Was wird aus den Angestellten, Tickets und Flugzeugen?
Es klang schon fast zu gut, um wahr zu sein: Die Lufthansa übernimmt große Teile der insolventen Air Berlin, Easyjet gerade so viel, dass es kartellrechtlich für den deutschen Marktführer in Ordnung geht, hieß es noch wenigen Tagen. Lufthansa-Chef Carsten Spohr hätte Zugriff auf viele Maschinen und – noch wichtiger – die Slots erhalten. Gerade die begehrten Start- und Landerechte sind für die schnelle Expansion von Eurowings unabdingbar.
Und mit Easyjet als Partner bliebe die größte Konkurrenz außen vor: Ryanair. Der irische Billigflieger hätte wohl frei werdende Slots, etwa in Düsseldorf oder München, schnell besetzt. Die Lufthansa-Kooperation mit Easyjet sollten genau das verhindern.
Allein: Die Briten scheinen das Interesse an Air Berlin zu verlieren. Am Wochenende berichtete die „B.Z.“, dass Easyjet sein ursprüngliches Angebot von rund 50 Millionen Euro für 27 bis 30 Maschinen reduziert habe. Zudem gebe es keine Einigung mit der Lufthansa um Landerechte in Düsseldorf und Berlin-Tegel. Während ein Vertrag zwischen der Lufthansa und Air Berlin nur noch Formsache zu sein scheint, geht die insolvente Fluglinie dem Bericht zufolge nicht mehr davon aus, dass man sich bis Donnerstag mit Easyjet einigen kann.
Air Berlin vor dem Betriebsschluss
Nach dem 15. Oktober gibt es keine Langstreckenflüge mehr. Die letzten Maschinen mit einer Air-Berlin-Flugnummer (AB) werden Ende Oktober starten. Spätestens ab dem 28. Oktober sei im Insolvenzverfahren ein eigenwirtschaftlicher Verkehr „nicht mehr möglich“, stellte die Geschäftsführung fest. Tickets für spätere Flüge verlieren ihre Gültigkeit. Flugscheine der nicht insolventen Tochterfirma Niki kann man hingegen weiter nutzen.
Geld zurück gibt es nur für jene Flüge, die nach dem Insolvenzantrag vom 15. August gebucht und bezahlt wurden. Die Kunden können mit einer Rückzahlung vom eigens für diese Fälle angelegten Treuhand-Konto rechnen. Wer bis zum 15. August gebucht hat, wird aller Voraussicht nach nichts oder nur sehr wenig vom Kaufpreis wiedersehen. Das Geld dieser Passagiere ist - sofern noch vorhanden - Teil der Insolvenzmasse. Diese Kunden müssen als Gläubiger eine Forderung beim Insolvenzverwalter anmelden. Das Verfahren kann Jahre dauern. Am Ende dürfte für sie kaum etwas übrig bleiben.
Der Vorstand verhandelt seit knapp drei Wochen ausschließlich mit Lufthansa und Easyjet über den Verkauf großer Teile der Fluggesellschaft. Die Lufthansa könnte mehr als die Hälfte der noch 134 Flugzeuge übernehmen. Kommt bis zum vereinbarten Zieldatum 12. Oktober keine Einigung zustande, gilt die Exklusivität der Gespräche nicht mehr. Dann könnte zum Beispiel der Ferienflieger Condor zum Zuge kommen, der auf einer Warteposition steht. Ein Komplettverkauf der bisherigen deutschen Nummer zwei an den Marktführer Lufthansa gilt als kartellrechtlich ausgeschlossen.
Ein Teil der rund 8000 Mitarbeiter wird neue Arbeitsplätze finden – ob es die vom Vorstand erhofften 80 Prozent sind, ist aber fraglich. Piloten und Flugbegleitern werden gute Chancen im wachsenden Luftverkehrsmarkt eingeräumt, für die Kollegen aus der Technik und der Verwaltung sind die Aussichten trüber. Kollektiv übernehmen will die Lufthansa die Belegschaft oder Teile davon nicht.
Drohen die seit Wochen laufenden Verkaufsverhandlungen auf der Zielgeraden zu scheitern? Und was sind die Gründe für den plötzlichen Sinneswandel der Easyjet-Verantwortlichen?
Szenario I: Der Deal kommt wie geplant zustande
Klar ist: Der Poker um die Aufteilung von Air Berlin ist um eine Posse reicher. Der Hamburger Luftfahrt-Experte Heinrich Großbongardt hält es allerdings für unwahrscheinlich, dass der Deal mit Easyjet noch platzt. „Easyjet will mit dem Vorstoß die Lufthansa und Air Berlin unter Druck setzen“, so Großbongardt. „Wenn sich Easyjet herauszieht, passieren zwei Dinge: Es gäbe weniger Geld für den Insolvenzverwalter und die Lufthansa bekommt mehr Probleme vor dem Kartellamt und den Behörden in Brüssel.“ Deshalb rechnet er mit einem Entgegenkommen.
Denn zusätzlich zu den entscheidenden Detailverhandlungen über die genaue Verteilung von Slots und Maschinen gibt es noch einen zusätzlichen Faktor: Die Zeit drängt. Air Berlin geht das Geld aus, am 28. Oktober gehen die letzten Flüge unter der Marke Air Berlin – danach fliegen nur noch die nicht von der Insolvenz betroffenen Töchter Niki und Walter (LGW) weiter. Von dem Air-Berlin-Grounding betroffen sind unter anderem jene strittigen Slots in Düsseldorf und Tegel. Am Ende hatte Air Berlin nur noch die größeren innerdeutschen Flüge und Langstreckenverbindungen unter eigenen Namen laufen lassen.
Werden diese Slots nicht bis zum Grounding vom neuen Eigentümer besetzt, verfallen die Start- und Landerechte und gehen an Flughafenkoordinator Armin Obert. Doch sein Amt schreibt die Slotpool genannte Menge nicht lange aus, sondern gibt sie – so schnell es geht – den ersten Interessenten, die sie nutzen wollen und können. Selbst bei schneller Reaktion käme die Lufthansa nur eingeschränkt zum Zuge. Mindestens die Hälfte der Zeitfenster bekämen Neulinge – wie etwa Ryanair.
Air Berlin: Das Ringen um die Flughafen-Slots
Die Start- und Landerechte an deutschen Flughäfen, im Branchenjargon "Slots" genannt, sind das, was die insolvente Fluggesellschaft Air Berlin für ihre Konkurrenten so begehrt macht. Vor allem in Berlin und Düsseldorf verfügt sie über viele attraktive dieser "Zeitnischen" für Flugzeug-Starts und Landungen, wie sie im Amtsdeutsch offiziell heißen. Doch die Slots lassen sich nicht ohne Weiteres an eine andere Airline wie die Lufthansa weiterreichen.
Geregelt ist die Vergabe der Start- und Landerechte in einer EU-Verordnung. Sie können eigentlich weder gekauft noch verkauft werden - einzige Ausnahme: der Londoner Flughafen Heathrow. In Deutschland werden die Slots für die 16 internationalen Airports von Frankfurt bis Erfurt von Flughafenkoordinator Armin Obert für jedes Jahr neu zugewiesen. Er sitzt mit seinem Team am Frankfurter Flughafen und untersteht nur dem Bundesverkehrsministerium.
Quelle: dpa
Um ihre Slots zu behalten, müssen Fluggesellschaften sie in einer Saison (Sommer und Winter) mindestens zu 80 Prozent genutzt haben. Bei einer Einstellung des Flugbetriebs droht Air Berlin die Rechte also zu verlieren. Werden sie neu verteilt, gehen 50 Prozent an Airlines, die vom jeweiligen Flughafen bereits abfliegen, der Rest an Neubewerber. Das wäre vorteilhaft für Rivalen wie Easyjet und Ryanair, die dann damit rechnen könnten, dass ihnen Slots zufielen, ohne dass sie Personal von Air Berlin übernehmen müssten.
Von einem Unternehmen auf ein anderes können Slots nur dann übertragen werden, wenn sie damit entweder innerhalb eines Konzerns bleiben (also etwa von Lufthansa auf Eurowings), wenn eine Fluggesellschaft mehrheitlich übernommen wird oder "bei vollständigen oder teilweisen Übernahmen, wenn die übertragenen Zeitnischen direkt mit dem übernommenen Luftfahrtunternehmen verbunden sind", wie es in der Verordnung heißt.
Das könnte bei Air Berlin zum Streitpunkt werden. Denn insolvente Unternehmen werden normalerweise nicht als Ganzes erworben ("share deal"), weil der Käufer dann auch die Schulden übernehmen müsste. Der Käufer erwirbt vielmehr die Bestandteile einzeln ("asset deal") und packt sie in eine neu gegründete, schuldenfreie Gesellschaft. Ob das übernommene Paket ausreicht, um die Slots zu behalten, entscheidet der Flughafenkoordinator. Bei der österreichischen Tochter Niki besteht das Problem nicht. Sie ist nicht insolvent und kann damit als Ganzes verkauft werden.
Air Berlin und die beteiligten Insolvenzexperten gehen davon aus, dass sich die Slots wirksam übertragen lassen. Vor allem mit dem Erlös daraus soll der 150-Millionen-Euro-Kredit getilgt werden, den die Bundesregierung gewährt hat, um Air Berlin in der Luft zu halten. Sie standen zuletzt mit 80 Millionen Euro in der Bilanz von Air Berlin.
Und genau das wollen Spohr und seine Mannen verhindern. Einfach kaufen können sie die Slots aber nicht, das ist in Europa ausdrücklich verboten. Stattdessen müssen sie das ganze Unternehmen oder zumindest funktionsfähige Teile mit einer eigenen Zulassung der Luftverkehrsbehörden schlucken. Sollte die Lufthansa oder ein anderer Käufer nach der Transaktion größere Teile des Unternehmens dichtmachen und nur wenig Personal behalten, droht deshalb umgehend Ärger.
Was Air Berlin ansonsten droht
Szenario II: Keine Einigung, die Slots werden neu vergeben
Ein Scheitern der Verhandlungen mit Easyjet ist also nicht im Interesse der Lufthansa. Auch für Easyjet wäre es bei einer Neuvergabe der Slots wohl teurer, und zudem unsicher, welche Slots man am Ende erhält. Deshalb sieht Großbongardt bei allen Beteiligten einen „hohen Entscheidungsdruck“: „Wenn es scheitert, wird es für alle teurer.“
Eine teurere Lösung kann und will sich Easyjet wohl nicht leisten. Der britische Billigflieger konnte zwar zuletzt den Gewinnrückgang in Grenzen halten, liegt aber immer noch mindestens 17 Prozent unter dem Vorjahr. In der vergangenen Woche hatte Easyjet bekanntgegeben, für die vergangenen zwölf Monate mit einem bereinigten Vorsteuergewinn von 405 bis 410 Millionen Pfund (455 bis 460 Millionen Euro) zu rechnen.
Dem Unternehmen macht das wachsende Flugangebot in Europa zu schaffen, das auf die Ticketpreise drückt. „Angesichts der schwieriger werdenden Aussichten und den Unsicherheiten rund um den Brexit versucht Easyjet offenbar, sein Geld so gut es geht beisammen zu halten“, sagt ein Branchenkenner.
Szenario III: Easyjet beteiligt sich nicht an Air Berlin
In den vergangenen Tagen geisterte auch eine andere Möglichkeit durch das Internet: Statt bei Air Berlin könnte Easyjet bei Monarch zugreifen – jenem insolventen britischen Ferienflieger, der am 2. Oktober seinen Flugbetrieb eingestellt hatte. Bei Monarch locken 30 Mittelstreckenjets, wie bei Air Berlin. Und da sie bereits seit Anfang des Monats auf dem Boden stehen, sind sie wohl günstiger zu haben als die rot-weißen Flieger aus der Bundeshauptstadt.
Luftfahrtexperte Großbongardt hält das für unrealistisch. „An Flugzeugen mangelt es nicht“, sagt der Chef des Beratungsunternehmens Expairtise. „Der Punkt sind die Slots und nicht die Flieger.“ Easyjet sei eher an Slots auf dem Kontinent anstatt weiteren Rechten im UK interessiert. „Easyjet ist im Heimatmarkt Großbritannien bestens vertreten“, sagt Großbongardt. „Aber seine Position in Deutschland als dem zweitgrößten Luftverkehrsmarkt in Europa auszubauen ist für Easyjet strategisch wichtig – ganz besonders im Lichte des Brexit.“
Für den Ausbau in Deutschland würde Easyjet sogar einige Unannehmlichkeiten auf sich nehmen. Denn bislang ist der Berliner Standort der Briten in Schönefeld – erst im Mai hatte der Carrier eine weitere Maschine samt Crews auf dem Ost-Berliner Flughafen stationiert. Insgesamt operieren jetzt zwölf weiß-orangene Flugzeuge von dort aus. Im vergangenen Jahr sind über fünf Millionen Passagiere mit Easyjet von oder in die Hauptstadt geflogen – mit der zwölften Maschine werden es noch mehr.
Ein Parallelbetrieb in Tegel – im Fachjargon „Split Operation“ genannt – ist nicht nur wegen des Personaleinsatzes an zwei Standorten aufwändiger. Für eine Fluglinie erschwert er auch das Umsteigen von Zubringerflügen enorm. Wer mit Easyjet innerdeutsch nach Tegel fliegt, wird kaum dann auf der Mittelstrecke ab Schönefeld weiterreisen, sondern eher die Airline wechseln.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Dennoch hält Großbongardt die zumindest vorübergehende Split Operation für interessant. „Eine einheitliche Operation ist zunächst einmal attraktiver“, sagt der Experte. „Aber am Ende muss eine Airline schauen, wo sie Geld verdient. Und im Moment ist es so, dass die Menschen lieber weiter ab Tegel fliegen anstatt nach Schönefeld hinauszufahren.“
Die Nachfrage wird bleiben, auch wenn Air Berlin bald verschwunden ist. Es ist also nicht die Frage, ob jemand die Slots und Strecken übernimmt, sondern wer. Und damit auch, wie viele der Air-Berlin-Mitarbeiter bei den neuen Eigentümern unterkommen. In einem Tag wird mehr Klarheit herrschen.