Energiepreise Wie Verbraucher sich vor einem teuren Energie-Winter schützen

Ist Energiearmut in Deutschland eine echte Gefahr? Quelle: imago images

Der Versorger E.On nimmt erst einmal keine neuen Gas-Kunden mehr, die EU will mit einem „Werkzeugkasten“ helfen: Zehn Antworten darauf, was der Winter bringt, was er kostet – und was Verbraucher tun können.

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1. Der deutsche Versorger E.On schließt keine neuen Gasverträge ab, wegen der hohen Einkaufspreise. Muss das mir als Verbraucher Angst machen?
Es war schon ein ziemlicher Schritt, den der Essener Konzern Mitte der Woche gegangen ist: Wir nehmen jetzt vorerst keine neuen Kunden bei unseren Gas-Angeboten an. Das war die Botschaft. Klingt zunächst bedrohlich. „Aber Angst haben“, sagt Thomas Engelke, Teamleiter Energie und Bauen beim Verbraucherzentrale Bundesverband (Vzbv), „müssen Verbraucher derzeit nicht, weil es am Markt noch viele andere Anbieter gibt. Das bedeutet: Verbraucher können nach wie vor den Gasanbieter wechseln.“ Die Liberalisierung der Gas- und Energiemärkte komme den Verbraucherinnen und Verbrauchern jetzt zugute.

2. Und was, wenn mein Gasanbieter die Preise plötzlich erhöht? Was soll ich dann tun?
Wenn etwa ein Gasanbieter die Preise erhöht, gibt es ein Sonderkündigungsrecht. Das heißt, Sie können innerhalb von 14 Tagen kündigen und sich einen neuen, günstigeren Anbieter suchen. „Wir empfehlen den Verbraucherinnen und Verbrauchern, dass sie die Preise der verschiedenen Anbieter vergleichen“, sagt Thomas Engelke. Der Wechsel könne sich lohnen. „Das ergibt insbesondere für diejenigen Sinn, die noch in einer teuren Grundversorgung sind“, sagt Engelke.

3. Aber wie kann das eigentlich sein: Da diskutiert die ganze Welt über die hohen Preise beim Sprit, bei Gas, bei Strom. Alle regen sich über die sogenannten Großhandelspreise auf. Wann kommt so was eigentlich bei mir als Verbraucher an?
Es ist nicht präzise vorhersagbar, wann, wie lange und mit welcher Wucht Großhandelspreise genau auf Verbraucherpreise durchschlagen. Normalerweise ist der Effekt zeitversetzt. „Beim Gas hat sich der Großhandelspreis in den letzten zwölf Monaten etwa verdreifacht und ist damit auf dem Niveau von 2008 angekommen“, sagt Engelke. „Der Verbraucherpreis steigt deutlich langsamer und liegt gegenwärtig auf dem Niveau von 2015.“ Den Grund für diese Verzögerung erklärt der Verbraucherschützer auch. „In Deutschland haben viele Gasanbieter Verträge mit längerer Laufzeit. Sie können die höheren Großhandelspreise deshalb zeitversetzt weitergeben. Bei steigenden Preisen ist das ein Vorteil, weil Verbraucher zunächst noch die alten Verträge haben und auch bei neuen Verträgen nicht sofort die aktuellen Großhandelspreise zahlen müssen.“ Klar ist jedenfalls: Einige Gasanbieter haben ihre Preise schon in diesem Jahr erhöht, andere Anbieter haben angekündigt, das sie bis Ende des Jahres erhöhen wollen.“ Das Vergleichsportal Verivox hat zuletzt Zahlen genannt und geht von Steigerungen von bis zu 20 Prozent aus. In einem gemeinsamen Positionspapier des Deutschen Mieterbunds und der Verbraucherzentrale Bundesverband, das diese Woche vorgestellt wurde, heißt es sogar: „Besonders bei Heizöl und Erdgas, aber zum Beispiel auch bei Fernwärme, sind Preissprünge von 9 Prozent bis 44 Prozent zu erwarten.“

4. Wird der Preisanstieg also den ganzen Winter über weitergehen?
Die EU-Kommission in Brüssel hat in dieser Woche ihre Sicht der Dinge auf den Energiemärkten in Form einer offiziellen „Mitteilung“ dargelegt. Die Behörde gibt sich vorsichtig optimistisch, was die mittelfristige Entwicklung betrifft. „Die Marktprognosen bei Energieerzeugnissen deuten darauf hin, dass die aktuellen Preissteigerungen wohl nur vorübergehend sind. Voraussichtlich werden die Gasgroßhandelspreise in den Wintermonaten hoch bleiben, im Frühjahr mit einer Stabilisierung der Situation aber wieder sinken. Gleichwohl dürfte das Preisniveau weiter über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre bleiben.“ Heißt also: Aufs Frühjahr hoffen. Klingt gut, aber, zuerst kommt, dann doch, der Winter. Und da sind die Aussichten erst einmal schwierig: „Ich rechne damit, dass Verbraucherinnen und Verbraucher auch zu Beginn des nächsten Jahres – also auch in der Wintersaison Januar, Februar, März – noch mit weiteren Preiserhöhungen rechnen müssen“, sagt Verbraucherschützer Engelke.

5. Was also tun? Vergleichen ist ja schön und gut. Aber was gibt’s noch?
Überlegt euch jetzt, wie ihr heizt – und ob es möglicherweise sinnvoll wäre, daran etwas zu ändern. Das ist der zweite Punkt, der Thomas Engelke wichtig ist. „Ungefähr die Hälfte der Verbraucher heizt noch mit Gas, ein Viertel mit Öl. In vielen Haushalten laufen Öl- und Gasheizungen, die über 20 Jahre alt sind.“ Nur: Was ist die Alternative? Engelke empfiehlt, zu prüfen ob eine Wärmepumpe möglich wäre. Wenn man ohnehin mit dem Gedanken spielt, die alte Gasheizung auszutauschen, wäre es eine Möglichkeit, durchzurechnen, ob das nicht günstiger sein könnte. „Wärmepumpen können allerdings in der Regel nur in energieeffizienten Häusern kostengünstig betrieben werden. Wichtig dabei ist, sich unbedingt beraten zu lassen, am besten von einer unabhängigen Energieberatung, wie sie auch – nicht nur, aber auch – von den Verbraucherzentralen angeboten wird.

6. Aber Wärmepumpen brauchen doch auch Strom, oder?
Genau.

7. Und der wird auch immer teurer, oder?
Richtig. Genau deshalb müssen Sie sich detailliert erkundigen: Lohnt sich der Umstieg auf eine Wärmepumpe für mich? Engelke sagt auch, man könne auch darüber nachdenken, den ganz großen Schritt zu wagen und eine energetische Grundsanierung durchführen. Allerdings mahnt er auch hier zur Vorsicht: „Aus neueren Untersuchungen wissen wir, dass sich die energetische Gebäudesanierung ohne finanzielle Zuschüsse vom Staat nicht rechnet. Hier ist es noch viel wichtiger, sich kompetent beraten zu lassen.“

8. Ist Energiearmut in Deutschland eine echte Gefahr?
In Spanien, in Italien, in Portugal, spielt die Gefahr von „Energiearmut“, also einer Situation, in denen Strom oder Gas gekappt wird, weil Rechnungen nicht bezahlt werden, eine größere Rolle. Noch. Aber auch in Deutschland gab und gibt es viele Sperrungen, kommen Menschen in die Situation, dass sie die Energierechnungen schlicht nicht begleichen können. 2020 wurden etwa 4,2 Millionen Haushalten in Deutschland eine Stromsperre angedroht, daraus entstanden 700.000 Beauftragungen beim zuständigen Netzbetreiber, durchgeführt wurden rund 230.000 Stromsperren. Gassperren wurden in Deutschland 2020 24.000 Mal durchgeführt. Dabei sind die Zahlen 2020 gesunken, weil viele Versorger im Corona-Jahr von Sperrungen abgesehen haben, um die zu Hause isolierten Verbraucher nicht zusätzlich zu belasten. Interessante Zahlen dazu gibt’s auf der Seite der Bundesnetzagentur.

„Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen von Energiesperren können für die Betroffenen verheerend sein. Aus diesem Grund müssen Energieschulden vermieden und Energiesperren verhindert werden“, heißt es in dem Papier von Mieterbund und Verbraucherschützern. Engelke formuliert zwei Forderungen: „Zusätzliche Gassperren müssen verhindert werden, damit vor allem Menschen in Haushalten mit geringem Einkommen nicht frieren müssen. Und das Wohngeld muss entsprechend angepasst werden, damit diese Haushalte in die Lage versetzt werden, ihre Rechnungen bezahlen zu können.“

9. Was soll die neue Bundesregierung also konkret tun?
Die EU-Kommission hat diese Woche einen „Werkzeugkasten“, wie es so schön heißt, vorgestellt, der den nationalen Regierungen allerlei „Werkzeuge“ aufzeigen soll, die sie nutzen können, wenn Verbraucher oder Firmen wegen ihrer Energierechnungen in Not geraten. In einer Erläuterung der Kommission heißt es: „Als Sofortmaßnahmen sollten vor allem maßgeschneiderte Maßnahmen getroffen werden, die die Auswirkungen auf schutzbedürftige Gruppen rasch verringern und leicht angepasst werden können, wenn sich die Lage wieder bessert.“ „Maßgeschneidert“ ist also das Motto der Kommission, was erst einmal gut klingt, aber auch heißt: Brüssel kann oder will hier jetzt erst einmal wenig tun. Es liegt an den nationalen Regierungen.

Steuererleichterungen und Zuschüsse sind jedenfalls erlaubt. Die Bundesregierung, also die unter Kanzlerin Angela Merkel, hat zunächst gesagt: Danke für den Hinweis. Wir sind eigentlich schon ganz gut gerüstet. In Deutschland sind die Preise bisher nicht so drastisch angestiegen und wir haben die Höhe der EEG-Umlage ohnehin gedeckelt. Und in Italien, Spanien und Frankreich haben die Regierungschefs ohnehin schon Maßnahmen umgesetzt, in Frankreich etwa die Preise gedeckelt. Der französische Präsident Emmanuel Macron will 2022 unbedingt wieder gewählt werden. Da kann er nichts weniger gebrauchen, als Gelbwesten 2.0, die in Paris vor dem Elysée-Palast demonstrieren oder Autobahnen blockieren. Für Deutschland fordert Verbraucherschützer Thomas Engelke dennoch Nachjustierungen: „Das Wohngeld ist gesetzlich geregelt. Das müsste entsprechend den Preissteigerungen der einzelnen Energiearten angepasst werden. Das ist möglich. Energiesperren können schon bei Zahlungsverzug von über 100 Euro erfolgen. Die Bundesregierung muss hier auf die Versorger einwirken.“ Es sind Aufgaben, die wohl vor allem schon die neue Regierung betreffen dürften. Die Energiepolitik, in all ihren Facetten, dürfte für eine Regierung Scholz in diesem Winter eines der Top-Themen sein.

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10. Was muss die Politik noch tun, um etwa die Strompreise zu senken?
Das ist dann schon wieder etwas stärker umstritten, je nachdem, aus welcher Perspektive man das betrachtet: Private Verbraucher oder Industrie. Prinzipiell gilt: Beim Strom ist alles etwas anders als beim Gas. Das Gas hat einen internationalen Preis, der gerade durch eine enorm hohe Nachfrage nach Flüssiggas in Asien, Lieferschwierigkeiten in Europa und eine etwas mystische Angebotspolitik von Gazprom in die Höhe getrieben wird. Der Strompreis aber wird ganz stark national festgelegt, die Beschaffungskosten machen nur einen Teil aus, preisprägend sind auch Umlagen, Abgaben, Steuern. Genau genommen ist der Strompreis ein polit-architektonisches Gesamtwerk, das entweder gesamtgesellschaftlich hilft, wie ein Schloss in der Stadtmitte oder das seinen Zweck verfehlt, wie ein sündhaft teurer Präsidentenpalast in der Wüste. Jedenfalls gilt: Die Bundesregierung hat einen deutlich höheren Einfluss als beim Gas.

„Die Verbraucherzentrale Bundesverband fordert von der Bundesregierung seit Langem, den Strompreis zu senken, weil er viel zu hoch ist. Auch Wärmepumpen brauchen günstigen Strom.“ Und dann formuliert er die Forderungen: Wir fordern ganz konkret, dass beim Strompreis die Industrieausnahmen – die energieintensive Industrie erhält besonders günstigen Strom – beim Netzentgelt abgeschafft und bei der EEG-Umlage steuerlich finanziert werden. Das betrifft die EEG-Umlage, das betrifft die Netzentgelte. Denn diese Ausnahmen müssen heute noch von allen anderen Verbrauchern zusätzlich geschultert werden.“ 

Auf die Industrierabatte haben viele Unternehmer natürlich eine andere Sicht, gerade von energieintensiven Betrieben. Viele Geschäftsführer sagen: Wahnsinn, was da gerade auf den Energiemärkten geschieht. Wenn wir gerade beim Strompreis nicht entlastet werden, entzieht uns das die Existenzgrundlage. Verbraucherschützer Engelke ist es wichtig zu betonen, dass er diesen Teil der Wirklichkeit nicht ausblendet: „Für alle wird der Strompreis zunehmend zum Problem. Der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert daher nicht, dass die Industrie keine günstigen Stromtarife erhält.“ Auch die Stromsteuer, sagt er, sollte auf das von der EU erlaubte Mindestmaß reduziert werden.

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