Pendler und Bahnreisende können vorerst aufatmen: Die Lokführergewerkschaft GDL plant nach den gescheiterten Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn bis Anfang August zunächst keine Streiks. Sie setzt dem Staatskonzern aber ein Ultimatum: „Die GDL wird nicht zu Warnstreiks von einigen Stunden oder einem Tag aufrufen“, teilte die Gewerkschaft am Donnerstag mit. Als erste Arbeitskampfmaßnahme werde man eine Urabstimmung einleiten, die am 9. August abgeschlossen sein soll, sagte GDL-Chef Claus Weselsky in Berlin.
„Ohne verbessertes Angebot werden wir als GDL nicht in Verhandlungen einsteigen.“ Dann seien längere Arbeitskampfmaßnahmen nicht abzuwenden. Die Bahn warf der Gewerkschaft eine „verantwortungslose Geisterfahrt“ vor und forderte die GDL auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Beide Seiten haben sich zuletzt gegenseitig für ein Scheitern der Tarifverhandlungen nach der vierten Runde Anfang Juni verantwortlich gemacht. Die GDL reduzierte jüngst ihre Forderungen und verlangt nun Lohnerhöhungen wie im öffentlichen Dienst von rund 3,2 Prozent. Dies soll in zwei Schritten geschehen - plus 1,4 Prozent in diesem und plus 1,8 Prozent im nächsten Jahr. Zudem sollen die Beschäftigten eine Corona-Prämie von 600 Euro erhalten. Nach Lesart der Bahn summieren sich die gesamten Forderungen der Lokführer aber auf etwa das Dreifache davon, was die GDL zurückweist. Bahn-Personalvorstand Martin Seiler erklärte, die Bahn habe 3,2 Prozent in Aussicht gestellt.
Um die 2021 weiter auf rund zehn Milliarden Euro gestiegenen Corona-Schäden zu bewältigen, benötige die Bahn aber eine längere Laufzeit von 40 Monaten, während die GDL 28 Monate fordere. Weselsky lehnt dies ab. Die Pandemie-Krise hat der Deutschen Bahn 2020 einen Rekordverlust von fast sechs Milliarden Euro eingebrockt, die Schulden stiegen auf über 30 Milliarden Euro. Deshalb müssten alle Beteiligten nun ihren Beitrag leisten, sagte Bahn-Manager Seiler - dies wiederum lehnt GDL für die Lokführer ab. Denn die Bahn sei auf Anordnung des Bundes als Eigentümer in der Krise durchgefahren. „Wer die Musik bestellt, wird sie auch bezahlen müssen“, sagte Weselsky.
Der GDL-Bundesvorsitzende erwartet, dass die Bahn juristisch gegen den Arbeitskampf vorgeht. Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, habe man sich für die Urabstimmung und gegen Warnstreiks entschieden. Nach der Befragung der Mitglieder werde der Arbeitskampf zwar nicht nur zwei oder drei Stunden dauern, sagte Weselsky, räumte aber ein: „Wir starten bestimmt nicht mit dem unbefristeten Streik. Das wäre unverhältnismäßig.“ Man sei jedoch nicht bereit, bis zum Ende der Sommerferien in allen Bundesländern bis Mitte September zu warten. Die Konzern-Spitze sollte Stimmung und Entschlossenheit der Belegschaft nicht unterschätzen, warnte der GDL-Chef. „Der Raum ist gefüllt mit explosivem Gas-Luft-Gemisch. Wir brauchen nur vorbeigehen und Streichhölzer ranhalten.“ Während die Bahn offen für eine weitere Schlichtung ist, lehnt die GDL dies ab.
Mit der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat die Bahn eine Tariferhöhung von 1,5 Prozent für eine Laufzeit ab Anfang 2022 bis Ende Februar 2023 vereinbart. Dieses Jahr gibt es kein Lohnplus. Weselsky lehnt eine Nullrunde ab.
Beide Gewerkschaften stehen in scharfer Konkurrenz zueinander, was den Tarifkonflikt mit den Lokführern zusätzlich erschwert. Denn EVG und GDL erheben beide den Anspruch, für fast alle 185.000 Beschäftigten in Deutschland beim Schienenpersonal zu verhandeln. Die Bahn sieht sich gezwungen, das Tarifeinheitsgesetz anzuwenden. Danach gilt ein Tarifvertrag nur dort, wo die jeweilige Gewerkschaft die Mehrheit hat. Laut Bahn hat die GDL nur in wenigen Einzelbetrieben des Konzerns die Mehrheit. Die Gewerkschaft bestreitet das und geht juristisch dagegen vor, hat aber zuletzt vor Arbeitsgerichten mehrere Niederlagen einstecken müssen. Weselsky sprach von einem Angriff der Bahn auf die GDL. „Man will uns bewusst kleinhalten.“
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