"In hohem Maße unseriös" Wurst-Unternehmer attackiert Kartellamts-Chef

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Angst vor der Insolvenz

Es gibt eine Debatte, die Kartellbußen dürften angesichts ihrer Höhe nicht durch eine Behörde, sondern nur durch Gerichte verhängt werden. Die Entscheidungen seien deshalb verfassungswidrig.

Mundt: Die Diskussion, ob wir in unzulässiger Art und Weise Strafverfolgung betreiben, halte ich für erledigt, weil die gerichtliche Überprüfung so intensiv ist und weil sowohl der Bundesgerichtshof als auch 2011 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eindeutig das Gegenteil befunden haben. Es war Wille des Gesetzgebers, dass die Bußgelder erheblich in die Höhe gehen. Der Höchstsatz für Kartellbußgelder liegt seit 2005 wie bei den meisten anderen Kartellrechtsordnungen in Europa bei zehn Prozent des Jahresumsatzes. Ein Bußgeld in dieser Höhe verhängen wir nur äußerst selten. Beim Wurstkartell bewegen sich die Summen zwischen 0,01 und 5,4 Prozent des Jahresumsatzes. Die Strafen gegen die Mittelständler liegen im Durchschnitt bei zwei Prozent ihres Gesamtumsatzes. Die kleinen und mittleren Unternehmen sind bis auf einen alle mit einer einstelligen Millionenbuße belegt worden.

Und der eine ist Reinert.

Reinert: Drei Prozent sind bei einer durchschnittlichen Umsatzrendite in unserer Branche vor Steuern von 1,8 bis 2,0 Prozent in den vergangenen Jahren nicht verhältnismäßig. Das bedeutet, dass ein Unternehmen möglicherweise vier, fünf Jahre lang seine Gewinne an Sie überweisen muss beziehungsweise an die Bundeskasse.

Mundt: Wir schauen uns bei jedem Unternehmen an, in welcher Verfassung es ist. Entsprechend differenziert ist die Strafzumessung. Es gibt auch in Ihrer Branche Unternehmen, denen es sehr gut geht. Wir sind gesetzlich verpflichtet, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu beachten. Kein Unternehmen darf aufgrund einer Kartellstrafe in die Insolvenz gehen. Das ist auch noch nie vorgekommen. Dann muss uns das Unternehmen aber auch belastbare Unterlagen zur möglicherweise begrenzten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vorlegen, damit wir das prüfen können. Und das haben nicht alle getan. Aber es gibt diese Möglichkeit noch im sogenannten Zwischenverfahren, das nun startet.

Reinert: Ich habe sämtliche Bilanzen der vergangenen Jahre, ja sogar meine Einkommensteuererklärungen vorgelegt. Mehr ausziehen kann ich mich nicht.

Herr Mundt, Sie verhängen gegen die Wurstbranche das höchste deutsche Bußgeld aller Zeiten. Allein die Konzerne Bell und Tönnies sollen in dreistelliger Millionenhöhe zahlen. Warum so viel?

Mundt: Das hohe Gesamtbußgeld erklärt sich durch die hohe Zahl der Beteiligten, die lange Dauer des Kartells, die Milliardenumsätze, die die Branche Jahr für Jahr erzielt und die großen, konzernzugehörigen Unternehmen, die auch am Kartell mitgewirkt haben.

Bei Clemens Tönnies haben Sie als Bemessungsgrundlage für das Bußgeld alle seine Unternehmen berücksichtigt, obwohl die rechtlich nicht miteinander verbunden sind. Tönnies will deshalb dagegen klagen.

Mundt: Zunächst einmal spielt der konkret kartellbefangene Umsatz eine entscheidende Rolle, und der ist bei der Zur-Mühlen-Gruppe als Marktführer bereits beträchtlich. Darüber hinaus spielt auch der Umsatz der sogenannten wirtschaftlichen Einheit, also des Konzernverbundes eine wichtige Rolle. Hätte der Gesetzgeber dies nicht vorgesehen, würden Kartellanwälte den Unternehmern raten, erst einmal alles auszugliedern, damit der relevante Umsatz minimalisiert wird. Deswegen hat der Gesetzgeber bewusst gesagt – obwohl das misslich ist im deutschen Recht: Adressat unseres Beschlusses ist die Tochter. Das Bußgeld aber und die Bemessung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit soll den Mutterkonzern mit einschließen.

Damit das nicht wieder passiert: Was machen Sie denn jetzt anders, Herr Reinert?

Reinert: Wir haben angefangen, Compliance-Schulungen für alle Mitarbeiter zu machen, um bis zur gerichtlichen Klärung unseren Mitarbeitern Sicherheit zu geben – insbesondere im Außendienst und bei allen Mitarbeitern, die Kundenkontakt haben. Bei Verbandstreffen haben wir inzwischen Anwälte dabei, die aufpassen, dass nicht am Rande der Legalität gesprochen oder gehandelt wird.

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