Begehrter Rohstoff Lithium-Abbau in Argentinien – die Schattenseite der Energiewende

Sole verdunstet in Becken der Lithiumextraktionsanlage des Unternehmens SQM Lithium in der Nähe von Peine, Chile. Quelle: AP

Im argentinischen Hochland existieren riesige Lithium-Vorkommen. Große Bergbauprojekte gefährden jetzt die Wasserversorgung und den Wohlstand der indigenen Bevölkerung.

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Irene Leonor Flores de Callata führt eine Herde aus Lamas und Schafen durch ein ausgetrocknetes Flussbett in der Wüste. Die 68-Jährige gehört dem Volk der Kolla an, das seit Jahrhunderten in einer der weltweit wasserärmsten Gegenden im Norden Argentiniens lebt. Die Berggemeinden dort fürchten nun um das für sie so wichtige Trinkwasser. Denn die Lithiumförderung in der Region bedroht die natürlichen Ressourcen.

Im sogenannten Lithium-Dreieck, das sich über Argentinien, Chile und Bolivien erstreckt, sitzt die indigene Bevölkerung auf einer Billionen Dollar schweren Schatzkammer aus „weißem Gold“, dem größten Lithium-Vorkommen auf der Erde. Das Leichtmetall ist ein Schlüssel im globalen Kampf gegen den Klimawandel. Es kommt in Antriebsbatterien von Elektroautos ebenso zum Einsatz wie in der Solar- und Windenergie. Doch durch die Lithiumförderung sinkt der natürliche Wasserspiegel, und Süßwasser geht verloren. „Wir werden alles verlieren“, sagt Flores de Callata. „Was werden wir tun, wenn wir kein Wasser mehr haben? Wenn die Minen kommen, werden wir unsere Kultur verlieren, uns wird nichts bleiben.“

Zwischen den Jahren 2021 und 2023 hat sich der Preis für eine Tonne Lithium auf den US-Märkten fast verdreifacht. Im vergangenen Jahr erreichte er nach Angaben der US-Behörde United States Geological Survey ein Hoch von 46.000 Dollar. In China, dem größten Abnehmer von Lithium aus der südamerikanischen Region, wurde das Alkalimetall 2023 zum Höchstpreis von 76.000 Dollar verkauft. Zwar fielen die Preise seitdem, doch die Aufmerksamkeit von Staats- und Regierungschefs sowie Bergbaukonzernen weltweit richtet sich verstärkt auf das Dreieck. Von den USA bis China sehen sie die Lithium-Vorkommen sowohl als Geldquelle wie auch als Motor für die Energiewende.

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Das „weiße Gold“ liegt dort in Hunderten Salzseen oder „Salares“, die von weitem aussehen wie weite Schneeflächen. Doch unter der Erde befinden sich tiefe Brunnen aus salzigem, mineralienreichem Grundwasser. Im Unterschied zu anderen Abbauformen wird Lithium hier nicht aus Stein gewonnen, sondern aus dem Salzwasser, das aus den Seen gepumpt wird. Das Problem besteht darin, dass die Salzseen auch als wichtiger Teil eines hoch biodiversen Ökosystems dienen, wie die Hydrologin Ingrid Garcés von der Universität von Antofagasta in Chile erklärt. Zwar ist das Wasser aus den Lagunen nicht trinkbar. Doch diese sind mit Süßwasserquellen verbunden, von denen das Überleben Tausender indigener Gemeinden abhängt.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befürchten, dass bei der Wasserförderung in industriellem Maßstab sowohl Süß- und Salzwasser vermischt als auch die umliegende Umgebung ausgetrocknet werden. Sie sprechen von einem Dominoeffekt an Auswirkungen auf das Leben in der Region, die bereits von einer Dürre infolge des Klimawandels geplagt wird.

Aufgrund ihrer großen Bedeutung für die Umwelt sind die Salzseen in der indigenen Kultur zu heiligen Orten geworden, die bei jährlichen Feierlichkeiten der Bevölkerung im August eine wichtige Rolle spielen. Die Gemeinde von Flores de Callata ist eine von 38, die direkt an zweien solcher Seen liegen - den Lagunen Guayatayoc und Salinas Grandes. Dem Volk der Kolla bringen diese Einnahmen durch Tourismus und Salzförderung in geringem Umfang ein.

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Die Gemeinden kämpfen seit Jahrzehnten gegen große Abbauprojekte, auch vor Gericht. Doch jedes Jahr wird es schwieriger, sich gegen die Unternehmen durchzusetzen. Mehr als 30 Fördergesellschaften bemühen sich offiziell um eine Lizenz zum Abbau in den beiden Salzseen. Bewohnerinnen und Bewohner haben am Ufer Protestschilder mit Aufschriften wie „Respektiert unser Territorium. Verschwinde, Lithium-Unternehmen“ aufgestellt.

„Wir sind Hüter des Hochlands“, sagt Flores de Callata. „Wir verteidigen unser Land. Ich mache mir nicht nur Sorgen um mich selbst, sondern um uns alle. Wenn die Lithium-Minen kommen, wird das die ganze Region betreffen, alle Wasserwege im weiteren Sinne.

Im Sommer vergangenen Jahres hatte sich die Lage zugespitzt, als die örtliche Regierung die Ausweitung des industriellen Lithium-Abbaus ermöglichte. Die Umweltanwältin Alicia Chalabe, die die Gemeinden vertritt, und andere argumentierten, der Schritt verstoße gegen internationales Recht. Tausende Bewohnerinnen und Bewohnern blockierten aus Protest die Zufahrtsstraßen der Minengesellschaften.

Unter dem neuen rechtsgerichteten Präsidentin Javier Milei droht eine weitere Eskalation. Zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise kündigte Milei bereits weitreichende Deregulierungsmaßnahmen an, um Investoren wie Bergbauunternehmen anzulocken.

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Für Flores de Callata und ihren Heimatort Tusaquillas ist das steigende Interesse bereits ein Alptraum. Sie fragt sich, was in 20 Jahren übrig bleiben wird. „Wenn die Minen kommen, werden wir eine Zeitlang Geld haben. Aber unsere Enkel und Urenkel werden dann diejenigen sein, die leiden“, sagt sie. „Ich will alles dafür tun, um diese Gebiete zu verteidigen, damit sie noch diese Felder und ihr Wasser haben.“

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