Werner Knallhart
Das Problem an einer IKEA-Küche: Sie schließen quasi 120 Kaufverträge. Quelle: imago images

Es gibt keine „Ikea-Küche“

Das Problem an einer IKEA-Küche: Der Käufer schließt quasi 120 Kaufverträge. Beim Kauf einer individuell geplanten METOD-Küche gelangt die weltberühmte Ikea-Idee von Masse statt Maß an ihre Grenzen. Die freundlichen Küchenplaner kommen aus dem Bedauern nicht mehr raus: „Das lässt das System leider nicht zu“. Und wehe, wenn was fehlt. Eine Kolumne.

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Als halber Schwede fließt mir sozusagen Formaldehyd durch die Adern. Ich bin mit der Ikea-Spanplatte furniert aufgewachsen. Und auch, wenn heute der größte Teil unserer Wohnungseinrichtung daheim nicht mehr von Ikea ist: Die Rückfall-Option halte ich mir immer offen: „dann halt doch zu Ikea“.

Nun ist es wieder passiert. Es stand eine neue Küche und ein neues Schlafzimmer auf dem Zettel. Und weil wir uns zur Familien-Lebensphilosophie gemacht haben, Statussymbole nur insoweit an uns heranzulassen, wie sie einen objektiv messbaren Mehrwert liefern, haben wir uns gesagt: Beim Bettsystem dürfen ostwestfälische Fachleute ihr Made in Germany austoben. Bei der Küche setzen wir auf METOD, das Premium-Küchen-System von Ikea, kombiniert mit Schickimicki-Markengeräten nicht von Ikea (der Ofen lässt sich per App dann von unterwegs einschalten und so).

Und wie soll ich sagen: Bettengeschäft und Ikea-Küchenberatung – das ist wie, nein, nicht wie gut und böse. Kurz: Das Bett kostet mehr als die ganze Küche. Das ist es ja. Im Bettengeschäft im Berliner Westen wurden wir beraten vom Inhaber, der uns erzählt hat, dass er über den Hersteller unserer Wahl seit den 1980er-Jahren keine Beschwerden seiner Kunden gehört habe: „Die machen einfach Qualität.“ Und er hätte sich noch stundenlang mit uns weiterunterhalten, wenn wir nicht selber noch einen Abendtermin gehabt hätten.

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Bei Ikea ist keiner der Beraterinnen und Berater zum Mauerfall schon auf der Welt gewesen. Was aber nichts macht, denn es ist schlicht keine Zeit für Plaudereien aus alten Zeiten. Nach einer halben Stunde kommen in der Lounge hinter unserem Rücken schon die Supervisors und fragen: „Wie lange braucht ihr noch?“

Ja, sehr lange! Denn auch die Konfiguration einer Ikea-Küche ist gefühlt mit Entscheidungen verbunden, die mehrere Jahrzehnte nachwirken. Und wir hätten ja gerne noch fleißiger als eh schon (drei Stunden) über den Online-Konfigurator zuhause vorbereitet, aber die Software wollte uns partout eine 30-Zentimeter-Lücke in der Küchenzeile mit einem 20-Zentimeter-Schränkchen und einer 10-Zentimeter-Blende voll ballern, anstatt mit dem ebenso lieferbaren 30er-Schränkchen.

Nach stundenlanger Heimarbeit am Laptop und zwei Präsenz-Terminen in der Küchenplanungslounge war die Metod-Küche endlich fertig. Strahlend weiß mit dunkler Arbeitsplatte und Panel. Letzte Frage: „Wollt ihr nicht doch eine Ikea-Spülmaschine kaufen?“ – „Nö, wir nehmen den Sieger der Stiftung Warentest.“ – „Seid ihr sicher, dass die passt?“

Nein, sie passte nicht. Denn Ikea leistet sich mit seiner Marktmacht ein Sondermaß in der Metod-Unterschrankhöhe, das kaum eine Spülmaschine bedient. Die knallen dann mit der Unterseite ihrer Türen beim Öffnen unten dran und gehen nicht richtig auf. Außer die von Ikea. Und auch die Exemplare, die das Ikea-Team aus Berlin auf eigene Initiative auf Basis von Kundenrückmeldungen in Excel zusammengestellt hat. Danke dafür, wirklich! Vom Ikea-Headquarter kam nämlich keine Initiative. Mies. Wir haben tatsächlich eine dieser Listen-Maschinen bei Amazon bestellt.

Und dann der Moment der Wahrheit in der Lounge. Der Druck auf den Knopf. „Dann bestätige ich jetzt diese Konfiguration und dann mal sehen.“
„Wie: Mal sehen?“

Nach rund 45 Sekunden Rechenzeit, in der das Ikea-System offenbar sämtliche Lager Deutschlands durchforstet hatte, dann das Resultat: Eine Schublade nicht lieferbar.
„Das ist ein ungewöhnlich guter Wert“, flötete unser Berater begeistert.
„Ja, aber ohne Schublade hat unsere Küchenfront ein Loch!“, wand ich ein.
„Das ja“, sagte unser Berater.
„Und jetzt?“, fragte ich.
„Ihr könnt das irgendwann nachbestellen.“

Ist das geil? Wir kaufen eine Küche für einen hohen vierstelligen Betrag und können uns dann selber um fehlende Teile bemühen. Denn: Wir kaufen hier nicht unsere wunderhübsch zusammengestellte Traumküche. Wir bestellen hier dutzende Teile. Um die 120 Stück. Und wenn eins nicht lieferbar ist, dann ist das genau das Ikea-Prinzip:

Sie gucken online, Sie wandeln durch die Ausstellung, finden, dass dieses Schuhegal und dieses Kissen ganz toll auch Ihre Wohnung aufmöbeln würden, dann erkundigen Sie sich nach dem Fach im Hochregal, gehen schnell noch ein paar Plantbullar und Lachs im SB-Restaurant essen und besprechen, wer wann was demnächst aufbaut, und dann marschieren Sie mit dem rappelnden Tieflader-Wagen zu Regal 12 Fach 76 und blicken in gähnende Leere. Beim Ikea-Einkaufserlebnis lauert die Enttäuschung am Schluss. Bei Küchen macht Ikea keine Ausnahme. Nach Stunden des Planens: ausverkauft.



„Entweder kommt ihr nochmal her und holt es ab“ (Ikea liegt niemals zentral) „oder ihr lasst es euch liefern.“
„Aber kostenlos dann ja wohl?!“
„Nein, da fallen dann Liefergebühren an.“

49 Euro on top! Weil Ikea nicht liefern kann. Ich bin sehr gut darin, vor Verkaufsfachpersonal den Kunden zu geben, der daran zerbricht, vom König zum Deppen degradiert zu werden. Warum? WEIL ICH ES SO FÜHLE!
Am Ende hatten wir wenigstens die Liefergebühren raus verhandelt. Aber die Lieferbarkeit mussten wir fortan wochenlang selber überprüfen und anrufen und die Lieferung organisieren (kostenlose Lieferungen war die Hotline nämlich nicht gewohnt).

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Wird die Schublade tatsächlich geliefert? Drei Wochen vor der Lieferung der großen Ladung wurde der erste Schwung an Teilen schon geliefert (also mehrere Tage einplanen). Allerdings: Lieferung an die falsche Adresse – die abweichende Rechnungsadresse. Leider ließ sich die nämlich nicht mehr so einfach korrigieren.

„Das lässt das System nicht mehr zu. Das müssen Sie am Telefon machen.“ Und selbst das hat nicht funktioniert.

Jetzt müssen wir den ersten Schwung selber an die richtige Adresse transportieren. Eine Neubestellung an die richtige Adresse wäre zu heikel. Was, wenn die Sachen bis dahin wieder ausverkauft sind? Neinnein, den ersten Teilehaufen geben wir nicht mehr her. Und wenn das Geraffel das einzige ist, was uns an Küche bleibt. Denn noch ist nichts fertig aufgebaut. Und auch das soll Ikea für uns erledigen. Hat das aber outgesourct. Jetzt haben wir die Abstimmung mit dem Dienstleister auch noch an der Backe – Themen Steckdosen, Starkstromkabel, Dübel. Und rennen dem Lieferanten mit der korrigierten Adresse hinter-her.

Ikea ist da fein raus. Nach unseren knapp zehn Dutzend Küchenartikel-Käufen plus Schubladen-Extra-Shopping.
Der Mann im Bettengeschäft hat uns gesagt: „Okay, kommt, Sonderpreis: Lieferung und Aufbau inklusive. Der Hersteller liefert, aber aufbauen tun wir selber. Da können wir alles in Ruhe vor Ort besprechen, an welche Steckdose ihr später noch ran wollt und so weiter. Meine Männer haben Zeit und sind flexibel.“

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Lesen Sie auch: Wie Ikeas Paketlieferungen an einer 70-Cent-Spülbürste scheitern

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