Werner knallhart
Quelle: imago images

Wie wir vom Kundenservice billig abgespeist werden

„Leider eine ungewöhnlich hohe Zahl von Kundenanfragen“ – jaja. Wer seine Vertragspartner mit plumpsten rhetorischen Tricks abspeist, setzt den Keim für Misstrauen. Das ist Marketing-Gift. Aber wird gefühlt immer mehr. Sind die Firmen schlecht beraten? Eine Kolumne.

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Ein sehr liebes Familienmitglied hat einen sehr (eigentlich sogar sehr, sehr) unansehnlichen Lockenstab im Badezimmer liegen. Deshalb gibt es jetzt eine neue Heißluftbürste zum Geburtstag. Ich war deshalb am Samstag bei Mediamarkt. Dort spricht mich eine sehr junge (vielleicht 19 Jahre alte) Verkäuferin mit sehr langen Haaren an: „Kann ich Ihnen helfen?“

„Ich suche eine Heißluftbürste.“ „Hier“, sie weist auf ein klobiges, rosafarbenes Gerät mit einer für mein Dafürhalten als Kurzhaarmensch ungewöhnlich großen Bürste: „Die haben eigentlich alle.“ „Die ist aber ganz schon unhandlich“, sage ich und versuche auszustrahlen, dass ich zwar keine Ahnung habe, aber doch meine eigenen Vorstellungen als kritischer Laie. „Ja, aber damit kann man total gut sehr schnell viele Haare gleichzeitig trocknen und frisieren.“ „Ja, aber was ist denn mit der hier drüben? Die ist ja viel schmaler und leichter.“
Was würde die Verkäuferin nun wohl sagen? Sie sagte: „Ja, die ist auch gut. Weil die so schön handlich ist, kann man mit der auch viel besser und schneller frisieren.“

Die Frau war jung, war am Üben und dachte wohl: Diesem Kurzhaarmann kann ich eh alles Mögliche über Heißluftbürsten erzählen. Ich habe ihr das nicht übel genommen. Doch der Service-Effekt war natürlich gleich null.

Übel nehme ich solche Arten von Null-Service allerdings Firmen, die vollgestopft sind mit erfahrenen Profis. Die ihre Erfahrung mitunter sogar dafür nutzen, den Nullservice als Heldentaten ihres Unternehmens zu feiern. Dank Kommunikationsstrategien, die intern womöglich als ausgefuchst gehandelt werden, uns Kundinnen und Kunden gegenüber aber einfach nur als Frechheit rüber kommen. Ich wüsste ja so gerne mal die Antwort auf die eine Frage, die mich schon so lange umtreibt: Für wie leichtgläubig halten die uns eigentlich?

1. Der Klassiker: Horrende Wartezeiten an der Hotline als unabwendbare Gottesstrafe

„Leider erreichen uns gegenwärtig ungewöhnlich viele Kundenanfragen.“ Diese Ansage ist unter jeder erdenklichen Konstellation keine Entschuldigung. Denn:

  1. Angenommen, die Behauptung stimmt gar nicht (und ich unterstelle, es stimmt zumindest dann nicht, wenn, wie etwa einer deutschlandweit aktiven Kreditbank aus Berlin, über den ganzen Tag hinweg und Tag für Tag angeblich ungewöhnlich viele Kundenanfragen eingehen): In diesem Fall soll so eine Lüge schlicht Kunden daran hindern, zu erkennen, dass gnadenlos am Kundenservice gespart wird.
  2. Angenommen, es rufen wirklich so schrecklich viele Leute an, dann gibt es dafür in der Regel einen Grund, der nicht unvorbereitet kommt: Der erste Weihnachtsfeiertag, Umstellung auf ein neues Kreditkartenangebot, erhöhte Abokosten, Poststreik. Also: Kein Grund zum Verdutzen.
  3. Kommt der Grund tatsächlich ungeplant, muss das noch lange nicht bedeuten, dass der Kundenservice unvorbereitet sein muss. Internetstörung, Störung eines Bezahldienstes nach Software-Update, Störungen bei der Bahn nach Unwetter. Auch damit muss und kann man rechnen. In Flugzeugen rechnen auch immer alle mit dem Unwahrscheinlichen, dem Schlimmsten und sind vorbereitet. Tut man es nicht, ist das nicht „leider, leider“, sondern schlecht gemanagt. Das gilt auch für Online-Händler, Banken, Handynetzbetreiber und ja: vor allem diese Kreditbank aus Berlin!

Aber in der Regel dürfte das überraschend hohe Kundenaufkommen über Stunden hinweg schlicht eine Lüge sein.

2. Das Service-Versprechen, das niemand glaubt

Nehmen wir mal einen beliebigen Streamingdienstanbieter. Nehmen wir mal, öhmöhmöhm: WOW von Sky! Wenn bei denen mal wieder irgendetwas beim Öffnen, Anmelden, Einloggen, Starten, Auswählen der Sprache oder so schief geht, dann steht da auf dem Bildschirm sinngemäß, dass da, upps, was schiefgegangen ist, dass das so nicht sein soll und dass die sich: Achtung! Drum kümmern.

Ich stelle mir dann am Sonntag um 22 Uhr 47 mit der Fernbedienung in der Hand vor, wie die da bei WOW in diesem Moment in irgendeinem nerdigen Coder-Zimmer in einem deutschen Gewerbegebiet jemand hysterisch aufspringt: „Shit. Bei Dingsbums, äh, hier: Marcus Werner. Da geht der englische Untertitel irgendwie nicht rein.“ Der andere: „HÄ?“ „MANN! Ich hab gesagt, bei diesem Marcus -“ „JA! Sehe es hier schon, reg dich ab, Digga!“, rauft sich die Haare. „Was machen wir denn jetzt?“ Kaut irre blickend die Nägel: „Kein Plan, Alter. Sag du!“ „Nein, sag du.“ „NEIN, DU!“

Und so weiter. Und dann fällt mir wieder ein: In Wahrheit wird nie auch nur ein Mensch einen müden Finger rühren. Weil das ja eine Service-Lüge ist. Zumindest warte ich bis heute um WOW-Hinweise zum Ergebnis des Kümmerns. Das Maximale, was ich denen zutraue, ist, dass irgendein Stückchen Statistik-Software mitzählt, an welcher Stelle das Portal am häufigsten abstürzt.

3. Der Hopp-Hopp-Service, der uns irre macht

Da buchen Sie eine Reise und sind danach doppelt urlaubsreif. Weil die Buchungs-App Sie aufpeitscht: „Schnell. Andere gucken es sich auch gerade an.“

Soll heißen: Denk nicht nach und gib uns schnell dein Geld, sonst stehst du am Ende ohne Urlaub da.

Wie da mit der Anzeige von Restplätzen und Restzimmern getrickst wird, um uns in Torschlusspanik zu versetzen, ist ja so ein Verbraucher-Rätsel für sich. Dass die Zahl zumindest nicht immer stimmt, kann man aber schön nachweisen, wenn man ein paar Freunde bittet, im Buchungsportal gleichzeitig dasselbe Hotel aufzurufen. Wenn dann vier gleichzeitig draufgehen und angezeigt wird: „Zwei andere betrachten das Angebot gerade“.

Ein bisschen Marketing-Make-up ist ja okay. Aber wenn so offensichtlich die Unwahrheit behauptet wird, treibt das doch einen Keil zwischen uns Verbraucher und diejenigen, die unser Geld haben wollen. Ich bin überrascht, für wie naiv uns viele Firmen halten.

Sagt doch einfach: „Alle Mitarbeiter sind im Gespräch.“ „Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuche es erneut.“ Und hört auf, uns zu hetzen. Das ist unseriös.

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