Ökostromproduzenten „Wir doktern nur an Symptomen herum, dabei müssten wir an die Ursachen ran“

Windkraftanlagen in Niedersachsen Quelle: dpa

Die Bundesregierung will „Zufallsgewinne“ der Ökostromproduzenten kappen und so die Strompreise senken. Die Erneuerbaren-Branche fürchtet einen Imageverlust – und warnt vor einer Negativspirale.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Eigentlich lief es zuletzt ganz hervorragend für die Produzenten von Strom aus Erneuerbaren Energien. Im ersten Halbjahr 2022 wurde 14 Prozent mehr Strom aus Biomasse, Sonnen- und Windkraft erzeugt als in den ersten sechs Monaten des Vorjahres. Ihr Anteil am Brutto-Stromverbrauch stieg damit um acht Prozentpunkte auf rund 49 Prozent. Auch die Preise spielten den Ökostrommachern in die Hände. Weil die Nachfrage nach Strom größer war als das Angebot, explodierten die Strompreise förmlich. Ökostromproduzenten produzieren günstig, aber verkaufen teuer – eine nahezu paradiesische Marktsituation.

Die Bundesregierung will das nun ändern und „Zufallsgewinne“ kappen. In welcher Höhe, wann und wie ist noch unklar. Enno Wolf, Produktionschef des Ökostromanbieters Lichtblick, kann sich aber schon jetzt darüber erbosen: „Das darf nicht zu einer Steuerverteilung nach Wetterlage werden, zu Klientelpolitik und einem Populismusthema“, sagt Wolf. Für die Investitionssicherheit in Deutschland sende die geplante Abschöpfung der sogenannten Zufallsgewinne „ein völlig falsches Signal“.

Deutschland steckt in der Energiekrise – und angesichts des gerade vorgestellten Rettungsplans der Bundesregierung in Höhe von 65 Milliarden Euro zugleich in einer neuen Gerechtigkeitsdebatte. Das trifft auch den Strommarkt mit all seinen Eigenarten. Darf der Staat die Gewinne der Öko- und Atomstromproduzenten radikal abschöpfen, um sie an die Verbraucher umzuverteilen? Oder erweist der Staat der Republik damit einen Bärendienst, weil in der Folge zu viel Gas verbraucht und zu wenig Ökostrom produziert wird?

Der Toilettenpapier-Produzent Hakle hat Insolvenz angemeldet. Es ist nicht das erste Unternehmen, das wegen der hohen Energiekosten die Reißleine zieht. Ein Überblick über die ersten Opfer der Energiekrise.
von Henryk Hielscher

Im Kern geht es in der Debatte um die Frage des Strommarktdesigns. Die letzte produzierte Einheit Strom, die verkauft wird, bestimmt den Strompreis für alle („merit order“). Da ausgerechnet Gaskraftwerke nötig sind, um die Nachfrage nach Strom in Deutschland derzeit zu stillen, explodieren die Strompreise aktuell auf nie gekannte Rekordwerte. Die Ökostromproduzenten verdienen an der aktuellen Lage prächtig. Verdienen sie aber „zu viel“?

Lesen Sie auch: Auch dieser Strom-Anbieter pfeift auf die Preisgarantie

Für Lichtblick-Manager Wolf ist der Zugriff auf die von der Ampel-Koalition definierten „Zufallsgewinne“ kein gutes Zeichen. „Wir doktern nur an den Symptomen herum, dabei müssten wir an die Ursachen ran“, sagt er. Soll heißen: Stromnachfrage senken, Stromangebot erhöhen. Konkret fordert er einen Masterplan für die Energiewende, der entstehe nicht „durch panische Ad-Hoc-Maßnahmen, die juristisch lückenhaft sind“. Genehmigungsverfahren müssten beschleunigt werden, die zuständigen Ministerien personell aufgestockt. „Bei den LNG-Terminals haben wir ja auch gesehen: Wenn man will, dann geht’s schnell.“

Wolf bezweifelt ohnehin, dass die Politik die rechtlichen Mittel dazu hat. Wie die Abschöpfung der Zufallsgewinne laut Entlastungspaket umgesetzt werden soll? „So vage wie das bisher beschrieben ist, darf man schon bezweifeln, dass man so einen komplexen Eingriff rechtssicher umgesetzt bekommt.“ Sinnvoller wäre laut Lichtblick das sogenannte Klimageld gewesen – in Kombination mit der CO2-Abgabe würde das schnelle Entlastung und die „dringend notwendige Lenkungswirkung“ bringen.

Auch der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) reagiert irritiert. „Der fossile Preisknall ist für alle Marktakteure und Bürgerinnen und Bürger eine schwierige Herausforderung“, heißt es auf Anfrage. Es sei daher richtig, dass sich die Bundesregierung diesem Problem zuwendet. Dabei müsse sie aber sicherstellen, dass alle Maßnahmen mit den Ausbauzielen im Einklang stünden. „Nur durch einen schnellen Zubau der Erneuerbaren Energien werden wir langfristig die fossile Energiekrise überwinden“, sagt der BEE. „Deshalb dürfen Anreize für notwendige schnelle Investitionen in den Zubau nicht ausgebremst werden.“



Die Bundesregierung zeige im Moment mit dem Finger vor allem in Richtung der Energieproduzenten, so der BEE. „Ein Finger muss sie aber auch auf sich selbst richten, denn der Staat profitiert durch stark gestiegene Mehrwertsteuereinnahmen von den steigenden Preisen.“ Auch diese „zufälligen Einnahmesteigerungen sollten genutzt werden, um die Menschen zu entlasten.“

Insbesondere fürchten die Produzenten von Windkraft und Solarenergie falsche Impulse für Investitionen. Der Düsseldorfer Ökostromanbieter Naturstrom beispielsweise findet es zwar grundsätzlich angemessen, „dass die Erneuerbaren jetzt ihren Beitrag dazu leisten sollen, dass die Menschen in Deutschland möglichst gut durch den Winter und diese Krise kommen“. Gleichzeitig müsse die Regierung darauf achten, dass Investitionsanreize in Erneuerbare Energien erhalten blieben.

„Wir nehmen uns eine Chance“

Und auch die Stimmen aus der Industrie sind durchwachsen. Noch sei die Ausgestaltung der Abschöpfung der Zufallsgewinne zu unklar, um sie konkret zu bewerten: Vattenfall etwa begrüßt das Entlastungspaket, da „Maßnahmen zur Dämpfung der Kostenexplosion“ richtig seien. „Wir halten aber grundsätzliche Eingriffe in Marktmechanismen angesichts der negativen Folgen für nachteilig“, heißt es von dem Unternehmen.

Ökonomen wie Lion Hirth von der Hertie School of Governance sehen das ähnlich. Der Strommarkt funktioniere an sich nach den „ganz normalen Mechanismen“, wie sich Preise auf den Commodity-Märkten bildeten, sagt Hirth. Und er funktioniere sehr gut. „Immer dann, wenn Gaskraftwerke benötigt werden, um die Nachfrage zu decken, steigt der Strompreis sehr stark an“, so Hirth. Ergo: Eine steigende Nachfrage nach Strom wird am besten durch ein steigendes Angebot an Strom bedient.

So sieht das auch RWE-Chef Markus Krebber. Am wirkungsvollsten könnte die Energieknappheit „durch massive Investitionen in die Energieversorgung und die Energieinfrastruktur des Landes bekämpft werden.“ Krebber weiter: „Milliardeninvestitionen der Energiewirtschaft, mit der die Strom- und Gasversorgung robuster und grüner werden kann, brauchen aber verlässliche Rahmenbedingungen.“ Kurzfristige Markteingriffe der Regierung – wie etwa die Abschöpfung der Zufallsgewinne – müssten deshalb so gestaltet werden, „dass die Funktionsweise des Marktes und die Investitionsfähigkeit der Unternehmen unter allen Umständen erhalten bleibt“.

„Keiner mag die hohen Preise aktuell, aber der Markt funktioniert grundsätzlich“, sagt Florian Henle, Chef des Ökoenergieversorgers Polarstern. Und er warnt davor, dass durch die Zusatzsteuern das Image der umweltfreundlichen Energien leiden könnte: „Die Erneuerbaren nutzen unsere Krise, um sich die Taschen vollzumachen – das finde ich ein gefährliches Narrativ“, so Henle. Denn solch ein Narrativ führe zu Unsicherheiten in der Planung – und stehe im Widerspruch zu den Ausbauzielen.

WiWo Coach Gesetzliche Rente oder Versorgungswerk – was ist besser?

Als Anwalt kann unser Leser bei der gesetzlichen Rentenversicherung oder einem Versorgungswerk einzahlen. Was lohnt eher? Rentenberater Markus Vogts antwortet.

Abwanderungswelle bei Sixt „Es beiden recht zu machen, ist eine unlösbare Aufgabe“

Der robuste Führungsstil von Sixt-Gründer Erich Sixt war legendär. Seine Söhne übertreffen ihn wohl noch. Die Abgänge häufen sich. Der Digitalvorstand ist schon weg, ein Finanzchef wird mal wieder gesucht.

Biontech „Das würde ein neues Zeitalter in der Krebstherapie einleiten“

Biontech arbeitet an über zwanzig Medikamenten gegen Krebs. Der Mediziner und Fondsmanager Markus Manns erklärt, wo es Hoffnung gibt, welche Präparate die besten Chancen haben – und wo es noch hakt.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Die hohen Preise hätten Anreize setzen können, die Erneuerbaren schneller und vermehrt auszubauen, „jenseits von staatlichen Programmen“, so Henle. „Wir nehmen uns damit eine Chance.“ Dass viele Investoren von Projekten in Erneuerbare Energien kurzfristig abspringen, glaubt er zwar nicht. Andere Branchenexperten sind sich da aber nicht so sicher.

Das zeigt das Beispiel von RWE in Großbritannien: RWE wollte in das dortige Ökostromgeschäft bis 2030 rund 17 Milliarden Pfund investieren. Nachdem dort über die Einführung einer Zufallsgewinnsteuer nachgedacht wurde, warnte Krebber gegenüber der „Financial Times“, dass die Branche ihre Investitionspläne überdenken könnte: „Wenn sich das Umfeld ändert – und dazu gehören natürlich auch die rechtlichen Rahmenbedingungen und politischen Entscheidungen, würde jeder nochmal darüber nachdenken“.

Lesen Sie auch: Der Toilettenpapier-Produzent Hakle hat Insolvenz angemeldet. Es ist nicht das erste Unternehmen, das wegen der hohen Energiekosten die Reißleine zieht. Ein Überblick über die ersten Opfer der Energiekrise.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%