seinerzeit jedoch in einem Interview: „Ich habe Herrn Ghosn sehr klar gesagt, dass wir nicht für einen Chef stimmen können, der eine so hohe Vergütung bekommt.“
Ghosns Gehalt war in der Vergangenheit immer wieder Anlass zu Reibereien mit der Regierung in Paris gewesen. Die Nachrichtenagentur AFP zitierte eine Expertenschätzung, wonach Ghosn im vergangenen Jahr an der Spitze der Renault-Nissan-Mitsubishi-Allianz rund 13 Millionen Euro erhalten habe.
Ghosn ist bei den Japanern derzeit Verwaltungsratschef und bei Renault in Frankreich Vorstandschef. Außerdem führt er die gemeinsame weitreichende Allianz der beiden Autobauer, die überkreuz aneinander beteiligt sind. Nissan sprach von ernsthaftem Fehlverhalten des in Brasilien geborenen Managers und will ihn wegen Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht am Donnerstag feuern, wie Vorstandschef Hiroto Saikawa auf einer Pressekonferenz in Tokio ankündigte.
Er bestätigte die Verhaftung Ghosns und sagte, dass zu viel Machtkonzentration zu dem Fehlverhalten beigetragen habe – und sprach von „dunklen Seiten“ der jahrelangen Führungsmacht Ghosns. Dessen „negatives Vermächtnis“ müsse Nissan nun beiseite räumen. Die Allianz mit Renault dürfe aber nicht nur von einer Person abhängen. Saikawa entschuldigte sich im Namen von Nissan für die Vorfälle und drückte seine „starke Enttäuschung“ aus.
Ghosn hatte 1999 – von Renault kommend – den Chef-Sessel bei Nissan übernommen, um den verschuldeten Konzern aus der Krise zu führen. 2005 war er dann auch an die Spitze von Renault gelangt. Bei Nissan gab Ghosn den Posten des Vorstandsvorsitzenden zuletzt ab, blieb aber Verwaltungsratschef.
Mit dem Skandal droht ein schillernder Manager zu stürzen, auf den das Konglomerat aus Renault, Nissan und Mitsubishi zugeschnitten ist. Ghosn gilt als Mann des alten Schlags, inszeniert sich gern als Macher. Er ist extrem selbstbewusst. In Fragerunden und Pressekonferenzen dominiert er die Bühne – kann aber auch ungemütlich werden, wenn ihm die Fragen nicht passen.
Zusammen mit dem im Juli gestorbenen Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne galt Ghosn als eine der charismatischsten Figuren der Autoindustrie überhaupt. Nun könnte er über das stolpern, was ihm schon öfter Ärger und Unmut einbrachte: sein Gehalt.
Die Höhe der Bezüge hatte in der Vergangenheit immer wieder für Auseinandersetzungen mit dem französischen Staat gesorgt, der mit 15 Prozent an Renault beteiligt ist. Sein Vertrag als Renault-Chef war erst im Februar um vier Jahre verlängert worden – unter der Maßgabe, einen geeigneten Nachfolger zu finden. Der heutige Staatspräsident Emmanuel Macron hatte den Autobauer im Jahr 2016 in seiner damaligen Funktion als Wirtschaftsminister beim Thema Managergehälter unter Druck gesetzt, woraufhin Ghosn Zugeständnisse machte. Auch bei der neuerlichen Vertragsverlängerung nahm Ghosn laut Regierungsmitgliedern Einbußen in Kauf.
Ob er seinen Posten als Renault-Chef halten kann, dürfte nun scharf diskutiert werden – auch in der französischen Politik. Macron befand in Brüssel, es sei noch zu früh, die Affäre um Ghosn im Einzelnen zu kommentieren. „Der Staat wird hingegen als Aktionär äußerst wachsam sein im Hinblick auf die Stabilität der Allianz und der Gruppe“, sagte er auch mit Blick auf die Beschäftigten.
Die Renault-Aktien stürzten am Montag in Paris zeitweise um 15 Prozent auf den tiefsten Stand seit mehr als vier Jahren. An der japanischen Börse verlor der Nissan-Titel am Dienstag zeitweise gut 6 Prozent und notierte um 11.30 Uhr Ortszeit mit einem Minus von 4 Prozent bei 962 Yen. Der Autobauer Mitsubishi Motors, dessen Präsident Spitzenmanager Ghosn ist, verlor 7 Prozent auf 678 Yen.
Mit der Allianz aus Renault und Nissan sowie dem japanischen Hersteller Mitsubishi hat Ghosn ein riesiges Firmengeflecht geschaffen. Im vergangenen Jahr verkaufte die Allianz 10,6 Millionen Personenwagen und leichte Nutzfahrzeuge. Der weltgrößte Automobilbauer Volkswagen hat nur dank seiner schweren Lkw und Busse noch mehr Fahrzeuge abgesetzt.
Renault-Nissan arbeitet auch mit dem deutschen Daimler-Konzern in einer Allianz zusammen, in der die Unternehmen Entwicklungskosten bei bestimmten Fahrzeugtypen teilen und im mexikanischen Aguascalientes ein gemeinsames Werk betreiben. Dort werden Kompaktfahrzeuge der Marken Mercedes-Benz sowie der Nissan-Marke Infiniti gebaut.