Reisen während der Pandemie Wird der Impfausweis bald der neue Reisepass?

Mit Impfpass zur Traumreise: Für Reiseziele wie die Malediven könnten das schon bald die Regel sein. Quelle: dpa

Regierungen, Fluglinien und Technologiefirmen bereiten sich darauf vor, Urlaubsreisen wieder möglich zu machen. Digitale Impfpässe dürften bald ein zentrales Dokument für Reisende sein. Beim EU-Coronagipfel wurde nun ein europäischer Ausweis beschlossen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die Reisebranche kann es kaum erwarten, dass der Tourismus endlich wieder in Fahrt kommt. Ein peruanischer Reiseveranstalter fordert gerade auf Instagram, schon mal den nächsten Trip zu den Machu-Picchu-Ruinen zu planen. Derweil macht das im Kolonialstil errichtete Raffles Hotel in Singapur seine berühmte Long Bar wieder auf. Jenen Ort, wo es sonst täglich Hunderten Touristen den hier erfundenen Cocktail Singapore Sling serviert. Und der Billigflieger Ryanair wirbt in Großbritannien gewohnt eingängig: „Impf dich und los“.

Auch wenn die schrittweise Rückkehr zur Reisefreiheit noch einige Monate in der Zukunft liegt, wird eines zunehmend klar: Der gelbe WHO-Impfausweis oder digitale Alternativen werden wohl bald so wichtig wie ein Reisepass sein. Reisefreiheit ohne Testpflicht und Quarantäne könnte es demnach bald nur für gegen Corona geimpfte Menschen geben – zumindest solange die Pandemie nicht offiziell gestoppt ist.

In Europa hatten zuletzt vor allem Tourismusnationen wie Griechenland, Österreich, Spanien, Kroatien und Portugal auf eine schnelle Debatte gedrängt, ob dafür ein europäischer Impfpass geschaffen werden muss. Während die Bundesregierung die Diskussion darüber als verfrüht bezeichnet, fordert der Vizechef der CSU und Vorsitzende der Mehrheitsfraktion EVP im EU-Parlament Manfred Weber: „Die Bürger wollen Sicherheit, wie sie in Zukunft nach einer Impfung reisen können." Ein EU-weites Zertifikat für Geschäftsreisende und Touristen sei eine praktikable Lösung. Beim EU-Corona-Sondergipfel am Donnerstagabend einigten sich die Länder schließlich darauf, ein solches europäisches Dokument einzuführen, vorerst allerdings erst einmal ohne Reiseprivilegien. Die sollen zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert werden.

Grundsätzlich ist so etwas nichts Neues. So darf in einige afrikanische Staaten nur einreisen, wer gegen Gelbfieber geimpft ist. Noch länger ist die Liste der Länder, die die Einreise von jenen, die sich zuvor in Gelbfieberregionen aufgehalten haben, nur erlauben, wenn ein Impfnachweis vorliegt. Dazu zählen unter anderem Australien, Singapur, Südafrika, Ägypten und mehrere französische Überseegebiete. Dass es vielerorts solche Regelungen künftig auch für Covid-19 geben wird, gilt als wahrscheinlich.

Impfprogramme seien ein wichtiger Schritt, um den Tourismus neu zu starten, sagt Zurab Pololikashvili, Generalsekretär der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) auf Anfrage. Ein Gesundheitspass sei dabei ein möglicher Bestandteil, neben international harmonisierten Regeln. Noch ist es Pololikashvili aber zu früh, um definitive Aussagen zu machen. 

Wie sicher sind Geimpfte?

Denn derzeit wäre es noch nicht ganz plausibel, wenn der Impfpass tatsächlich zum Persilschein für globale Reisefreiheit würde. Noch nämlich steht eine entscheidende Frage im Raum: Können geimpfte Personen, auch wenn sie nicht krank werden, das Virus trotzdem übertragen? Bis Februar rechnet der Impfstoffhersteller Biontech mit ersten Erkenntnissen. Die meisten Konzerne und Verwaltungen verlassen sich offenbar darauf, dass es so kommt. Zahlreiche Länder arbeiten gerade an digitalen Impfausweisen, die das Reisen bald erleichtern sollen. Das Weltwirtschaftsforum hat gemeinsam mit der Common-Project-Stiftung sowie zahlreichen Airlines und Flughäfen einen sogenannten CommonPass entwickelt. In das international gültige Dokument, das auch Technologiekonzerne wie Microsoft, Oracle und Salesforce unterstützen, soll neben Corona-Test-Ergebnissen künftig auch der Impfstatus hinterlegt sein.

Die Zeit für eine solche Lösung drängt, denn nicht nur am Mittelmeer leben viele Weltregionen vom Tourismus. In Kambodscha etwa sorgten Urlauber laut der „South China Morning Post“ 2018 noch für etwa 18 Prozent der Wirtschaftsleistung. In Thailand waren es zuletzt elf Prozent. Auf der indonesischen Insel Bali sind etwa 70 Prozent der Einwohner vom Tourismus abhängig. Der wirtschaftliche Schaden, den das Virus in solchen Staaten anrichtet, ist zurzeit gewaltig.

Viele Menschen können es zudem kaum erwarten, wieder in die Urlaubsregionen zu kommen. Dänemark hatte auch deshalb vor einigen Tagen angekündigt, einen digitalen Impfausweis für Menschen zu entwickeln, die eine Covid-19-Impfung erhalten haben. Dänemarks Gesundheitsminister Magnus Heunicke: „Wir erwarten, dass andere Länder einen Nachweis über eine Impfung verlangen werden, wenn man einreisen will.“ Hierfür könne der dänische Impfpass genutzt werden. Das digitale Dokument soll in den ersten Monaten dieses Jahres vergeben werden.

Israels Gesundheitsminister hat unterdessen angekündigt, geimpften Bürgen für sechs Monate einen „grünen Pass“ auszustellen, der es ihnen erlaubt, an Massenveranstaltungen teilzunehmen, so die „Times of Israel“. In Indien soll jeder, der geimpft wurde, einen QR-Code erhalten, mit dem er sich ausweisen kann. Zypern plant ab 1. März, Menschen mit einem Impfnachweis auch ohne negativen Corona-Test ins Land zu lassen. Und Belgien hat sich für einen allgemein gültigen internationalen Nachweis der Impfung ausgesprochen.

Papier ist leicht zu fälschen

So dürfte schon bald auch ein blühender Markt für gefälschte Impfdokumente entstehen. Die französische Polizei etwa hat bereits im November sechs Männer und eine Frau festgenommen, die Reisenden gefälschte Corona-Test-Bescheinigungen verkauft haben. Der allseits verbreitete gelbe WHO-Impfausweis ist ebenso anfällig für solche Betrugsversuche. Das Papierdokument und die Einträge darin sind leicht zu fälschen. Es gibt anders als beim Reisepass oder Geldschein keine Sicherheitsmerkmale. Daher spricht derzeit vieles für digitale Lösungen.

Möglicherweise könnte der CommonPass tatsächlich bald zum Mittel der Wahl werden. Das digitale Dokument wird seit Oktober auf Flugrouten zwischen New York und London sowie zwischen Hongkong und Singapur getestet. Inzwischen ist auch die Lufthansa dem Programm beigetreten. An das Netzwerk hinter dem CommonPass sind Labore sowie Impf- und Gesundheitsorganisationen aus aller Welt angeschlossen. Das Dokument soll so zweifelsfrei belegen können, dass ein Passagier die Gesundheitsvorgaben der Airline oder der Länder, in die er einweisen will, erfüllt.

Taucht etwa ein Passagier mit einem deutschen Impfausweis in Marokko auf, ist es für die Behörden dort eine Herausforderung, Echtheit und Inhalt zu verifizieren. Eine einheitliche Lösung kann da vieles vereinfachen. Der CommonPass greift auf Wunsch des Passagiers direkt auf die Datenbanken der angeschlossenen Labors und Gesundheitsorganisationen zu. Und für jene, die kein Smartphone haben, gibt es ein Papierdokument mit einem QR-Code. Eine diese Woche gestartete Impfnachweis-Initiative will die Impfdaten nun in den CommonPass integrieren. In wenigen Wochen soll er dann international ausgerollt werden.

„Lösungen wie der CommonPass sind für Touristen schnell und einfach zu nutzen“, sagt UNWTO-Chef Pololikashvili. Sie könnten das Vertrauen der Reisenden wieder herstellen, das sei eine wichtige Sache in diesen unsicheren Zeiten.

Privilegien für reiche Länder

Die geplanten digitalen Impfausweise sorgen jedoch nicht bei jedem für Zustimmung. Weltweit besitze nicht einmal jeder zweite Mensch ein Smartphone, so Kritiker. Dadurch werde eine Zweiklassengesellschaft geschaffen. Auch habe nicht jeder im gleichen Maße Zugang zu einem Impfstoff. Gloria Guevara, die Chefin des Weltreise- und Tourismusrats sagte vor wenigen Tagen: „Wir sollten niemals eine Impfung verlangen, damit jemand einen Job haben oder reisen darf.“ Das sei ein Weg hin zur Diskriminierung.

Fragen wirft zurzeit auch der große Unterschied zwischen den Impfstoffen selbst auf, wenn es um deren Wirksamkeit geht. Während die von Moderna und Biontech Werte von deutlich über 90 Prozent erreichen, liegt der beim chinesischen Konkurrenten Sinovac nur knapp über 50 Prozent. So verhindert das Mittel offenbar recht zuverlässig schwere und mittlere Verläufe, nicht aber sehr schwache und schwache. Dass Geimpfte das Virus an andere übertragen können, ist hier offenbar wahrscheinlicher als bei den Mitteln von Biontech und Moderna.

Reiche Industrienationen haben sich außerdem 54 Prozent der aussichtsreichsten Impfstoffkandidaten gesichert, obwohl sie nur für 14 Prozent der Weltbevölkerung stehen. Das bedeutet, dass beliebte Tourismusländer wie Kambodscha oder Kenia 2021 wohl weitgehend leer ausgehen werden. Umso wichtiger ist es, dass Touristen keine Viren ins Land schleppen oder diese im Land verteilen.



Die Bundesregierung hatte sich zuletzt zwar gegen Privilegien für geimpfte Personen ausgesprochen. Allerdings ist ihr Einfluss, geht es um den internationalen Tourismus, eher beschränkt. Haben doch andere Regierungen, Hotelketten, Airlines ein Wörtchen mitzureden.

Mehr Airlines wollen nur Geimpfte

Alan Joyce, Chef der australischen Fluglinie Qantas jedenfalls, nimmt kein Blatt vor den Mund. „Als Ire muss ich einfach sagen, wenn ich etwas für richtig halte“, so der in Dublin geborene Manager. Gerade als sich die weltgrößten Fluglinien beim virtuellen Jahresgipfel des Weltluftfahrtverbandes Iata im November gegen allzu strenge Auflagen wie eine Quarantänepflicht ausgesprochen hatten, verkündete er, sein Unternehmen werde bald nur noch gegen das Coronavirus geimpfte Kunden an Bord lassen. „Sobald genug Impfungen verfügbar sind, werden wir unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen entsprechend ändern,“ erklärte er. „Ich glaube, das wird eine normale Sache sein, nach Gesprächen mit meinen Kollegen von anderen Airlines zu urteilen.“

Inzwischen hat Joyce in der Branche reichlich Fürsprecher, wenn auch keinen, der ihm öffentlich beispringt. „Es ist ein guter Ansatz, falls und sobald er umsetzbar ist“, so ein Vorstand einer großen europäischen Fluglinie, der angesichts der harschen Kritik am Qantas-Chef lieber anonym bleiben will. „Allein die Aussicht ohne Immunisierung nur eingeschränkt reisen zu können, dürfte die Impfmüdigkeit senken.“

Auch Lufthansa-Chef Carsten Spohr äußerte sich zuletzt offener gegenüber strikteren Auflagen für Passagiere. „Ich glaube, dass auf bestimmten Strecken in Zukunft jeder Passagier entweder getestet oder geimpft sein wird“, so der Manager. Das gelte besonders für Langstrecken.

Wieder entspannter reisen

Die Stimmung an Bord dürfte das deutlich auflockern. Das zeigt die Erfahrung auf all jenen Flügen, wo die Fluglinien nur Passagiere in die Kabine ließen, die vor Abflug einen negativen Corona-Schnelltest absolviert haben. „Die Stimmung war so entspannt wie früher“, erinnert sich ein Passagier an einen der Lufthansa-Flüge zwischen München und Hamburg, wo die Linie für alle Kunden einen Schnelltest zahlte. „Ganz anders als auf anderen Flügen, wo alle zusammenzucken und nicht selten feindselig blicken, wenn jemand hustet oder niest.“

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

In diesem Sommer aber dürften die Impfpässe zumindest auf den wichtigen Routen noch keine allzu große Rolle spielen. „Gerade die jüngeren und besonders reisefreudigen Kunden werden ja nach Lage der Dinge frühestens nach der Hauptreisezeit im Sommer geimpft werden können“, so ein Vorstand einer großen europäischen Fluglinie. „Und auf die zu verzichten, wäre angesichts des ohnehin mauen Geschäfts schwer zu verkraften.“

Dazu fürchtet die Branche, dass es statt einer weltweit einheitlichen Regelung deutliche regionale Unterschiede geben könnte. „Am Ende könnten dann einige Länder bestimmte Vakzine kurzfristig nicht mehr anerkennen und dann dürften Passagiere trotz Impfung nicht mitfliegen“, so ein Vorstand einer großen europäischen Linie. „Das würde mehr schaden als helfen.“

Mehr zum Thema: Corona hat Jahrzehnte des Wachstums im Tourismus abrupt ausradiert. Ausgerechnet das Münchner Familienunternehmen Studiosus zeigt, wie sich die Branche wandeln muss.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%