Luftfahrtexperten klingen dieser Tage fast so dramatisch wie sonst nur Klimaforscher oder Virologen. Von einer „Katastrophe“ sprechen manche, es drohe „Chaos“, sagen andere. Gemeint sind die deutschen Flughäfen, die seit Wochen unter teils kritischen Zuständen leiden. Massiver Personalmangel sorgt für lange Wartezeiten. Viele Reisende verpassen ihre Flüge – wenn die denn nicht sowieso schon storniert wurden.
Die Luftfahrtbranche ist längst nicht die einzige, die mit einem Mangel an Arbeitskräften zu kämpfen hat. Gastronomen suchen händeringend nach Personal, Festival-Veranstalter auch. Aber kaum ein Szenario löst dermaßen starke Emotionen aus wie Reisende, die ihren Flug verpasst haben.
Und nun rollen noch die Sommerferien an, die Hauptreisezeit des Jahres. Allein der Flughafen Düsseldorf, Deutschlands viertgrößter Passagierflughafen, erwartet drei Millionen Reisende in dieser Zeit. Die Flughäfen bemühen sich darum, einen Kollaps zu verhindern. In Düsseldorf sollen Studierende das Personal aufstocken und die Passagiere nach Möglichkeit zielgenau zu freien Stellen in der Sicherheitskontrolle geleitet werden. „Leider wird dies bei weitem nicht ausreichen, um die personellen Engpässe der Dienstleister von Airlines und Bundespolizei auszugleichen“, sagt Thomas Schnalke, Vorsitzender der Geschäftsführung der Flughafen Düsseldorf GmbH.
Denn der Personalmangel geht weit über die Flughafengesellschaften hinaus. Auch die Airlines haben Probleme. Und die Bundespolizei, die nach wie vor an den meisten Flughäfen für die Sicherheitskontrollen zuständig ist, hat ebenfalls zu kämpfen. In der Regel sind es nicht die Polizisten selbst, die die Kontrolle durchführen, sie delegieren die Aufgabe an Sicherheitsdienste. Auch deren Mitarbeiter müssen aber erst umfassend geschult und zertifiziert werden, bis sie eingesetzt werden können. Schließlich handelt es sich um hoheitliche Aufgaben.
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„Von der Rekrutierung bis zum Einsatz dauert es etwa fünf bis sechs Monate“, so die Angabe der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin, die für die zwei großen Flughäfen in Düsseldorf und Köln/Bonn verantwortlich ist.
Offene Kritik an der Bundespolizei verkneifen sich die Flughäfen zwar, aber doch stellt sich die Frage: Kann nicht wenigstens dieser Teilbereich, der immerhin indirekt dem Bundesinnenministerium untersteht, besser organisiert werden? Entsprechende Modelle und Positivbeispiele gibt es, die im Angesicht der aktuellen Krise plötzlich sehr viel Aufmerksamkeit erhalten.
Denn längst nicht überall herrscht Chaos. Zum Beispiel in München: Der Franz-Josef-Strauß-Flughafen scheint zumindest in Sachen Sicherheitskontrolle eine Insel der Glücksseligen zu sein. „Bei uns läuft es ganz gut“, teilt man dort auf Anfrage mit. Das ist kein Zufall, denn tatsächlich liegt die Sicherheitskontrolle an den Flughäfen des Freistaates nicht in der Hand der Bundespolizei, sondern in der Verantwortung der Sicherheitsgesellschaft am Flughafen München (SGM), ähnliche Konstrukte finden sich auch in Nürnberg und Memmingen. Die für München zuständige Regierung von Oberbayern benennt die Kontinuität, die so entstehe, als Vorteil: Es gebe keine Ausschreibungen und keine regelmäßigen Dienstleisterwechsel.
„Wir zahlen nach Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes und haben darum eine geringe Fluktuation“, erklärt der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter: „Auch von den gegenwärtigen Personalproblemen sind die Sicherheitskontrollen in München, Nürnberg und Memmingen so gut wie nicht betroffen, weil niemand während Corona entlassen wurde.“
Wer jetzt noch kostenlose Corona-Tests bekommt
Schnelltests auf Staats- und damit Steuerzahlerkosten an Teststationen oder in Apotheken soll es nur noch für bestimmte Gruppen geben. Andere müssen drei Euro zuzahlen.
Bisher hatte jeder, auch ohne Corona-Symptome oder konkreten Anlass, Anspruch auf mindestens einen kostenlosen Schnelltest pro Woche durch geschultes Personal inklusive Testbescheid, der meist direkt aufs Smartphone kommt und als Nachweis genutzt werden kann. Das kostenlose Angebot wird jetzt, bis auf Ausnahmen, „ausgesetzt“, wie es im Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums für die neue Corona-Testverordnung heißt. Die überarbeitete Verordnung und die neuen Regeln sollen laut Ministerium ab 30. Juni 2022 gelten.
Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Das sind zum Beispiel Frauen im ersten Schwangerschaftsdrittel. Auch Haushaltsangehörige von Infizierten, Kinder bis fünf Jahre und Bewohner und Besucher von Pflegeheimen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung und Kliniken sollen sich weiterhin kostenlos testen lassen können. Das gilt dem Entwurf zufolge ebenso für Menschen, die nach einer Corona-Infektion einen Beleg dafür brauchen, dass sie wieder negativ sind, damit sie etwa zurück zur Arbeit können.
Die Drei-Euro-Tests sind für Besucher von Familienfeiern, Konzerten oder einer anderen „Veranstaltung in einem Innenraum“ am selben Tag gedacht. Das soll dabei helfen, sogenannte Super-Spreader-Events zu verhindern, bei denen sich viele Menschen auf einmal anstecken.
Einen Drei-Euro-Test soll auch bekommen, wer eine rote Corona-Warnapp hat oder wer vorhat, andere Menschen ab 60 oder mit Vorerkrankung zu treffen.
Da kann ja jeder behaupten, „ich will meine kranke Oma besuchen“ – wie soll das kontrolliert werden? Dazu heißt es in der Begründung zum Verordnungsentwurf, solche Besuche müssten „glaubhaft“ gemacht werden. Beim Drei-Euro-Test muss zum Beispiel grundsätzlich unterschrieben werden, dass der Test wegen eines geplanten Konzertbesuchs, einer Familienfeier oder eines Besuchs bei einem vorerkrankten Angehörigen gemacht wird.
Ob das potenzielle Betrüger ausreichend abschreckt, wird sich zeigen. Als Beleg kann zusätzlich auch ein Konzertticket vorgezeigt werden. Beim Angehörigenbesuch oder der Familienfeier wird es mit Belegen schwierig.
Weil es zu teuer wurde. Die kostenlosen Tests hatten nach Angaben von Gesundheitsminister Lauterbach zuletzt eine Milliarde Euro pro Monat verschlungen. Es gibt sie mit kurzer Unterbrechung im vergangenen Herbst seit dem Frühjahr 2021.
Lauterbach zufolge sieht das neue Konzept noch Kosten von 2,7 Milliarden Euro bis Jahresende vor. Würde die derzeitige Praxis beibehalten, wäre es 5 Milliarden Euro.
Ein Vorbild für die restlichen Flughäfen? So einfach ist es nicht, von heute auf morgen lässt sich nicht der komplette Bereich reformieren. Die dafür notwendigen Gesellschaften müssten erst einmal gegründet, die Aufgabenübertragung vereinbart werden.
Kurzfristig gibt es nur Notlösungen
Wie langwierig so etwas sein kann, lässt sich gerade in Frankfurt beobachten. An Deutschlands größtem Flughafen gibt die Bundespolizei ab Anfang nächsten Jahres einen großen Teil ihrer Aufgaben ab. Es gilt dann ein sogenannter Beleihungsvertrag zwischen dem Innenministerium und der Fraport AG. Der Betreiber übernimmt die Organisation, Steuerung und Durchführung der Luftsicherheitskontrollen. Die Bundespolizei behält die Dienst- und Fachaufsicht. Die entsprechenden Schritte wurden aber auch schon im Mai 2021 verkündet, einen Vorlauf von rund anderthalb Jahren braucht es also schon für diese im Vergleich zu Bayern kleinere Reorganisation.
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Und für die Situation in diesem Sommer kommt natürlich auch sie zu spät. Daher behelfen sich die Flughäfen mit Notlösungen. In Düsseldorf etwa soll Personal zum Einsatz kommen, das nicht sämtliche Vorgaben erfüllen muss, aber trotzdem zum Beispiel den Menschen Plätze zuweisen und die Plastikwannen an den Schleusen umräumen kann. Hier geht es im Gegensatz zur vollständigen Ausbildung nur um wenige Tage Schulung. Mehrere Dutzend Mitarbeiter durchlaufen gerade dieses Programm, wie die Bundespolizei erklärt. Die sensiblen Aufgaben dürfen diese Mitarbeiter dann aber nicht übernehmen, also etwa das Abtasten oder die Kontrolle des Handgepäcks. „Bei der Qualität der Sicherheitskontrollen können wir keine Abstriche machen“, betont die Polizei.
Was können die Fluggäste tun, um dem Chaos diesen Sommer zu entkommen? Sie können ihr Handgepäck so weit wie möglich reduzieren, das würde die Kontrollen vereinfachen, so die Bundespolizei. Oder sie müssen eben von München aus fliegen.
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