Michael Hausfelds Stimme ist samtig und so leise, dass Zuhörer aufmerksam lauschen müssen, um ihn zu verstehen. Dass in der weichen Schale ein harter Kern steckt, wissen jene, die ihn schon zum Gegner hatten. Zu ihnen zählen etwa die Vertreter der deutschen Industrie, denen der Staranwalt aus Washington in den Neunzigerjahren einen Entschädigungsfonds für jüdische Zwangsarbeiter des NS-Regimes abrang.
Jetzt hat der 66-jährige Experte für Massenklagen mit den internationalen Grobanken ein neues, lukratives Zielobjekt im Visier. Seine Kanzlei ist zusammen mit einer kalifornischen Anwaltsfirma federführend bei einer Klage gegen rund 20 Institute – darunter die Deutsche Bank, WestLB, HSBC, UBS und Credit Suisse.
Was den Libor so wichtig macht
Grundsätzlich gilt der Libor für alle Kreditnehmer aus den folgenden Währungsräumen:
- Australischer Dollar
- Kanadischer Dollar
- Neuseeland-Dollar
- US-Dollar
- Schweizer Franken
- Dänische Krone
- Schwedische Krone
- Euro
- Pfund Sterling
- Yen
Der Libor ist ein Angebotszins, also der Satz, zu dem Banken Geld verleihen können. Grundsätzlich gilt der Libor nur für Kredite mit einer Laufzeit von einem Tag bis zu zwölf Monaten. Das heißt, er betrifft Optionen, Derivate und Termingeschäfte, aber auch den Kredit fürs neue Auto oder die Eigentumswohnung.
Grundsätzlich legt die British Banker's Association (BBA) den Libor (London Interbank Offered Rate) jeden Tag aufs Neue fest. Die BBA saugt sich den Satz allerdings nicht einfach so aus den Fingern, sondern ermittelt einen Durchschnittssatz aus den Angaben verschiedener Banken. 19 Institute melden der BBA täglich, zu welchem Zinssatz sie sich untereinander Geld leihen.
Grundsätzlich gibt es derzeit einen Verdacht gegen alle 19 Banken, die ihre Zinssätze der BBA mitteilen. Barclays hat die Manipulationen bereits zugegeben, ermittelt wird des Weiteren gegen die Royal Bank of Scotland, die Deutsche Bank, die HSBC, die UBS, Citigroup und Lloyds.
Die Kläger, zu denen auch eine Tochterfirma der Frankfurter Privatbank Metzler gehört, werfen den Banken vor, den in London ermittelten Referenzzins Libor manipuliert zu haben, zu dem Banken durchschnittlich einander Geld leihen. Hausfeld wirft ihnen vor, damit institutionelle Anleger wie Fonds und auch die Stadt Baltimore mit zu niedrigen Zinsen geschädigt zu haben. Die Banken hätten unter anderem gegen Rohstoffbörsengesetze und das US-Kartellgesetz verstoßen.
Sammelklage
Die Sammelklage soll nur der Anfang sein. „Wir erwägen, in den kommenden drei Monaten eine neue Klage einzureichen“, sagt er. Grund dafür seien die ständig neuen Details, die vor allem die zuständigen britischen, aber mittlerweile auch die amerikanischen Behörden zutage fördern. Seine neue Klage werde sich gegen weitere deutsche Banken richten. „Wir haben Anfragen aus ganz Europa“, sagt er.
Um die zum Erfolg zu führen, will er eine komplexe Maschinerie in Gang setzen. „Unsere Experten werden die Marktbewegungen genau prüfen und mit dem vergleichen, was passiert wäre, wenn normale Bedingungen geherrscht hätten. Wir werden E-Mails und Telefonate heranziehen und dann den Schaden konkret schätzen“, kündigt der einstige Schreck der deutschen Industrie an. Wie viel er einzuklagen hofft, will er nicht sagen, aber seine Drohkulisse ist gigantisch. „Wenn wir nachweisen, dass es eine Verschwörung gegeben hat, müssen wir nicht einmal jede einzelne beteiligte Bank überführen“, sagt er. „Jede einzelne wäre für den gesamten Schaden haftbar.“
Tatsächliche oder versuchte Manipulation
Hausfeld ist der prominenteste einer Reihe von Anwälten, die weltweit gegen die Finanzindustrie wegen tatsächlicher oder versuchter Manipulationen des weltweit wichtigen Referenzzinses vorgehen wollen. Wie erfolgreich sie sein werden, ist schwer abschätzbar. „Von allen Skandalen der vergangenen Jahre ist das der schwerwiegendste“, sagt der Vorstand einer deutschen Großbank. Anders als bei Milliardenzockereien einzelner Händler bei der Schweizer UBS oder der US-Investmentbank JP Morgan hätten sich hier offensichtlich Beschäftigte mehrerer Institute abgesprochen – und das zumindest teilweise mit Deckung des Top-Managements. Der britische „Economist“ schimpfte die Täter bereits „Bankster“ und zog Parallelen zu Klagen gegen die Tabakindustrie Ende der Neunzigerjahre, die die Branche über Jahre hinweg Milliarden kosteten.
Klar scheint zudem, dass das Geldgewerbe künftig noch mehr Fesseln fürchten muss als bisher absehbar. „Wie sollen wir den Politikern erklären, dass sie bei der Regulierung maßvoll vorgehen, wenn ständig solche Skandale auftauchen“, stöhnt ein Lobbyist, der im Auftrag einer Großbank Volksvertreter bearbeitet. Der frühere Chef einer deutschen Förderbank sieht sogar „endlich den Moment gekommen, die Investmentbanken vom normalen Geschäft in ihre Parallelwelt abzuspalten“.