Philipp Man sitzt in einer Ramen-Bar auf dem Gelände der Uhrenmesse Baselworld, scheint mit seinen Augen ein Loch in sein Gegenüber bohren zu wollen und stellt die Eine-Milliarden-Euro-Frage: „Glauben Sie, dass wir in ein paar Jahren eine Milliarden Euro Umsatz machen können?“
Es geht um den Umsatz mit Luxus. Second-Hand-Luxus. Aus dem Internet. Philipp Man ist Gründer und CEO des Unternehmens Chronext. Er ist 25 Jahre alt. Was er nicht vergisst zu erwähnen. Gegründet hat er sein Unternehmen 2013.
Mans Leidenschaft deckt sich mit seinem Produkt: Luxusuhren. Aus seiner Leidenschaft, die sich an seiner kostspieligen Uhr am Arm erkennen lässt, hat er ein Start-Up gestrickt. 130 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen, rund 100 davon in Köln. Das Unternehmen hat seinen Sitz jedoch in Zug in der Schweiz. „Wenn Sie in der Uhrenbranche unbekannt sind, dann ist es sinnvoll, dass Ihr Unternehmen in der Schweiz ansässig ist“, sagt Man.
Chronext beschäftigt Programmierer, Designer und Uhrmacher. 100 Millionen Euro Umsatz plant das Unternehmen für 2018. Die Zeitschrift Forbes wählte Man zuletzt in die Liste von 30 beachtenswerten Unternehmern unter 30 Jahren. Wie hat er das gemacht? Alle Traditionen der Uhrenbranche über Bord geworfen, Luxusprodukte ins Netz geholt und dort zeitgerecht inszeniert. „Wir sind überzeugt, dass wir mit E-Commerce für gebrauchte Luxusuhren eine Nische besetzen können, die die Industrie vernachlässigt.“
Die Traditionsmarken leben von der Geschichte
Das sind markige Worte. Selbst für die großen Luxusunternehmen von Hermès über Kering (Bottega Veneta, Brioni, Gucci) bis Richemont (IWC, Lange & Söhne, Dunhill, Shanghai Tang) ist E-Commerce noch immer ein schwieriges Geschäft. Produkte wie wasserfeste Reitstiefel aus Kalbsleder oder mechanische Uhren mit ewigen Kalendern oder Stoppuhrfunktion leben zum einen Teil von ihrer Qualität. Zu einem guten Teil leben sie aber auch von der Geschichte, die um sie herumgestrickt wird und vor allem von der Betreuung des Kunden im Fachgeschäft.
Der Kauf besiegelt oft nur die sorgsam inszenierte Dramaturgie der Beratung. Das Überreichen der kunstvoll bestückten Tüte ist das i-Tüpfelchen einer Abfolge von Umschmeichelungen, oft begleitet von einem Glas Champagner. Gute Kunden können sich darauf verlassen, dass ihr Berater sich nicht nur an den Namen erinnert, sobald sie durch die Tür treten. Emotionen werden geweckt, die kaum entstehen, wenn ein Kunde das Produkt anklickt, auswählt, in den Warenkorb legt, sich ein Kundenkonto anlegt, Kreditkartendaten eingibt und Enter drückt.
Aus der Nische wird ein Umsatzbringer
Doch nun kommt erneut Bewegung in den virtuellen Luxusvertrieb. Nur zwei Beispiele: Im Juni 2009 schloss der Luxuskonzern Louis Vuitton Moet Hennessy (Cartier, Dom Pérignon, Rimowa, Fendi, Marc Jacobs) die Webseite eluxury.com. Im Mai soll ein Portal entstehen für die Marken des Konzerns. Laut Financial Times wird es firmieren unter der Domain des Luxuskaufhauses Le Bon Marché. Das ist ein traditionsreiches Luxuskaufhaus in Paris. Es gehört zu LVMH . Der Zeitpunkt, um mit einer bekannten Marke den Online-Handel wieder anzukurbeln, ist besser gewählt als zu Beginn des Jahrtausends. Aus der Nische wird ein Umsatzbringer.
Wie sich unser Verständnis von Luxus verändert
Nur wenige Begriffe werden so inflationär und so unterschiedlich verwendet, wie der Luxus-Begriff. Die Vorstellung von Luxus ist nicht nur individuell unterschiedlich, sie unterliegt auch einem gesellschaftlichen Wandel. In einem idealtypischen Modell beschriebt das Schweizer Gottlieb Duttweiler Institut vier Phasen, die den Wandel des nachvollziehbar machen. Das Modell beschreibt einen Reifeprozess, der sich an den Lebensphasen orientiert;
Quelle: Gottlieb-Duttweiler-Institut. „Der nächste Luxus. Was uns in Zukunft lieb und teuer wird.“
Die erste Phase der Luxusentwicklung ist geprägt durch einen großen Konsumhunger, der mit dem was angeboten wird, befriedigt wird. Das vorherrschende Prinzip: „Mehr ist Mehr“. Dies ist vor allem auf aufstrebenden Märkten zu beobachten. Hier herrschen Nachholbedarf und das Verlangen aufzusteigen. Gleichzeitig gibt es ein Defizit.
Sie setzt Solvenz voraus, wird aber dominiert von einem verstärkten Wettbewerbsdruck. Der Traum von einem weiterem Aufstieg weicht der Angst vor einem Abstieg. Nun wird das „Mehr“ zum „Muss“. Güter mit Signalwirkung gewinnen an Bedeutung: Mein Haus, mein Auto, mein Diamantring.
Eine erste Luxusmüdigkeit setzt ein. Die Phase ist geprägt vom abnehmenden Grenznutzen. Die Erkenntnis, dass das Glücksfühl beim Erwerb eines Produkts abnimmt, je öfter und hindernisloser dieser möglich ist, stellt sich ein. Der Luxuskonsum verschiebt sich von der Produkt- auf die Erlebnisebene.
Die Ästhetik des neuen Luxus lässt sich für die Forscher des GDI auf den Begriff der Verschlichterung bringen. Luxuskonsumenten demonstrieren bewusst den Verzicht. Die Fähigkeiten, dass Reduzierte und Essentielle leben, aber lesen zu können rückt in den Vordergrund. Nur wer über materiellen Besitz verfügt, wird sich die Fähigkeiten aneignen können, um die Codes des neuen Luxus zu entziffern.
Das ist zu beobachten am Portal Net-a-porter. Gegründet wurde es im Jahr 2000 von der ehemaligen Modejournalistin Natalie Massanet und gehört heute zur Yoox-Net-A-Porter-Group. An der wiederum hält der Luxuskonzern Richemont einen Anteil von 50 Prozent. Und der bereitet dessen Verwaltungsratspräsident Johann Rupert derzeit Freude. Yoox konnte 2016 den Umsatz um 12 Prozent steigen. Wenngleich der durchschnittliche Bestellwert auf 334 Euro zurückging – die Zahl der Bestellungen stieg um 18 Prozent.
Die Hemmschwelle, per Online-Versand auch sehr teure Waren zu ordern, sinkt. Auf der anderen Seite versuchen Unternehmen, dem Nutzer auch auf seiner Homepage ein besonderes Einkaufsvergnügen zu bereiten, das über die simple Auswahl eines Produktes und eine fehlerfreie Customer-Experience bis zur virtuellen Kasse hinausgeht. Videoeinspielungen, Geräusche, Spielereien – auf hermes.com beispielsweise lässt sich Zeit vertendeln, ohne Geld auszugeben.