Coty-Chef Peter Harf „Rein auf die Marge zu schauen, ist Bullshit“

Peter Harf, Chairman der JAB Holding, zu der etwa Jacobs-Kaffee, Schweppes und die Kosmetikmarke Covergirl gehören. Quelle: Eljee Bergwerff für WirtschaftsWoche

Der oberste Vermögensverwalter der Milliardärsfamilie Reimann über den Umbau der Problemtochter Coty, seine Arbeitsweise in Coronazeiten und die Kooperation mit Influencerinnen wie Kylie Jenner und Kim Kardashian.

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WirtschaftsWoche: Herr Harf, Sie sind seit dem 1. Juni nicht nur Chef des angeschlagenen Kosmetikkonzerns Coty. Sie verwalten als Chairman der JAB Holdings genannten Beteiligungsgesellschaft der Familie Reimann auch ein Investitionsvolumen von 120 Milliarden Dollar mit vielen Aufsichtsposten etwa beim Kaffeekonzern JDE, der gerade an die Börse gegangen ist. Wie kriegen Sie ihre vielen Jobs unter einen Hut?
Peter Harf: Das geht gut. Ich bin bei JAB ja nicht der CEO. Das ist Olivier Goudet. Der trägt im Moment die Hauptlast und ermöglicht mir damit die Arbeit bei Coty. Dazu haben wir ein Team aus Top-Leute, die mir JAB und Coty Vieles abnehmen. Außerdem ist mein Job als Coty-Chef ja nur vorübergehend. Ab dem 1. September wird mich Sue Nabi ablösen. Sue ist aus meiner Sicht die erfahrenste und beste Kosmetik-Managerin der Welt. Sie wird sich sehr schnell einarbeiten.

Wie ist die Arbeitsteilung zwischen Ihnen und Frau Nabi?
Feste Arbeitsteilung? Das ist ein völlig altmodisches Konzept. So etwas haben wir nicht.

Wie arbeiten Sie denn bei Coty?
Wie bei allen Beteiligungen von JAB. Wir bilden für jede Aufgabe Teams, wo jeder mit den passenden Fähigkeiten reinspringt. Natürlich habe ich nach 50 Jahren im Geschäft eine sehr breite Kompetenz. Doch wir haben auf allen Führungsebenen Traumleute wie Ricardo Rittes, Fabien Simon und Jacek Szarzynsk, die früher bei Markenartiklern wie Anheuser Busch Inbev oder Mars die größten Deals gemacht haben. Wenn etwas anliegt, verfassen wir keine langen Memos, sondern helfen uns sofort gegenseitig. Wer in irgendeiner Frage einen Gesprächspartner braucht, ruft einfach einen Kollegen an und der hilft ohne Hintergedanken. Das gilt auch für mich.

Bei JAB verlieren Sie aber offenbar auch mal Leute im Streit, wie es laut Presseberichten offenbar bei David Kamenetzky der Fall war.
Zu Personalien sage ich nichts. Nur eins: Es war anders als berichtet und kein Abgang im Streit.

Wie lange bestimmen Sie bei Coty das Alltagsgeschäft, wenn Frau Nabi kommt?
Ich überlasse natürlich Sue die Arbeit als CEO. Doch manche Dinge wie den Kontakt zu Großinvestoren und Analysten begleite ich noch eine Weile. Ansonsten werde ich mich bald wieder auf meine Rolle bei JAB beschränken können. Doch wann immer mich das Unternehmen braucht, bin ich erreichbar.

Harf, 74, ist Chairman und Senior Partner der JAB Holding genannte Vermögensverwaltung der deutschen Milliardärsfamilie Reimann mit einem verwalteten Vermögen von 120 Milliarden, von denen rund 30 Milliarden den Reimanns gehören. Neben dem CEO-Posten beim Kosmetikkonzern Coty, der JAB mehrheitlich gehört, sitzt er noch in Aufsichtsgremien wie beim Kaffeekonzern JDE (Marken: Jacobs, Senseo, Tassimo) oder Keurig Dr. Pepper (Schweppes, 7up). Dazu gründete Harf nach dem Leukämietod seiner ersten Frau die DKMS (Deutsche Knochenmarkspenderdatei). Quelle: Eljee Bergwerff für WirtschaftsWoche

Das klingt, als wollten Sie sich zurückhalten. Sie haben Coty von 1992 an 20 Jahre erst als Chef und dann als Verwaltungsratschef geführt. Und als Sie sich ganz zurückgezogen haben, gab es Probleme.
Über die Probleme will ich jetzt nicht nochmal im Detail reden. Aber klar ist, wir haben unseren Weg verloren und nicht geliefert.

Lag das an der Übernahme von Wella und 40 anderen Marken von Procter & Gamble?
Nein. Der Deal brachte uns nicht nur Wella, sondern auch eine Reihe von Top-Marken wie Covergirl, der größten Kosmetikmarke in den USA. Darum ist der Deal strategisch immer noch eine Supersache. Er wurde nur falsch umgesetzt.

Warum haben Sie als Chef des Mehrheitsaktionärs JAB nicht früher eingegriffen?
Offen gesagt haben damals Leute Coty gelenkt, die mir nicht zuhören wollten, die mich nicht mal im Raum haben wollten.

Sie meinen Ihren früheren JAB-Kollegen Bart Becht, der bis Anfang 2019 Coty geführt hat.
Das will ich nicht kommentieren. Doch sobald ich die Möglichkeit hatte mich einzubringen, habe ich mich eingebracht.

Nach fünf Chefwechseln in zwei Jahren soll nun Sue Nabi das Coty-Geschäft flott machen. Wie haben Sie die ausgesucht?
Nicht wir haben Sue ausgesucht, Sie hat uns ausgesucht. Es gibt keinen aus der Kosmetikbranche, den ich lieber hätte haben wollen. Ich hätte nie die Arroganz gehabt, Sue für die Position als Coty-CEO anzusprechen. Sue Nabi ist eine Legende der Kosmetikindustrie. Eigentlich müsste sie heute die Chefin von L’Oréal sein. Als daraus nichts wurde, hat sie erfolgreich ein eigenes Unternehmen aufgebaut. Nachdem ich 2019 die Verantwortung bei Coty wieder übernommen habe, hatte ich gleich den Gedanken, wie gut es doch wäre, wenn ich Sue um Rat frage könnte. Also habe ich sie angesprochen, ob sie nicht unsere Beraterin werden will. Nach mehreren Gesprächen hat sie eingewilligt.

Wie wurde Sie von der Beraterin zur Chefin?
Das war ihre Entscheidung. Ich hatte ihr Freitagmorgen den Vertrag zugeschickt. Doch über das Wochenende hörte ich nichts von ihr. Montag früh rief sie dann an und sagte: ‚ich hab‘s mir überlegt. Ich will nicht Eure Beraterin sein.‘ Da habe ich kurz gestutzt. Doch dann sagte sie, ‚stattdessen will ich Euer CEO sein.‘ Ich sagte sofort ja und fragte, warum Sie das will. Sie sagte nur: Das ist eine Gelegenheit, die man im Leben nur einmal bekommt. Und dann ergänzte sie noch: Coty hat ein fantastisches Portfolio und großartige Aussichten.

Wenn man Ihre gerade vorgestellten Zahlen für das Geschäftsjahr 2020 nimmt, sieht es danach aber so gar nicht aus.
Das letzte Quartal unseres Geschäftsjahres war fruchtbar. Die Übernahme der Marken von Procter & Gamble wie Wella war unvorstellbar schwierig. Wir haben praktisch jeden Fehler gemacht, den man machen kann. Und die Coronakrise tat ein Übriges. Was jetzt zählt ist: wir haben fantastische Produkte. Wir sind Weltmarktführer bei Parfüms. Das haben wir jetzt kombiniert mit den Produkten von Kylie Jenner und Kim Kardashian. Meine Aufgabe und die meines Teams ist, jetzt den kreativen Raum und den finanziellen Rahmen zu schaffen, damit Sue eine Erfolgsspirale in Gang setzt. Das wird sie schaffen. Wir werden in unser im Juli begonnenes neues Geschäftsjahr mit einem fantastischen ersten Quartal starten.

„Unsere Aufgabe ist es, eine Erfolgsspirale in Gang zu setzen“

Was ist Ihr Ziel für Coty? Sie haben mal gesagt, Sie wollen Coty zum Glanz zurückführen, den Coty unter Ihrer Führung hatte.
Das wäre mir zu wenig. Wir wollen Coty nicht in den alten Glanz führen, sondern in einen Glanz, den das Unternehmen nie zuvor hatte. Die Kombination aus Sue und den finanziellen Möglichkeiten, auch durch das Engagement von KKR als neuer Aktionär, machen Coty endgültig zu einem der besten Investments, das wir bei JAB haben.

Wie wollen Sie das erreichen?
Wir haben einen festen Plan, den wir rigoros umsetzen. Wir treffen uns regelmäßig mit dem Vorstand und weiteren Führungskräften. Dabei sehen wir uns jedes einzelne Element an. Liegen wir nicht da, wo wir liegen wollen, stecken wir die Köpfe zusammen und reden sehr offen. So habe ich das mein ganzes Berufsleben lang gemacht.

Bleibt es beim Ziel eines operativen Gewinns von 15 Prozent auf den Umsatz bis 2023, wie es Ihr Finanzchef Pierre-Andre Terisse im Mai versprochen hat?
Das habe ich nie gesagt. Rein auf die Marge zu schauen, ist Bullshit. Es geht nicht um die Margen, es geht um den Unternehmenswert. Natürlich müssen wir Geld verdienen. Aber wir müssen vor allem den alten Glanz erreichen. Das schaffen wir nicht mit Sparmaßnahmen, sondern indem wir investieren und unser Angebot an führenden Marken ausbauen. Wir haben in den USA mit Covergirl bereits die führende Makeup-Marke. Jetzt kommen mit Kylie Jenner und Kim Kardashian zwei fantastische Pflegemarken, die wir weltweit spielen können. Das zu erreichen, ist die Aufgabe der nächsten fünf Jahre, nicht eine höhere Marge. Wenn wir das richtig machen, kommt die dann fast von allein.

Für Anteile die noch sehr jungen Firmen von Kylie Jenner und Kim Kardashian West haben sie insgesamt 800 Millionen Dollar bezahlt. Wie rechnet sich das?
Erstmal sind die Firmen sehr profitabel. Wichtiger ist jedoch, dass Kylie und Kim unsere Lücke schließen bei der Haut- und Gesichtspflege. Es war der große Baufehler von Coty, dass wir da bisher kein gutes Angebot hatten. Das habe ich durch den Kauf von Kylie Cosmetics gelöst, lange bevor ich CEO geworden bin. Bei Pflegeprodukten wird nicht nur das meiste Geld verdient. Ohne sie wird kein Unternehmen in den großen Märkten in Asien wie China, Japan oder Korea Erfolg haben. Denn dort machen diese Produkte rund 80 Prozent des Branchenumsatzes aus. Dazu haben Kosmetikmarken die größte Kundentreue. Wenn eine Frau einmal ihre Marke gefunden hat, bleibt sie loyal. Jetzt werden wir mit Kylie und Kim auch in dem Feld zu den Marktführern gehören. Mit beiden können wir im Jahr jeweils bis zu einer Milliarde Dollar im Jahr zusätzlich umsetzen. Kylie Cosmetics spricht vor allem Mädchen ab zwölf Jahren und junge Frauen bis Mitte Zwanzig an, wogegen Kim sich an Frauen über 30 Jahre wendet. Dazu kommt im Premiumsektor die Marke Orveda, die Sue erfolgreich aufgebaut hat. Die werden wir ebenfalls übernehmen. Das wird neben Kim und Kylie unser nächster großer Umsatzbringer.

In den vergangenen Investorenterminen schienen Sie weniger siegessicher. Da haben sie gezweifelt, ob Coty je zu L’Oréal, Shiseido oder Estée Lauder aufschließen kann.
Das bezog sich vor allem auf den Markenwert. Das heißt nicht, dass wir nicht vorankommen. Gerade weil wir jetzt erste Erfolge sehen, wollte ich klar machen, dass noch viel Arbeit vor uns liegt. Ich will keinen unserer Wettbewerber angreifen oder gar überholen. Wir werden erstmal unser Geschäft solide aufstellen und haben unser Schicksal wieder selbst in die Hand genommen. Wir können nicht davon abhängig sein, ob L’Oréal etwas tut oder nicht.

Das klingt nicht sehr ehrgeizig.
Das täuscht. Ich habe natürlich große Pläne und wir sind auch schon wieder erfolgreich. Aber ich denke nicht im Traum daran, uns bereits mit L’Oréal oder Estée Lauder zu vergleichen. Die machen das jetzt seit 100 Jahren und sind supergut. Zu glauben wir könnten in fünf oder zehn Jahren in deren Nähe kommen ist Traumtänzerei.

Sie gehören gerade trotz Corona zu den Vielreisenden. Wie schaffen Sie das angesichts der immer neuen Reisewarnungen und anderer Hindernisse?
Ich reise trotz der vielen Videokonferenzen vielleicht mehr als andere, aber ich bin weniger, dafür kontrollierter unterwegs als früher und immer nur kurz an einem Ort. Dabei hilft mir natürlich, dass ich 50 Jahre Erfahrung habe, wie man effizient reist. Und ich habe das Privileg, dass ich mir alle Möglichkeiten aussuchen kann vom Auto bis zum Flugzeug.


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Wie sehr behindern Sie die ständig wechselnden Auflagen wie Reisewarnungen oder vorgeschriebene Coronatests?
Das ist natürlich lästig und ich lasse es notgedrungen über mich ergehen. Ich bin den vergangenen Wochen mindestens acht Mal getestet worden und wundere mich über die Unterschiede. In Deutschland geht es etwas gefühlvoller zu, während einem in Italien die Stäbchen oft brutal in den Rachen oder die Nase geschoben werden und man einen starken Würgereiz bekommt. Aber nach 50 Jahren „On the Road“ bin ich abgehärtet.

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Manager Peter Harf hat für die Unternehmerfamilie Reimann ein Firmenreich aufgebaut. Die Probleme beim Kosmetikkonzern Coty bekommt er bisher nicht in den Griff. Nun sollen Social-Media-Stars und ein Sparprogramm helfen. Wie es mit Kylie Jenners und Kim Kardashians Hilfe wieder bergauf gehen soll.

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