Peter Terium intervenierte persönlich in Berlin. Gleich bei mehreren Terminen ließen der RWE-Chef, sein Stellvertreter Rolf Martin Schmitz und Finanzchef Bernhard Günther die Berliner Politik ihren Unmut spüren. Bei Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU), Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sowie Staatssekretär Werner Gatzer vom Bundesfinanzministerium beschwerten sich die Top-Energiemanager des Essener Energiekonzerns über das geplante neue Atomgesetz. Das geht aus einer Anfrage der Grünen hervor, die der WirtschaftsWoche vorliegt.
Das Ergebnis der intensiven Gespräche auf Regierungsebene: Der ursprünglich für den 3. August geplante Kabinettsbeschluss zum Gesetz wird nach Informationen der WirtschaftsWoche aus Berliner Regierungskreisen auf den 29. August verschoben. Bis dahin soll offenbar ein Kompromiss mit RWE und den anderen drei Atombetreibern E.On, Vattenfall und EnBW ausgelotet werden.
Die Atombetreiber sind sich uneinig, welcher Betreiber wie viel Geld in den geplanten Atom-Fonds zur Finanzierung des Atomausstiegs zahlen soll. Die Berechnungen, in die auch der Wirtschaftsprüfer Warth & Klein involviert ist, seien schwierig, heißt es aus Unternehmenskreisen. Es laufe noch ein „intensiver Abstimmungsprozess“ zwischen den vier Betreibern RWE, EnbW, E.On und Vattenfall.
Die Atomklagen in der Übersicht
Gut fünf Jahre nach der Katastrophe von Fukushima vom 11. März 2011 und dem abrupten deutschen Atomausstieg rollt die Welle von Schadenersatz-Klagen der Energiewirtschaft weiter – allerdings mit wenig Erfolg aus Sicht der Industrie. Anfang Juli wies das Landgericht Hannover die Forderung des Stromriesen Eon nach knapp 380 Millionen Euro Schadenersatz für die Betriebseinstellung der Atommeiler Isar 1 und Unterweser zurück. Eon wird wohl in Berufung gehen.
Auch in den bisherigen Verfahren zum 2011 verhängten Atom-Moratorium hatten sich die Gerichte zugeknöpft gezeigt: In Essen korrigierte das Gericht Ende 2015 den Schadenersatzanspruch von RWE noch vor der Entscheidung deutlich nach unten, in Bonn kassierte der EnBW-Konzern im Februar 2016 eine glatte Abweisung.
Das dreimonatige Moratorium für die ältesten deutschen Blöcke hatten die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Atomländer wenige Tage nach Fukushima vereinbart. Kurz danach folgte die Änderung des Atomgesetzes mit dem endgültigen Aus für zunächst acht Kraftwerke und dem Ausstiegsszenario für die übrigen Anlagen bis Ende 2022. Eon sieht sich bei Isar 1 und Unterweser enteignet und verlangt vom Bund sowie den Ländern Bayern und Niedersachsen eine Entschädigung. „Ich erwarte Gerechtigkeit“, hatte Konzernchef Johannes Teyssen im Frühjahr zu den Atomklagen zur Vorlage seiner Jahreszahlen gesagt. Diese waren – nicht zuletzt wegen der Energiewende – tiefrot.
Alle Kläger stützen sich auf eine Entscheidung des hessischen Verwaltungsgerichtshofes von Anfang 2013. Das Gericht hatte das Moratorium für die beiden RWE-Kraftwerksblöcke von Biblis an der Bergstraße für rechtswidrig erklärt – unter anderem, weil RWE vor der Entscheidung nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Die Entscheidung wurde vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt.
Schon in der mündlichen Verhandlung Ende April hatte der Vorsitzende Richter in Hannover, Martin Schulz, Zweifel an der Eon-Position angemeldet. Schließlich habe sich Eon 2011 gegen die möglicherweise rechtswidrigen Staatsauflagen nicht gewehrt. Wer nicht klage, könne nicht nachträglich Schadenersatz verlangen, sagte Schulz. Diese Sichtweise bestimmte nun auch das Urteil: Mit einem Gang zum Verwaltungsgericht hätte Eon das Moratorium möglicherweise stoppen können, sagte das Gericht. Auf die verbreitete Anti-Atomstimmung nach Fukushima, die einen solchen Schritt unmöglich gemacht habe, könne sich Eon nicht berufen. Schließlich sei die Kernenergie schon lange vor der Katastrophe in Japan umstritten gewesen.
Das wichtigste Verfahren ist die Mitte März dieses Jahres verhandelte Grundsatzklage von Eon, RWE und Vattenfall gegen den schnellen Atomausstieg vor dem Bundesverfassungsgericht. Bisher ist nicht bekannt, wann hierzu das Urteil fällt. Falls die Konzerne beim höchsten deutschen Gericht gewinnen, könnten Zivilrechtsverfahren mit Forderungen in zweistelliger Milliardenhöhe folgen.
Das bezweifeln manche Beobachter. Schließlich steht der milliardenschwere Atomausstieg an – und die Industrie will dringend die kaum kalkulierbaren Lasten für die Endlagerung loswerden. Nach dem Vorschlag der Atom-Kommission von Ende April sollen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW dafür insgesamt 23,3 Milliarden Euro in einen Fonds überweisen. Über Details wird derzeit heftig hinter den Kulissen gerungen. Das Fallenlassen aller Klagen seitens der Industrie könnte zur Verhandlungsmasse in diesem Poker um Milliarden zählen, wird vermutet.
RWE sträubt sich gegen die Empfehlungen der Atomkommission, auf denen das neue Gesetz basieren soll. Sie sehen vor, dass sich die vier Atombetreiber gegen Zahlung von insgesamt 23,3 Milliarden Euro von den Lasten der Zwischen- und Endlagerung des Atommülls freikaufen können.
Die dafür von den Konzernen gebildeten Rückstellungen von 17,2 Milliarden Euro sowie einen Risikoaufschlag von sechs Milliarden Euro sollen sie spätestens 2017 in einen Atomfonds einzahlen. Dieser soll als unabhängiges Sondervermögen vom Bundesfinanzministerium verwaltet werden.
Ratenzahlung für den Risikoaufschlag oder Vollhaftung bei RWE
Das RWE Management-argumentiert, die Zahlungen überstiegen die Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Unterstützung bekommt RWE von seinen kommunalen Aktionären. Ernst Gerlach, Geschäftsführer der kommunalen RWE-Aktionäre, befürchtet in einem Interview mit der Börsenzeitung, der Konzern können an die Grenzen seiner finanziellen Belastbarkeit kommen, wenn RWE Ende des Jahres auf einen Schlag den von einer Regierungskommission vorgeschlagenen Milliardenbetrag für den staatlichen Atommüll-Fonds überweisen müsse.
Die kommunalen Aktionäre halten rund 24 Prozent der RWE Anteile. Sie treibt die Sorge um, dass die alte RWE eines Tages mit den Altlasten aus der Atom- und Braunkohleverstromung alleingelassen werde, sagte Gerlach. RWE hatte Ende 2015 angekündigt, sich wegen der Folgen der Energiewende aufzuspalten. Dabei wird das Geschäft mit Ökostrom, Netzen und Vertrieb in die neuen Tochter Innogy abgetrennt, die Ende des Jahres an die Börse gehen soll. Im Mutterkonzern RWE bleiben nur noch das angeschlagene Geschäft mit fossilen Großkraftwerken und der Energiehandel.
Um zu einer Einigung bei der Finanzierung der Atom-Altlasten zu kommen, wird in Berlin nun überlegt, RWE den Zusatzbetrag für den Atomfonds in Raten zahlen zu lassen. Unklar ist aber, zu welchen Konditionen dies geschehen könnte. Eine andere Möglichkeit wäre, RWE für die Atom-Folgekosten weiter voll haften zu lassen. Mit einer Sonderregelung für RWE könnten sich aber wiederum die anderen drei Atombetreiber benachteiligt fühlen.
Die Opposition warnt bereits davor, dem Druck der Betreiber nachzugeben. "Es darf jetzt keinen trickreichen Murks geben, damit die Konzerne am Ende noch billiger davonkommen", sagt Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.