Rund vier Monate nach der Übernahme des Berliner Schnelllieferdienstes Gorillas durch den türkischen Wettbewerber Getir im Dezember 2022 werden weitere Veränderungen sichtbar. Wie die WirtschaftsWoche von Marktbeobachtern erfuhr, beabsichtigt Getir, seine Präsenz in Deutschland von derzeit sieben auf 22 Städte zu erweitern – indem Getir auch in jene Städte vordringt, in denen Gorillas aktiv ist. Jedoch plant Getir dafür nicht, in den Gorillas-Städten neue Warenlager zu eröffnen; vielmehr wird Getir die vorhandene Infrastruktur von Gorillas mitbenutzen und durch eigenes Personal ergänzen (einzige Ausnahme ist Dortmund: Hier ist Gorillas bislang noch nicht vertreten und wird die Warenlager von Getir mitbenutzen).
Das führt zu der Situation, dass in allen Städten künftig beide Lieferdienste verfügbar sein werden. Auch das Lebensmittelsortiment soll in Zukunft bei beiden Anbietern gleich sein, die Angebote werden sich also nicht mehr unterscheiden.
Beispiel Frankfurt: In der hessischen Großstadt ist Getir bislang nicht aktiv, Gorillas aber sehr wohl. Künftig sollen Nutzer in Frankfurt auch über die Getir-App Lebensmittel bestellen können, die dann aus den Gorillas-Warenlagern in der Stadt zusammengesucht, verpackt und an die Haustüre geliefert werden. Die Kurierfahrer können dabei entweder Gorillas- oder Getir-Fahrer sein; je nachdem, wer gerade verfügbar ist. Nach diesem Prinzip soll Getir auch in Frankreich, den Niederlanden sowie in London und New York vorgehen.
Das Vorgehen klingt zunächst nach einer salomonischen und fairen Lösung, für die auch eine gewisse Notwendigkeit bestand. Denn wie Getir-Regional-Manager Turancan Salur einmal selbst zugegeben hat, verfüge Gorillas in Deutschland über einen starken und bekannten Markennamen. Diesen aufzugeben und durch das weniger bekannte Getir zu ersetzen, dürfte dem Geschäft wohl zunächst eher schaden. Dennoch gehen Beobachter davon aus, dass es langfristig darauf hinauslaufen dürfte, nur noch mit einer Marke aktiv zu sein. Schwer vorstellbar, dass die Getir-Gründer dann auf ihren Namen verzichten werden; zumal Gorillas-Gründer Kagan Sümer im Zuge des Verkaufs sein Unternehmen verlassen hat.
Der Fusion fallen hunderte Mitarbeiter zum Opfer
Der Getir-Gorillas-Deal von Dezember 2022 markiert einen Höhepunkt in der Branche der Schnelllieferdienste. Allerdings spiegelten die finanziellen Kennzahlen auch den Abwärtstrend der Branche wider: Die Übernahme kostete Getir nach Informationen mehrerer Medien rund eine Milliarde Euro (die Zahl wird von Getir offiziell nicht kommentiert). Und die Bewertung der beiden kombinierten Unternehmen soll laut „Financial Times“ bei rund 10 Milliarden US-Dollar liegen. Das ist deutlich weniger als die 11,8 Milliarden Dollar, für die Getir bei seiner letzten Finanzierungsrunde im März 2022 alleine bewertet worden war.
Nach dieser ging es bergab: Ende Mai 2022 gab Getir bekannt, 14 Prozent seines gesamten Personals abzubauen. Das waren mehr als 4.000 Frauen und Männer. Als Gründe wurden die steigende Inflation und die steigenden Kosten genannt. Im selben Monat musste auch Gorillas Stellenstreichungen bekannt geben.
Unklar ist weiterhin, wie viele Mitarbeiter konkret der Verschmelzung der beiden früheren Rivalen zum Opfer fallen werden. Im Februar und März berichteten mehrere Medien bereits von Stellenstreichungen in den USA (rund 100 Mitarbeiter) sowie in Großbritannien (bis zu 300 Mitarbeiter), die Getir im Anschluss an die Gorillas-Akquisition durchgeführt habe. Nach WirtschaftsWoche-Informationen soll es auch in Deutschland bereits Personalabbau gegeben haben. Auf Nachfrage teilt das Unternehmen mit: „Wir bitten um Verständnis, dass Getir generell keine Marktgerüchte kommentiert.“
In einem ersten Schritt hatte Getir zum 01. März 2023 für alle Büro-Mitarbeiter in Deutschland die Heimarbeit abgeschafft. Von Marktbeobachtern heißt es, auf Managementebene werden gewiss Doppelstrukturen abgebaut, andernfalls könne man die gewünschten Synergien ja nicht nutzen. So hatten zuletzt mehrere ehemalige Gorillas-Manager das Unternehmen verlassen, darunter die frühere Führungskraft Alexander Brunst, der Mitgründer Ugur Samut und der frühere COO Adrian Frenzel. Der Jobabbau betrifft allerdings nicht die Fahrer: Die benötigt Getir in Zukunft mehr denn je.
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