Angela Titzrath stellt sofort Blickkontakt zu den Aktionären her, als sie sich hinter dem Rednerpult aufbaut. Die blauen Augen fixieren ihre Gegenüber, als sie zum Werbezug in eigener Sache ansetzt: „Ich habe mehr als 25 Jahre unternehmerische Erfahrung“, sagt sie und rattert dann minutenlang ihren Lebenslauf herunter. 21 Jahre bei Daimler gehören dazu, ebenso zwei Jahre als Personalvorstand der Deutschen Post DHL. Jede Station ein weiterer Beleg dafür, dass sie der Aufgabe gewachsen ist, für die sie sich an diesem Tag vor den Aktionären in Hamburg empfiehlt: In einem halben Jahr soll Titzrath Vorstandschefin des wichtigsten Hafenunternehmens werden, der Hamburger Hafen und Logistik AG, kurz HHLA.
Die Anteilseigner aber geben sich unbeeindruckt. Vielleicht, weil die gebürtige Essenerin Titzrath aus dem Binnenland stammt; vielleicht, weil sich nichts Maritimes in ihrem umfangreichen Lebenslauf finden lässt. Und so erwidert Aktionärsschützer Dirk Unrau auf Titzraths Werbung in eigener Sache: „Ich habe ein paar Sorgenfalten.“ Ein anderer Aktionär rät der Bald-Chefin gar: Sie solle doch erst mal eine Hafenrundfahrt machen. Der bisherige Vorstandschef Klaus-Dieter Peters, immerhin noch bis Dezember im Amt, könne sie doch mal mitnehmen.
Die schlechte Laune schwappt an der Waterkant an diesem Tag noch einige Mal über. Denn der HHLA geht es schlecht, und viele Aktionäre sind, trotz mäßiger Bilanz des bisherigen Chefs Peters, skeptisch, dass ausgerechnet eine Branchenneue das Unternehmen drehen kann. Die HHLA betreibt drei der vier Containerterminals am Hamburger Hafen. Im vergangenen Jahr verluden die Mitarbeiter mehr als zwölf Prozent weniger Container als 2014. Der Gewinn vor Steuern sank um 7,5 Prozent auf 156,5 Millionen Euro. Die Globalisierung schwächelt und mit ihr die gesamte Containerschifffahrt, die Elbvertiefung kommt nicht voran, und auch in der Zentrale in der Hamburger Speicherstadt gibt es Probleme. Der Hafen braucht unter Titzrath ein neues Geschäftsmodell. Nur: Wie soll sie dieses angesichts der wenig hoffnungsfrohen Ausgangslage finden?
Gewinner und Verlierer der Containerschifffahrt
Der Welthandel nahm einen enormen Aufschwung, nachdem sich der Container durchgesetzt hatte. Dazu brauchten die Reeder immer mehr und größere Schiffe – Südkorea und Japan bauten sie. Später kam auch China dazu. Diese drei Länder sind heute mit großem Abstand die bedeutendsten Schiffbauländer der Welt.
Weltweit sind fast 41.760 größere Handelsschiffe registriert, davon mehr als 5000 Containerschiffe. Sie transportieren jährlich rund 129 Millionen Standardcontainer (TEU) rund um die Welt. Mit den Transportleistungen vergrößerten sich die Häfen, vor allem in Asien. Unter den Top Ten der Weltrangliste ist kein europäischer und nur ein US-amerikanischer Hafen (Los Angeles).
Die Schiffe brachten immer günstigere Konsumgüter aus Asien nach Europa. Zunächst Haushaltsgeräte, Motorräder, Kameras und Spielsachen aus Japan, dann Fernseher und Unterhaltungselektronik aus Korea, Kleidung aus Pakistan, Mobiltelefone aus China. Und zuvor unbekannte Früchte und Pflanzen aus der gesamten Welt, Wein aus Chile oder Südafrika, Steaks aus Südamerika, Lämmer aus Neuseeland. Vielfalt, Qualität und Preiswürdigkeit des Warenangebotes für die Verbraucher in Europa und Nordamerika erhöhten sich deutlich.
Wegen schlechter Arbeitsbedingungen, überlanger Arbeitszeiten und unzureichender Bezahlung werden Arbeiter in Schwellenländern oft als Verlierer der Globalisierung angesehen. Doch das ist nur halb richtig. Tatsächlich hat die Integration in die Weltwirtschaft in vielen Ländern auch schlimmste Armut beseitigt und in Ländern wie Südkorea und Taiwan zu Wohlstand geführt. Auch China ist nach wie vor ein armes Land nach den Maßstäben der Industrienationen, aber es gibt eine wachsende Mittelklasse. Ähnlich ist es in Südamerika.
Nach dem Human Development Index der UN hat sich die Lebenserwartung, der Bildungsstand und das Pro-Kopf-Einkommen in nahezu allen Ländern verbessert - in den Entwicklungsländern mit mittlerem Einkommen zwischen 1975 und 2005 um etwa 32 Prozent, in den ärmsten Ländern um circa 22 Prozent. Vor 30 Jahren lebte die Hälfte der Menschheit von umgerechnet weniger als 1,25 Dollar am Tag, was als Grenze zur „absoluten Armut“ galt. Heute sind es noch 18 Prozent, obwohl die Erdbevölkerung seither um fast 60 Prozent gewachsen ist. Gleichzeitig steigt die Ungleichheit innerhalb der Länder.
Mit dem Aufschwung des Welthandels einher ging auch eine erhebliche Zunahme an Umweltbelastungen. Containerschiffe verbrennen Schweröl, das besonders viele Schadstoffe wie Schwefel, Stickoxiden und CO2 emittiert. Die Schifffahrtsverbände weisen zwar darauf hin, dass die Schifffahrt gemessen an anderen Verkehrsträgern besonders umweltfreundlich ist, weil sie eben so große Gütermengen transportiert und je beförderter Tonne weniger Schadstoffe verursacht als Lastwagen oder Flugzeuge.
Das ändert aber nichts daran, dass die Schifffahrt rund 800 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ausstößt, nach Angaben des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR). Das entspricht zehn Prozent der Emissionen aller Verkehrsträger. In einigen Fahrtgebieten wurden die Grenzwerte von der Internationalen Schifffahrtsorganisation bereits verschärft, zum Beispiel an den Küsten Nordamerikas oder in Nord- und Ostsee. Weitere Verschärfungen stehen in den nächsten Jahren bevor.
Unter dem Konkurrenzdruck vor allem aus Asien sind ganze Industriebranchen aus Europa und den USA abgewandert und verschwunden. Dazu gehören die Fertigung von Kleidung, Unterhaltungselektronik und Massenprodukten aller Art, die in großen Mengen vor allem in China gefertigt werden. Unternehmen, die sich nicht anpassen konnten, sind untergegangen. Viele Arbeitnehmer in den Industrieländern verloren durch die Globalisierung ihre Arbeit. Durch die Konkurrenz von hunderten Millionen billiger Arbeitskräfte stehen die Arbeitsplätze in den westlichen Industrieländern unter einem Dauerdruck.
Die Globalisierung hat nicht nur Marken-Konsumartikel bis in den letzten Winkel der Erde verfügbar gemacht. Überall gibt es Coca-Cola, McDonald's und Levi's. Doch nicht nur der Konsum, auch die Produktion hat sich weltweit angeglichen und standardisiert. Angepasste regionale Produktionsmethoden wurden ersetzt durch hoch technisierte westliche Methoden. Kulturell vereinheitlichen sich Kleidung, Musik, Filme, Konsum und Sprache tendenziell weltweit zu einem westlichen „Lifestyle“.
Welthandel verlangsamt sich
Die Schifffahrt steht wohl vor dem grundlegendsten Wandel seit der Erfindung des Containers vor 50 Jahren. Statt mit Gütern handeln die Menschen weltweit häufiger mit Ideen und Dienstleistungen. Der Welthandel schiebt den Containerverkehr deshalb längst nicht mehr so stark an wie vor einigen Jahren, und der Wettkampf um die Handelsströme verschärft sich. „Was ist das wichtigste Charakteristikum dieser Zeit?“, fragt Titzrath die Aktionäre auf der Hauptversammlung.
„Aus meiner Sicht ist es die Geschwindigkeit des Wandels, die immer weiter zu nimmt.“ Nur mit der Konkurrenz Schritt zu halten wäre da zu wenig. „Wer Zukunft gestalten will“, sagt Titzrath, „muss den Dingen voraus sein.“
In den vergangenen Jahren ist die HHLA allerdings eher zurückgefallen als vorausgegangen. Als Vorstandschef Klaus-Dieter Peters das Unternehmen vor neun Jahren an die Börse führte, galten die Terminals am Hamburger Hafen noch als die modernsten der Welt. Der Ausbau des Schienenverkehrs in das Umland sollte neues Geld einbringen. Die Stadt Hamburg, die heute noch 68 Prozent der Aktien hält, wollte so zum großen Profiteur der Globalisierung werden.
Die HHLA sei ein Unternehmen, sagt Titzrath, „das die ganze Welt im Blick haben muss“. Doch genau das ist den Hamburgern in den vergangenen Jahren nicht gelungen: Während andere Hafenunternehmen auch in neuen Ländern ihre Terminals eröffneten, fokussierten sich die Hamburger ganz auf ihre Heimatstadt. Statt Expansionsplänen diskutierten Vorstand und Politiker in Hamburg die Elbvertiefung. Nur eine kleine Beteiligung im unter der Ukrainekrise leidenden Odessa hat die HHLA bis heute vorzuweisen. „Man hat sich viel zu lange auf dem Status als Tor zur Welt ausgeruht“, kritisiert Tobias Sittig, Analyst bei der Frankfurter Mainfirst Bank.
Das zeigt sich auch im Aktienkurs. Beim Börsengang kostete die Aktie noch mehr als 60 Euro, seitdem verlor sie stetig an Wert. Vorstandschef Peters blieb trotzdem im Amt, als der bestbezahlteste Manager Hamburgs. Heute kostet die Aktie nur noch knapp 14 Euro.