Online-Lebensmittelhandel Wie Picnic die Deutschen vom Wocheneinkauf im Internet überzeugen will

Elektro-Laster des Start-ups Picnic Quelle: dpa

Lebensmittel online bestellen? Viele Deutsche sind dafür noch zu skeptisch. Ein Start-up aus den Niederlanden will das ändern. Mit einem anderen Ansatz versucht Picnic, die Skeptiker zu überzeugen.

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Statt sich nach Feierabend durch volle Supermarktgänge zu quetschen, landen Brot, Obst oder Nudeln bequem von der Couch aus im digitalen Einkaufswagen. Einkaufstaschen oder Getränke werden von freundlichen Mitarbeitern bis in die Wohnung getragen. Der Online-Lebensmittelhandel verspricht den Verbrauchern viel Bequemlichkeit.

Die hat die Deutschen allerdings noch nicht vom Lebensmittelkauf im Internet überzeugen können. Während wir jedes Jahr mehr Produkte online bestellen, bangen viele stationäre Händler um ihre Existenz. Nicht aber Supermärkte und Discounter. Sie haben in Deutschland noch keinen Grund dafür: Am Gesamtumsatz im Lebensmitteleinzelhandel hat der Onlinehandel gerade mal einen Anteil von rund 1,5 Prozent.

Dabei gibt es genügend Online-Supermärkte, die den stationären Händlern Konkurrenz machen könnten - darunter Angebote von Branchenriesen Amazon Fresh und Rewe.

Das sind die größten Lebensmittelhändler

„Der Online-Lebensmittelhandel steht in Deutschland noch ganz am Anfang, so ehrlich muss man einfach sein“, sagt Christian Wulff, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter bei der Unternehmensberatung PwC Deutschland. Die Entwicklung gehe allerdings in die richtige Richtung. „Die Akzeptanz der Verbraucher wächst. Auch weil die Betreiber die Herausforderungen, die der Online-Lebensmittelhandel birgt, mehr und mehr in den Griff bekommen.“

Diese Herausforderungen liegen zum einen in der Lieferung: Die Lebensmittel müssen pünktlich beim Kunden ankommen. Unter diesem Zeitdruck darf die Qualität allerdings nicht leiden. Fleisch oder Tiefgekühltes muss ordnungsgerecht gekühlt werden.Allerdings: Die Stiftung Warentest hat die Qualität der Lieferungen jüngst darauf getestet. Mehr als die Hälfte der kühlpflichtigen Produkte, die testweise bei den zehn Online-Supermärkten bestellt wurden, war zu warm.

Außerdem sind nur wenige Verbraucher bereit, für die Lieferung der Lebensmittel draufzuzahlen. Immerhin könnten sie alternativ zum Supermarkt um die Ecke gehen und sich die Lieferkosten sparen.

Lieferung in kleineren Städten

Diese Probleme versucht Picnic zu lösen. Ein Start-up aus den Niederlanden, das seit diesem Jahr in den ersten deutschen Städten ausliefert. Das Besondere: Anders als die meisten Anbieter beschränkt sich das Unternehmen bislang auf ein paar kleinere Städte im Rheinland. Darunter Neuss, Kaarst, Meerbusch und Mönchengladbach. 7000 Haushalte beliefert Picnic im Geschäftsgebiet.

In den Niederlanden ist Picnic für einen Online-Supermarkt ziemlich erfolgreich und beliefert rund 195.000 Kunden in 60 Städten. Frederic Knaudt ist Deutschlandchef von Picnic und möchte das, was im Nachbarland bereits gut funktioniert, hierzulande etablieren.

Picnic selbst sei mit der Frage gestartet, warum die Verbraucher Lebensmittel noch nicht online bestellen. Ein Grund, den Knaudt aus Gesprächen mit potentiellen Kunden erfahren hat: Die Lieferung des Einkaufs sei zu teuer. „Bei einem wöchentlichen Einkauf will die Mehrheit der Verbraucher nicht zehn Prozent eines Einkaufs draufzahlen – Woche für Woche“, sagt Knaudt.

Bei Konkurrenten wie Rewe kostet die Lieferung je nach Größe des Einkaufs bis zu 5,90 Euro. Picnic bietet die Lieferung hingegen komplett kostenlos an, sobald der Mindestbestellwert von 25 Euro erreicht ist. „Die breite Masse wird für die Lieferung der Lebensmittel nicht draufzahlen. Keine Nation ist so preissensitiv wie Deutschland“, sagt Knaudt. Nicht nur bei der Lieferung unterbietet das niederländische Start-up die meisten Wettbewerber: „Wir garantieren stets die niedrigsten Preise. Dabei schauen wir uns die größten Supermärkte und Discounter für die einzelnen Produkte an und gehen jeweils auf den günstigsten Preis“, erklärt Knaudt.

Die Rückkehr des Milchmanns

Diesen Preisvorteil kann sich Picnic laut eigener Aussage dank einer speziellen Lieferweise erlauben. Die Runner, wie Knaudt seine Kuriere nennt, fahren die Städte nach dem „Milchmann-Prinzip“ ab. Mehrmals am Tag fahren die Lieferwagen durch die Straßen im Rheinland. Die Kunden können über die Picnic-App ein Zeitfenster von 20 Minuten pro Tag auswählen, in dem sie die Lieferung entgegennehmen.

Anders funktioniert es bei den meisten Online-Supermärkten. Diese fahren keine festen Routen ab. Sollte es passieren, dass zwei Haushalte, die im gleichen Haus wohnen etwas bestellen, kann es vorkommen, dass ein Lieferwagen zwei Mal am Tag zur gleichen Adresse fahren muss. Erst mittags, dann nochmal abends. Das ist aufwändiger und entsprechend teurer als das Milchmann-Prinzip von Picnic. „Dadurch fahren wir die Kunden in einer Kette ab und schaffen drei Mal mehr Auslieferungen in der Stunde als die Konkurrenz“, sagt zumindest Deutschlandchef Knaudt.

Durch eine Kooperation mit Edeka Rhein-Ruhr kommt Picnic an die Lebensmittel. Diese werden ins Zentrallager von Picnic geliefert. Das steht in Viersen und ist ein altes Tengelmann-Lager. Von hier aus geht es für die Einkäufe der Kunden zu verschiedenen Hubs, wo sie in die Lieferwagen von Picnic geladen werden. Um die Lebensmittel während des gesamten Transports ausreichend zu kühlen, errechnet ein Algorithmus für jedes Produkt die benötigte Menge an Kühlmittel. So will Knaudt nichts verschwenden und die Produkte trotzdem mit der optimalen Temperatur zum Kunden bringen.

Die Unterschiede zu einem Supermarkt in der Stadt sollen nur gering sein: „Bei uns findet man alles, was es in den meisten Supermärkten auch gibt. Es gibt nur kleine Ausnahmen: Wir haben zum Beispiel keine dutzend verschiedenen Sorten Meersalz“, sagt Knaudt. Geliefert werden die Produkte in eigens entwickelten Elektro-Lastern, die gerade einmal 1,35 Meter breit sind und somit auch in engen Straßen keinen Stau verursachen. Die Laster produziert Picnic selbst, weil es auf dem Markt kein Modell gegeben habe, das auf die Ansprüche des Start-ups passte. 40 der E-Laster sind derzeit im Rheinland unterwegs.

Von der Stiftung Warentest wurde Picnic noch nicht getestet. Man wäre laut Knaudt aber gerne bei dem Test dabei gewesen. Vielleicht ist es soweit, wenn das Start-up in weitere Städte expandiert. Das soll demnächst passieren.

Großbritannien als Vorbild

Anderswo werden bestehende Probleme offenbar schneller gelöst: „In Großbritannien beträgt der Onlineanteil am Lebensmittelhandel schon heute etwa fünf Prozent. Wenn wir in Deutschland so weit kommen würden, dann würde diese junge Branche 12,5 Milliarden Euro Umsatz im Jahr machen“, erklärt Unternehmensberater Christian Wulff. „Bei all der Kritik muss man sich auch diese beachtliche Summe vor Augen führen.“

Und trotzdem, in Deutschland sind wir noch nicht mal in der Nähe dieser fünf Prozent. 1,5 sind es derzeit. Probleme gibt es noch genug, auch wenn die Akzeptanz der Verbraucher steigt. Sie steigt allerdings nur gemächlich. Schuld daran sind zu viele Einschränkungen: Seien es hohe Mindestbestellwerte oder der Fakt, dass die meisten Anbieter keine Getränkekisten, sondern aus logistischen Gründen nur einzelne Flaschen und Sechserpacks liefern. „Ich glaube nicht, dass der Onlineanteil hierzulande in absehbarer Zeit auf 20 Prozent und mehr steigen wird“, sagt Wulff. Das ist keine waghalsige Prognose, alles andere wäre nämlich eine echte Überraschung.

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