Agrarspekulationen Trockene Tatsachen

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VORWURF 4 und 5: Hungermacher und Heimlichtuerei

Wie die Silber-Brüder, Chocfinger und Co. zocken
Aluminium-Blöcke in einer Raffinerie: Die Hütten in Sibirien oder Island produzieren derzeit auf Halde, die Nachfrage ist wegen der Konjunkturflaute gedämpft. Quelle: rtr
Spekulanten nutzen die Marktlage: Sie kaufen aktuell zum günstigen Preis physisches Aluminium. Dann verkaufen sie den Rohstoff über Terminbörsen wie die London Metal Exchange (LME) teuer weiter. Quelle: rtr
Bis zum vorgesehenen Liefertermin wird der Rohstoff eingelagert: Entweder in Hallen oder ganz billig auf offenem Gelände. Statt in Fabriken weiterverarbeitet zu werden, füllen sich weltweit die Lager. Quelle: rtr
Die Aluminium-Hütten produzieren derweil weiter. Quelle: dpa
Auch beim Nickel spielen Spekulanten mit. Sie lagern das physische Metall ein und verkaufen es teurer zu einem späteren Termin. Quelle: rtr
Eine Nickel-Raffinerie in den USA: Finanzspekulanten streichen die Differenz zwischen dem aktuellen und dem künftigen Preis des Metalls ein. Quelle: rtr
Kupferdraht in einer chinesischen Fabrik Quelle: dpa

Vorwurf: Spekulative Geschäfte an den Terminbörsen sind mitverantwortlich für den Hunger in der Dritten Welt.
Die üblichen Vorurteile gegenüber Spekulanten bekommen ein moralisches Gewand. Politiker nutzen diese Strategie, um von ihren eigenen Fehlern abzulenken. 2011 verhinderte der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy, dass eine Studie der EU veröffentlich wird, die zu dem Schluss kam, dass die Spekulanten nicht für den Preisschub bei Agrarrohstoffen in den Jahren 2007 und 2008 verantwortlich waren. Sarkozy hatte sich zuvor für den Kampf gegen die Spekulation mit Agrarrohstoffen stark gemacht.
Politische Eingriffe in den Agrarmarkt haben Tradition: Im Frühjahr 2008 etwa trieben Exportbeschränkungen mehrerer asiatischer Staaten den Reispreis auf Rekordhöhe. Gleichzeitig horteten die großen Erzeuger auf innenpolitischen Druck Millionen Tonnen Reis. Als die Exportverbote fielen, brach der Reispreis ein. Das gleiche Spiel wiederholte sich 2010/11 beim Weizen. Nach Missernten wegen Dürre und Waldbränden schränkten Russland und die Ukraine ihre Exporte ein, der Weizenpreis ging durch die Decke. Als Russland im Juli 2011 das Exportverbot wieder aufhob, brach die Weizen-Rally ab. Obwohl im vergangenen Jahr der Weizenpreis erneut stieg, bauten Farmer in Argentinien lieber Braugerste an. Die mit Weizen bewirtschaftete Fläche ging um ein Viertel zurück. Damit reagierten sie auf Exportbeschränkungen der Regierung. Nicht nur Verbote, auch Subventionen sorgen für steigende Lebensmittelpreise und Nahrungsknappheit. Die USA subventionieren seit 2007 Biosprit. Inzwischen gehen etwa 40 bis 50 Prozent der Maisernte in den Tank. Mais, in Lateinamerika ein Grundnahrungsmittel, fehlt auf dem Weltmarkt. In Guatemala reichten 2010 noch etwa 15 US-Cent aus, um acht Tortillas zu kaufen, derzeit gibt es dafür nur noch vier.


Vorwurf: Agrarterminbörsen sind intransparent und anfällig für Missbrauch.
„Das Agrargeschäft an sich ist fair, weil die Anbaubedingungen für Agrarrohstoffe für jeden transparent sind“, sagt Agravis-Manager Ripken. Wer mehr wissen wolle, brauche nur über die Felder fahren. Das gilt für den realen Handel mit Agrarrohstoffen, nicht für den Finanzbereich. Verbote sind kontraproduktiv, mehr Transparenz und bessere Daten könnten den Kritikern des Agrarterminhandels durchaus Wind aus den Segeln nehmen. Wenig hilfreich ist, dass Deutsche Bank und Allianz sich weigern, Engagements bei Agrarrohstoffen offenzulegen. Die Deutsche Bank habe nie versprochen, eine interne Studie zum Handel mit Agrarrohstoffen zu veröffentlichen, heißt es auf Anfrage. Die Untersuchung im eigenen Hause sei zwar umfangreicher als die bisher veröffentlichten Informationen, die Bank habe sich aber entschieden, die Erkenntnisse „kompakt“ zu präsentieren. Die Allianz will keine tagesaktuellen Daten für Geschäfte mit Agrarrohstoffen herausgeben, weil sie keine Daten von Kunden offenlegen dürfe.
Die Datenlage an den Terminbörsen ist kaum besser. „Wir haben noch ein erhebliches Informationsdefizit gegenüber den amerikanischen Terminbörsen“, sagt Wirtschaftsethiker Pies. Regelmäßig aktualisierte Listen über die Positionierung der unterschiedlichen Akteure am Markt, wie sie die US-Aufsicht CFTC pflegt, fehlen hier. Die CFTC weist zum Beispiel Positionen von Marktteilnehmern – meist Banken –, die im Auftrag von Kunden handeln, in der Kategorie „Swap Dealer“ aus. Klassische Spekulanten wie Hedgefonds und Vermögensverwalter werden in der Rubrik „Managed Money“ ausgewiesen.

Für vollständige Transparenz müsste aber auch der außerbörsliche Handel durchleuchtet werden. In Europa dagegen stehen die Behörden noch ganz am Anfang. Bisher hat nur das Europäische Parlament gefordert, den Terminhandel offenzulegen. Entsprechende Verordnungen stehen noch aus. Die politische Diskussion geht inzwischen weit über Forderungen zu mehr Transparenz hinaus. EU-Parlament und Foodwatch wollen Obergrenzen für Positionen durchsetzen, die ein einzelner Investor halten darf. Das kann sinnvoll sein, wenn dadurch verhindert wird, dass ein Marktteilnehmer zu starken Einfluss auf die Preisbildung bekommt und so den Marktmechanismus aushebelt. Einzelne Investoren auszuschließen oder Agrar-Finanzprodukte, beispielsweise Indexfonds und Zertifikate, zu verbieten würde dagegen weniger Teilnehmer und weniger Liquidität am Markt bedeuten. Die Termingeschäfte einzelner Investoren hätten dann nicht weniger, sondern mehr Einfluss. Die Gefahr, dass die Preise für Agrarrohstoffe stärker schwanken, wäre größer.


Was bei einem Verbot des Terminhandels droht, zeigt die Geschichte: Im 19. Jahrhundert war die Getreidebörse in Berlin größer als die Wertpapierbörse. Großgrundbesitzer verkauften dort ihre Ernte auf Termin. 1894 stellte die Reichsregierung fest, dass im Getreidehandel auf ein „echtes“ Termingeschäft „20 speculativer Natur“ kämen. 1896 wurde der Terminhandel verboten. Die Folgen waren katastrophal: Bauern und Verarbeiter konnten sich nicht mehr gegen natürliche Ernte-Schwankungen absichern; viele gingen pleite. Was folgte, waren Schutzzölle und letztlich der Einstieg in die europäische Subventionierung der Landwirtschaft.

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