
WirtschaftsWoche: Herr Geiwitz, vor wenigen Monaten haben Sie gesagt: „Die Marke Schlecker wird nicht spurlos verschwinden.“ Inzwischen haben die Läden dichtgemacht, der Konzern wird abgewickelt. Was bleibt von der einst größten Drogeriekette Europas?
Geiwitz: Es ist leider so, dass der Name Schlecker keine große Bedeutung mehr haben wird. Das bedaure ich. Immerhin wird aber ein Teil der Schlecker-Eigenmarken weiter geführt. So gibt es für die Zigaretten-Eigenmarke Commodore bereits einen Käufer aus der Tabakbranche. Auch die spanischen Läden werden nach derzeitigem Stand weiter unter dem Namen Schlecker am Markt bleiben.





Herr Schneider, Sie sind als Verwalter für die Schlecker-Schwestermarke Ihr Platz zuständig. Wie sieht die Lage hier aus?
Schneider: Auch bei Ihr Platz ist es uns zwar nicht gelungen, einen Käufer für alle Läden zu finden. Insgesamt haben wir aber für weit mehr als 50 Prozent der Filialen Nachfolger gefunden, zum Beispiel die Drogeriekette Rossmann, die 108 Filialen übernimmt.
Dabei hatte Ihnen Rossmann-Inhaber Dirk Roßmann zuvor das Leben schwergemacht und Schlecker sehr früh als nicht überlebensfähig dargestellt.
Geiwitz: Herr Roßmann hat von Anfang an gesagt, dass er dem Geschäftsmodell von Schlecker keine Chancen einräumt – im Nachhinein hat er leider recht behalten. Wir kamen als Notärzte, aber Schlecker war mit unseren Mitteln nicht zu retten.
Dabei sprachen Sie am Anfang noch davon, dass Substanz vorhanden sei.
Geiwitz: Nach und nach musste ich meine Meinung revidieren. Die Lage war weit dramatischer, als es die Konzernführung uns gegenüber im Januar eingeräumt hatte. Dennoch sahen sich viele Investoren das Geschäft an, wir hatten sehr weitgehende Gespräche mit potenziellen Käufern – insofern durften wir darauf hoffen, dass die Sanierung gelingt.
Wann ist Ihnen klar geworden, dass der Kampf verloren ist?
Geiwitz: Zweifel kamen mir, als die Zahl der Kündigungsschutzklagen nach oben schnellte und die ersten Absagen von Investoren folgten. Darum habe ich so vehement für eine Transfergesellschaft gekämpft.
Was ist eine Transfergesellschaft?
Eine Transfergesellschaft wird dann ins Leben gerufen, wenn sich das Unternehmen aus eigener Kraft nicht mehr retten kann, und durch diese Krise Massenentlassungen nicht zu vermeiden sind.
Der Zweck einer Transfergesellschaft ist es, Arbeitnehmer, die gekündigt werden sollen, in einen befristeten Arbeitsvertrag zu übernehmen. Dazu wird eine eigene Gesellschaft gegründet. Für die Gründung der Transfergesellschaft gibt es ein gesetzlich definiertes Verfahren. Es wird in enger Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit umgesetzt. Beim Wechsel in eine Transfergesellschaft werden die Mitarbeiter für maximal ein Jahr weiter beschäftigt.
Transfergesellschaften haben ausschließlich das Ziel, die bei ihnen angestellten Beschäftigten so schnell wie möglich in neue Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln. Wer in eine Transfergesellschaft wechselt, ist dort angestellt - nicht beim bisherigen Arbeitgeber. Die Schlecker-Mitarbeiter wäre also nicht mehr bei Schlecker beschäftigt, sondern in der neu gegründeten Transfergesellschaft.
Einige große Konzerne haben in schweren Krisensituationen, in denen tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel standen, bereits Transfergesellschaften gegründet: Telekom, Opel, Infineon, der Autozulieferer Phoenix, die ehemalige Siemens-Tochter BenQ.
Rechtlich handelt es sich bei Transfergesellschaften um so genannte strukturelle Kurzarbeit. Das bedeutet, die Beschäftigten erhalten "Transferkurzarbeitergeld". Das beträgt 60 Prozent des Nettolohns für Mitarbeiter, die keine Kinder haben; Mitarbeiter mit Kind erhalten 67 Prozent des letzten Nettolohns. Diesen Betrag zahlt das Arbeitsamt aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. In vielen Fällen stockt der ehemalige Arbeitgeber das Gehalt auf 80 Prozent auf.
Während der ersten Transfergesellschaft 2010 bekamen die Ex-Opelaner 80 Prozent ihres letzten Gehalts. Finanziert wurde das zu gleichen Teilen von der Arbeitsagentur und Opel. Ausgelegt war die Transfergesellschaft für zwölf Monate. Wer vorher einen neuen Job fand, bekam eine sogenannte Sprinter-Prämie: Für jeden Monat, den der Autokonzern das Gehalt nicht mehr zahlen musste, gab es 1000 Euro für die Ex-Mitarbeiter. So sollte ein Anreiz geschaffen werden, dass sich die Mitarbeiter nicht zwölf Monate lang weiterbezahlen lassen und dann erst aktiv nach Jobs suchen.
Dem TÜV Nord standen Gelder aus dem Europäischen Globalisierungsfonds (EGF) in Höhe von 6,9 Millionen Euro zur Verfügung, um die Mitarbeiter weiterzubilden und zu vermitteln. „Wir hatten 4,3 Millionen Euro von Opel und die Möglichkeit bei Bedarf bis zu 6,9 Millionen Euro vom EGF abzurufen“, sagt Hermann Oecking, Geschäftsführer des TÜV Nord Transfer.
„Beim EGF gab es zwei Fördertöpfe. Einen für die klassischen Qualifizierungsmaßnahmen und einen für sonstige arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Job-Speed-Datings mit Arbeitgebern, Job-Messen und so weiter.“
Abgerufen wurde laut dem Bundesarbeitsministerium jedoch nur 3,182 Millionen Euro für Qualifizierung, Beratung und Betreuung der Beschäftigten nach dem Ausscheiden aus der Transfergesellschaft. Hinzu kamen nochmal 430.000 Euro für Verwaltungskosten des TÜV Nord. Nach den EU-Vorgaben habe der TÜV Nord zuerst das von Opel zur Verfügung gestellte Geld ausgeben müssen. „Danach wurden mit EGF -Gelder alle weiteren Maßnahmen ermöglicht, die für die berufliche Zukunft sinnvoll waren“, sagt er. „Mit dem Mittelabruf liegen wir im Durchschnitt vergleichbarer Transfergesellschaften. Dies hat das Bundesarbeitsministerium bestätigt."
Ich habe ja die schizophrene Situation, dass 600 Filialen von Schlecker gute Gewinne erwirtschaftet haben. Aber wegen der arbeitsrechtlichen Risiken kann kein Investor die Läden übernehmen.