
WirtschaftsWoche: Herr Gottlieb, nach über 21 Jahren als Chefredakteur verlassen Sie nun den Bayerischen Rundfunk. Sie sind der ARD-Kommentator mit den meisten Meinungsbeiträgen - über 350. Mit Ihnen geht zweifellos einer der streitbarsten Journalisten des Landes. Ist es Zeit?
Sigmund Gottlieb: Streitbar war ich immer, weil ich wusste: Wir brauchen zu bestimmten Themen eine klare Haltung. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht im Mainstream rundgeschliffener Bewertungen verlieren. Und wir müssen Kommentar und Nachricht sorgsam voneinander trennen. Da vermischt sich meiner Beobachtung nach in jüngster Zeit eine ganze Menge. Auch wenn wir in die USA blicken. Wir Deutschen haben so ein Bewertungssyndrom in uns. Das müssen wir bekämpfen. Sonst kommen wir da in eine Glaubwürdigkeitskrise.
Zur Person
Sigmund Gottlieb, 65, ist Lehrerkind aus Nürnberg. Als Oberlehrer – wie ihn manche beschreiben – machte er sich auch später einen Namen: meinungsstark, thesenfreudig, gerne auch querulant – so trat der Journalist oft im Deutschen Fernsehen auf. Über 350 Mal ordnete er als Kommentator für die ARD-Zuschauer die Weltlage ein. Rekord. Nun geht der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks nach 21 Jahren im Amt in den Ruhestand. Begonnen hatte er seine Karriere nach dem Volontariat 1978 beim Münchner Merkur, wechselte aber schon 1981 zum ZDF, von dort nach der Wende zum Bayerischen Fernsehen wo er zunächst Vize-, ab 1995 dann Chefredakteur wurde.
Ist Meinung wirklich Ihr Hauptproblem? Sie erreichen die jungen Menschen nicht mehr.
Der BR ist wie ein edler Diamant. Der bedarf eines konsequenten und akkuraten Feinschliffes, um auch im digitalen Zeitalter zu glänzen. Sehr wichtig ist, dass wir weiterhin erstklassigen Journalismus machen. Das beginnt schon beim journalistischen Handwerk, das wir uns jeden Tag mit größter Sorgfalt neu erarbeiten müssen. Das wird natürlich in der digitalen Zeit immer schwieriger. Da müssen wir den inneren Schweinehund bekämpfen, der immer sagt: das geht schon so, das passt schon. Nein: „Passt schon“ ist nicht genug. Qualitätsjournalismus ist eine Kärrnerarbeit, die sich auch junge und jüngere Kollegen ganz oben auf die Fahnen schreiben müssen.
Der BR steckt gerade mitten im größten Umbau seiner Geschichte. Sind Sie besorgt?
Ich würde eher sagen realistisch. Gerade im Digitalzeitalter ist es umso wichtiger, das gute alte angelsächsische Prinzip einzuhalten: Sei der erste, aber vor allem, sei zunächst richtig: "Be first, but first be right". So manchem Online-Medium ist es heute oft wichtiger, erster zu sein. Das kann zu Problemen führen. Bei der Verkündung des NPD-Urteils etwa haben einige Online-Medien gar nicht gut ausgesehen, weil sie eben zu schnell waren und falsch lagen.
Genau dahin aber will sich ihr Haus doch entwickeln und als erste große öffentlich-rechtliche Anstalt trimedial arbeiten, also Online, Fernsehen und Hörfunk gleichzeitig recherchieren und bedienen. Da dürfte Tiefe eher verloren gehen.
Es ist wichtig, dass wir jeden Tag spüren und erspüren, was die Menschen bewegt. Dass wir unsere Recherchen nicht nur auf Google beschränken, sondern vor Ort sind und auch vor Ort gehen. Aber ich gebe zu: all das ist nicht mehr so leicht, wie es früher Mal war. Die Gelder sind nun mal heute begrenzt. Wir dürfen darüber aber nicht vergessen, was uns das wichtigste ist: die Inhalte. Erst wenn wir gute Stoffe haben, können wir darüber sprechen, wie wir sie zu den Menschen bringen. Dennoch bedeutet Trimedialität ja nicht weniger Tiefe – im Gegenteil.
Sie wollen also sparen und dabei gleichzeitig gründlicher arbeiten? Das dürfte kaum zu vereinen sein.
Wenn sie künftig etwa für die „Rundschau“ die Beiträge aus den jeweiligen Fachredaktionen – also beispielsweise Landwirtschaft, Umwelt oder Verbraucher – zuliefern lassen und nicht mehr selbst produzieren, dann setzt das Mittel frei und Personal, das wir an anderer Stelle einsetzen können: etwa im digitalen Bereich. Die trimediale Planung des Programms ist dabei der Schlüssel. Wenn man sich anschaut, wer in den vergangenen Jahren alles gemeinsam am selben Thema dran war. Und wenn man dann noch sieht, dass diese vielen Redakteure oft gar nichts voneinander gewusst haben – dann fragt man sich schon, warum wir eigentlich mit dieser Entwicklung so lange gebraucht haben. Es ist allerhöchste Zeit, die Doppel- und Dreifach, ja manchmal sogar Vierfachstrukturen abzubauen. Und da sind wir beim BR sehr gut dabei.
Die Signale nach außen sind andere. Gerade erst haben sie - die reiche Anstalt – angekündigt, das ARD-Mittagsmagazin an den bislang klammen Berliner rbb abzugeben. Für viele im Haus ein ungeheuerlicher Vorgang.
Das ARD-Mittagsmagazin ist ein hochklassiges journalistisches Produkt, für das der BR fast drei Jahrzehnte lang ein Markenzeichen gesetzt hat. Umso schmerzhafter ist es, dass wir es 2018 drangeben müssen. Warum: weil es in der ARD nicht umlagefinanziert ist. Wir als BR haben die Kosten alleine getragen, und das geht jetzt einfach nicht mehr. Die finanziellen Spielräume sind sehr viel enger geworden. Durch die neue Haushaltsabgabe für den Rundfunk haben sich innerhalb der ganzen ARD finanzielle Verschiebungen ergeben. Der BR muss sich deshalb nun stärker einschränken als andere Sender. Bisher haben wir das bei Technik und Verwaltung getan. Nun müssen wir auch ins Programm schneiden. Das tut weh.