Commerzbank-Hauptversammlung „Höhere Zinsen haben selbstredend auch negative Auswirkungen“

Dem Morgenrot entgegen? Die Commerzbank will zu alter Stärke zurückfinden - und versucht sich an ihrer abermaligen Sanierung.  Quelle: dpa

Kaum ein Analyst hat die hiesigen Großbanken so kritisch beurteilt wie Dieter Hein. Am Tag der Hauptversammlung verrät er, wieso er wieder auf die Commerzbank schwört – und warum die Deutsche Bank sein Boxsack bleibt.

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WirtschaftsWoche: Herr Hein, Sie arbeiten bei Fairesearch und beurteilen als Analyst, wie deutsche Banken dastehen. Sie sind der kritischste Vertreter Ihrer Zunft, die hiesigen Großbanken haben Sie in den vergangenen Jahren malträtiert wie andere einen Boxsack. Lassen Sie uns jetzt über die Commerzbank sprechen, die heute ihr Aktionärstreffen ausrichtet. Werden Sie das Institut weiterhin als Boxsack missbrauchen?
Dieter Hein: Sie haben es selbst gesagt: Als Analyst werde ich dafür bezahlt, die hiesigen Banken zu beobachten und zu beurteilen. Die Deutsche Bank und die Commerzbank haben katastrophale Fehler gemacht, diese habe ich auch als solche benannt. Wenn Sie das als Missbrauch sehen: na gut.

Hat die Commerzbank aus diesen Fehlern gelernt?
Das Institut stimmt mich nach langer Zeit vorsichtig positiv. Manfred Knof, der seit Januar 2021 als Vorstandschef amtiert, scheint der Bank gut zu tun.

Lassen Sie uns anhand der Historie der Bank ergründen, warum Sie Herrn Knof so positiv beurteilen. Woran hat es bei der Commerzbank bisher gekrankt?
Sie ist in der Finanzkrise in Schieflage geraten, weil sie unter anderem die Dresdner Bank übernommen und deren Risiken unterschätzt hatte. Der Staat musste sie deshalb retten. Seitdem hat die Commerzbank zwar alle vier Jahre ein neues Sanierungsprogramm ausgelobt, aber an der ständigen Neuauflage sehen sie ja, wie viel das gebracht hat.

Dieter Hein Quelle: fairesearch

Warum haben diese Sanierungen nicht funktioniert?
Die Bank hat zu sehr auf steigende Einnahmen gehofft. Aber Banken haben ihre Umsätze weniger unter Kontrolle als ihre Kosten. Ich mache Ihnen mal ein Beispiel: Fallen die Zinsen, sinken tendenziell die Einnahmen einer Bank. Steigen sie dagegen, können auch die Erträge zulegen. Keine Bank hat es selbst in der Hand, ob eine Notenbank wie die Europäische Zentralbank die Zinsen senkt oder anhebt. In den vergangenen Jahren waren die Zinsen niedrig oder negativ, die Commerzbank-Einnahmen standen deshalb unter Druck.

Die alte Führung hat versucht, das auszugleichen und die Kosten zu senken.
Aber sie ist dabei nicht konsequent genug vorgegangen, das ging nie an die Substanz. Das frühere Management hätte mehr Stellen abbauen müssen. Das wäre notwendig gewesen, weil Banken Dienstleister sind, das Personal ist also der entscheidende Kostenfaktor. Herr Knof will die Kosten jetzt um 20 Prozent senken. Das halte ich für richtig.

Und er hat den Abbau von 10.000 Stellen angekündigt. Seit Manfred Knofs Amtsantritt sind die Kosten aber noch nicht gesunken. Ein Problem?
Ich habe nicht behauptet, dass er sein Ziel schon erreicht hat. Er muss das erst noch umsetzen. Ich sage auch nicht, dass Herrn Knof die Sanierung gelingt, aber die Chancen stehen gut. Das zeigt sich auch daran, dass die Einnahmen zuletzt gestiegen sind. Die Commerzbank hat dieses Ertragsplus unter anderem ihrer polnischen Tochter MBank zu verdanken, dort hat die Zentralbank die Zinsen bereits erhöht. Die Leitzinsen in Polen betragen inzwischen 4,5 Prozent.

Wie nachhaltig sind die höheren Einnahmen? Das Geldhaus hat nicht nur von den Leitzinsen profitiert, sondern auch von Beteiligungen an anderen Unternehmen, die wertvoller geworden sind.
Gerade der Zinsanstieg in Polen dürfte von Dauer sein. Zinsen sinken in der Regel nicht über Nacht massiv ab. Aber die Banken sind auch Corona-Profiteure gewesen, weil die Anleger daheim mehr Wertpapiere gehandelt haben als sonst. Die Investoren hatten mehr Zeit. Und ja, es gab die von Ihnen erwähnten Sondereffekte.

Vorstandschef Knof wird sich – auch wegen der höheren Einnahmen – von den Aktionären bei der Hauptversammlung als großer Sanierer feiern lassen. Zu Recht?
Das kann ich nicht sagen. Herr Knof hat Ziele ausgegeben, die er Ende 2024 erreichen will: Ob das gelungen ist, müssen Sie mich vor der Hauptversammlung 2025 fragen. Bislang hat er, das habe ich ja bereits anklingen lassen, auch Glück gehabt: Nicht nur, weil die Zinsen in Polen gestiegen sind, sondern auch weil die Pleitewelle ausgeblieben ist, mit der Experten aufgrund der Corona-Pandemie gerechnet hatten. Aber glückliche Fügungen können trotzdem helfen, die Bank zu sanieren.

Sie haben viel über gestiegene Zinsen gesprochen: In den kommenden Monaten dürfte auch die Europäische Zentralbank die Zinsen erhöhen, weil die Inflation im Euroraum zuletzt hohe 7,5 Prozent betragen hat. Die Commerzbank betont allenthalben, wie stark sie von steigenden Zinsen profitieren würde. Ist das nicht eine einseitige Darstellung?
Höhere Zinsen haben selbstredend auch negative Auswirkungen. Banken schaffen das Geld, das sie verleihen, ja nicht aus dem Nichts. Banken finanzieren ihre Kredite unter anderem mit den Einlagen von Sparern, die diese bei einer Bank hinterlegen. Wenn die Zinsen allgemein steigen, müssen die Banken den Sparern für deren Einlagen ebenfalls höhere Zinsen zahlen. Zudem besteht bei steigenden Zinsen eine weitere Gefahr: Kredite könnten ausfallen, weil sich Schuldner die teureren Tilgungen nicht mehr leisten können.

Die Sanierung ist die Kernherausforderung der Commerzbank. Wie lauten die weiteren Herausforderungen des Geldhauses?
Zum einen muss das Institut mit den Folgen des Ukraine-Krieges klarkommen. Wie schwerwiegend diese ausfallen, ist unvorhersehbar. Das hängt vom weiteren Kriegsverlauf und den Konsequenzen für die deutsche Konjunktur ab. Zum anderen muss die Commerzbank eines Tages aus dem Sparmodus herausfinden: Sie muss innovativ werden, sie muss neue Produkte erfinden und neue Kunden gewinnen. Sonst riskiert sie, gegen Finanz-Start-ups zu verlieren, die besser aufgestellt sind.

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Wenn es gut läuft und die Commerzbank künftig als Boxsack ausfällt, wen werden Sie stattdessen attackieren?
Ich möchte das noch einmal klarstellen: Ich übe keine Kritik der Kritik wegen. Wenn die Aktionäre Freude an einem Unternehmen haben, weil es gut läuft, soll es mir nur recht sein. Aber wenn Sie schon fragen: Die Deutsche Bank klebt weiterhin zu sehr am riskanten und zu wenig profitablen Investmentbanking. Sie bleibt mir als Boxsack erhalten.

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