Milliarden-Schadenersatz gefordert „Wir verfolgen dieses Verfahren mit aller gebotenen Härte“

Quelle: imago images

Bis zu 11,6 Milliarden Euro will der deutsche Gas-Importeur Uniper in einem Schiedsverfahren von den Russen zurückhaben. Vor der Übernahme durch die Bundesregierung soll die Weste möglichst rein sein. Nur scharfe Brüsseler Auflagen fürchtet der Konzern.

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Es ist erst ein paar Monate her, dass Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach stolz behauptete: Wenn er bei Alexej Miller anrufe, dann gehe der Gazprom-Chef auch dran. Das war bevor die Russen alle Gaslieferungen, über die nun lecke Pipeline Nord Stream 1 stoppten, bevor Uniper für Milliarden Euro Gas an den Spotmärkten nachkaufen musste. Und das war, bevor in Berlin entschieden wurde, Uniper mit einem atemberaubenden Milliardenpaket zu verstaatlichen.

Mittlerweile reagiert Miller überhaupt nicht mehr, wenn Maubach sich meldet, weder telefonisch noch schriftlich. Aber dennoch: Maubach hat am Mittwochmittag von Düsseldorf eine klare Botschaft in die Gazprom-Zentrale nach Sankt Petersburg gesendet: Wir wollen unser Geld zurück! Deshalb, verkündete Maubach, habe Uniper ein Schiedsverfahren vor einem internationalen Schiedsgericht „eingeleitet“, so wie es die Verträge mit Gazprom vorsehen: Bislang, so der Uniper-Chef, beliefen sich die „Gasersatzkosten“ auf 11,6 Milliarden Euro, bis Ende 2024 werde diese Summer weiter ansteigen. „Wir werden in diesem Verfahren die Erstattung unseres erheblichen finanziellen Schadens einfordern“, sagte Maubach hoch oben über den Dächern Düsseldorfs.

Notfalls auch vor deutschen Gerichten

Nur: Was heißt das? In Stockholm soll nun nach Schweizer Recht entschieden werden, ob die Deutschen Geld zurückbekommen, weil die Russen das Gas abgedreht haben – und wenn ja, wie viel. Ob und wann es allerdings ein Ergebnis dieses Verfahrens geben wird, ist völlig offen. Theoretisch müsste jede Seite nun einen Vertreter entsenden, dann müsste man sich auf einen dritten Schiedsrichter einigen. Dann wird verhandelt. Aber noch hat Gazprom nicht einmal reagiert. Es gebe kein Kontakt zur Führung des Unternehmens, so Maubach. Und er sagte, dass Uniper notfalls auch vor Gerichte in Deutschland ziehen werde. „Wir verfolgen dieses Verfahren mit aller gebotenen Härte. Das sind wir unseren Aktionären, unseren Mitarbeitern und den Steuerzahlern schuldig“, sagte Maubach.

Gleichzeitig wolle er alle „rechtlichen und personellen“ Verbindungen zu der russischen Gazprom-Tochter Unipro „so weit wie möglich“ kappen. Im September, so der Uniper-Chef, habe man einen Verkauf des Unternehmens mit rund 5000 Mitarbeitern ausgehandelt, aber den Deal noch russischen Behörden zur Genehmigung vorlegen müssen. Seit zehn Wochen, so Maubach, habe man in Düsseldorf von den offiziellen Stellen in Moskau keine Rückmeldung erhalten. Nun müsse man davon ausgehen, dass das auch nicht mehr geschehe. Deshalb wolle man möglichst schnell größtmögliche Distanz zur eigenen Tochter – freilich ohne den eigenen Aktionären zu schaden.

Für Uniper beginnt eine neue Zeitrechnung

Man mag das Schiedsverfahren Unipers gegen Gazprom als Schattenboxen abtun. Oder als Versuch, sich an die Formalien zu halten, alles zu tun, um Verluste zu minimieren. Es ist reichlich ungewiss, ob in Stockholm jemals etwas Zählbares entschieden wird. Dennoch versucht das Uniper-Management offenbar, vor der Verstaatlichung zumindest alle verfügbaren Mittel auszuschöpfen, sich möglichst weit von der eigenen russischen Vergangenheit loszusagen. Am 19. Dezember, so der Plan, sollen die Uniper-Aktionäre bei einer virtuellen, außerordentlichen Hauptversammlung der Übernahme des Konzerns durch die Bundesregierung zustimmen. Der bisherige Mehrheitseigner, das finnische Unternehmen Fortum, wäre dann endgültig draußen, ebenso die bisherigen vier Aufsichtsräte Fortums. Für Uniper beginnt dann eine neue Zeitrechnung.

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Die Summen, die Steuerzahler für die Übernahme Unipers aufbringen müssen, sind gewaltig. Erst in der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass der Konzern neben den bereits bekannten Rettungsplänen eine Eigenkapitalerhöhung von bis zu 25 Milliarden Euro durch die Ausgabe neuer Aktien gegen Einlagen anstrebt. Im schlimmsten Fall müssten die Steuerzahler Uniper also zeitweise mit gut 51 Milliarden Euro aushelfen – auch wenn Maubach und seine Manager das als rein theoretische Möglichkeit bezeichnen. Tatsächlich zahle man Kredite laufend zurück, der tatsächlich abgerufene Bedarf liege deutlich unter dieser Summe.

Viel hängt davon ab, wie sich der Gaspreis in den Jahren 2023 und 2024 entwickeln wird. Bei ihren Berechnungen gehen die Uniper-Manager von einem Preis von 180 Euro für die Megawattstunde (Mwh) aus. In den vergangenen Tagen lag der Preis deutlich unter dieser Grenze.

„Wir sind die lebendige Gaspreisbremse“

Zeitweise hatte der Gaspreis in diesem Jahr Höhen von 330 Euro für die Megawattstunde erreicht. An Gazprom hatte Uniper aber nur Preise von 30 Euro zahlen müssen. Das führte an extremen Tagen zu zusätzlichen Beschaffungskosten von über 200 Millionen Euro. Maubach sagt, man habe diese Mehrkosten nicht an die Kunden – vor allem die Stadtwerke – weitergereicht. Zunächst habe man auf Erstattung aus der geplanten Gasumlage gesetzt: Uniper sollte, diese Zahl bezifferte Maubach erstmals, 23 Milliarden Euro aus dem auf insgesamt 34 Milliarden Euro taxierten Topf bekommen. Als die Gasumlage gekippt wurde, sei die Finanzierung über Steuergeld nötig geworden. „Wir sind die lebendige Gaspreisbremse“, sagte Maubach. Der Tenor seines Arguments lautet: Wir retten die Deutschen, deshalb retten die Deutschen nun uns. Interessant dabei: Derzeit kauft Uniper Gas nur an den Spotmärkten, macht keine Termingeschäfte. Das Unternehmen möchte verhindern, an teure Termingeschäfte gekettet zu sein, wenn der Gaspreis im nächsten Jahr möglicherweise deutlich fällt. Das, so Maubach, sei ein Vorgehen, das mit dem neuen Eigner, der Bundesregierung, noch abgestimmt werden müsse.

Der mögliche Show-Stopper: Die EU-Kommission

Wie genau diese Rettung aber aussehen kann, ist trotz aller Milliarden noch offen. Dennoch muss die EU-Kommission den Staatseinstieg bei Uniper und vor allem die Staatshilfen genehmigen. Die Bundesregierung verhandelt hier mit den Mitarbeitern von EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Binnen der nächsten zwei Wochen soll ein Ergebnis vorliegen, das dann auch Auflagen für Uniper definiert, die sich vor allem darauf beziehen dürften, welche Unternehmensteile Uniper in welchem Zeitraum verkaufen muss.

Manche der möglichen Auflagen halten sie bei Uniper durchaus für existenzbedrohend – für möglicherweise zu schwere Hypotheken für einen Neuanfang. Die EU-Kommission, heißt es, halte sich bislang an das Prinzip: große Hilfen, große Auflagen. Das sei aber gefährlich. Denn anders als etwa bei der Lufthansa, die in der Coronakrise Hilfe benötigt habe, sei Uniper „ein Drittel der Ertragskraft verloren“ gegangen. Mit anderen Worten: Uniper sei ein Teil seines Geschäftsmodells – billiges russisches Gas über Pipelines – weggebrochen, mutmaßlich unwiederbringlich. Da, so das Argument, müsse man andere Maßstäbe anlegen, als es die EU-Kommission derzeit tue, wenn man die Zukunftsfähigkeit Unipers nicht gefährden wolle.

„Man kann eine Kuh nicht melken und schlachten“, heißt es auf den Fluren der Uniper-Zentrale. Die Drähte zur Bundesregierung, dem Wirtschafts- und Klimaministerium Robert Habecks (Grüne), zum Finanzministerium Christian Lindner (FDP), aber auch zum Kanzleramt sind eng in diesen Tagen. In Düsseldorf hoffen sie, dass das in den kommenden Verhandlungstagen und -nächten in ihrem Sinn Früchte trägt.

In Wilhelmshaven darf ein wenig gejubelt werden

Mit mindestens einer Jubelveranstaltung rechnen sie bei Uniper in diesem Jahr dennoch: Voraussichtlich noch vor Weihnachten dürfte das LNG-Terminal in Wilhelmshaven betriebsbereit sein. Dann könnte das erste Flüssigerdgas im Bauch des Tankers „Esperanza“ regasifiziert und in die Pipeline Richtung Etzel gedrückt werden. Bestätigen will diesen Termin bislang niemand. Noch können Wind und Wetter das Ereignis verzögern – und mit Galaveranstaltungen ist Uniper inzwischen generell vorsichtig, nachdem Maubach im Sommer Prügel bezog, als Uniper ein reichlich barockes Glamour-Branchen-Event in Mailand sponserte.

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Dennoch hoffen sie, dass Uniper am Heiligen Abend in Staatsbesitz ist, ein LNG-Terminal betreibt und mit Russland nach diesem „Annus Horribilis“ (Maubach) möglichst wenig zu tun hat. Uniper steht mit allen Wünschen wie kein anderes Unternehmen für den radikalen Bruch der deutschen Gasbeziehungen zu Russland. Ob Maubach in Zukunft selbst noch weitermacht oder weitermachen darf, ist bislang ungewiss. Sagen wollte er dazu nichts.

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