Das Risiko der Hinweisgeber Deutsche Dax-Konzerne schätzen Whistleblower – offiziell

Seite 2/2

Diese Unternehmen befürworten die EU-Whistleblower-Richtlinie

„Der Arbeitnehmer sollte dokumentieren können, dass er versucht hat den Vorgang intern aufzuklären“, sagt Anwalt sagt Gero von Pelchrzim, Fachanwalt für Strafrecht in Frankfurt. „Er sollte seinen Verdacht am besten schriftlich, etwa per E-Mail melden und auch schriftlich noch einmal nachfassen.“

Geht der Mitarbeiter dann zur Polizei, sollte er sich immer noch sehr sicher sein, dass sein Verdacht auch stimmt. „Liegt er nämlich falsch oder kann der angezeigte Vorfall nicht bewiesen werden, kann der Arbeitgeber ihn für die Folgen haftbar machen“, sagt Pelchrzim. Und das kann teuer werden: Liegt beispielsweise gegen einen Restaurantbesitzer eine Strafanzeige wegen Hygienemängeln vor und bleibt sein Restaurant deshalb leer, kann der Arbeitnehmer zu Schadenersatz verurteilt werden, wenn sich die Vorwürfe später als falsch herausstellen. Zwar muss der Mitarbeiter dafür leichtfertig gehandelt haben, aber das zu bewerten, ist nicht ganz einfach. Wenn der Arbeitgeber ein Chemiebetrieb ist, und der Chef seine Mitarbeiter anweist nachts Fässer in einem Waldstück zu leeren, darf der Arbeitnehmer dann davon ausgehen, dass dort etwas Illegales passiert? „Eigentlich sollte ein Arbeitnehmer erst zur Polizei gehen, wenn er den Fall selbst ermittelt hat. Er kann das nicht den Behörden überlassen“, sagt Arbeitsrechtler Bredereck. Ansonsten sei der Arbeitnehmer immer einem hohen Risiko ausgesetzt.

Neue Gesetze sollen die Risiken für die Whistleblower mindern. Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat sich am Dienstag für eine Richtlinie ausgesprochen, die unter anderem einen besonderen Kündigungsschutz für Whistleblower vorsieht. Im nächsten Schritt wird es Gespräche zwischen EU-Parlament, dem Europäischen Rat und der EU-Kommission geben. Wird die Richtlinie dann erlassen, muss sie von den einzelnen Mitgliedsstaaten immer noch in eigene Gesetze umgewandelt werden.

Nach einer Umfrage der WirtschaftsWoche sind vier der im Dax30 notierten Unternehmen dafür, dass die EU den Schutz für Whistleblower verbessert: der Reifenhersteller Continental, der Chemiekonzern Covestro, die deutsche Airline Lufthansa und die Deutsche Telekom. Der Energiekonzern E.On begrüßt zumindest, dass das Thema bei der EU eine hohe Priorität genießt.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) als Stimme der gesamten deutschen Wirtschaft spricht sich allerdings gegen die Richtlinie aus. Nach Ansicht der dortigen Experten sind Whistleblower bereits ausreichend geschützt. So verhindere das Maßregelungsverbot bereits heute, dass einem Angestellten gekündigt werden könne, weil er in zulässiger Weise Hinweise auf Rechtsverstöße gegeben habe, erklärt die BDA. Wenn der Arbeitgeber andere Gründe für die Kündigung vorbringt, müsse er diese schon jetzt belegen. Die geplante EU-Richtlinie gehe hingegen zu weit. Sie sehe eine Verschärfung dieser Regeln vor, die dem Arbeitgeber nicht zuzumuten seien, heißt es beim BDA. „Demnach soll ein Arbeitgeber bei der Entlassung eines Mitarbeiters konkret belegen müssen“, dass er dem Mitarbeiter nicht gekündigt habe, weil er Whistleblower war, sondern die Kündigung „ausschließlich auf anderen Gründen basiert.“ Das sei kaum möglich.

Die BDA stört sich ebenfalls daran, dass die EU-Richtlinie den Hinweisgebern einen breiteren Spielraum geben soll ohne Umweg über den Arbeitgeber direkt auf Behörden zuzugehen. Die BDA fürchtet, dass dadurch „eine Kultur des Anschwärzens“ innerhalb der Unternehmen entstehen könnte. Mitarbeiter würden so ermuntert, sich wechselseitig anzuzeigen. Dadurch könnte der Betriebsfrieden gestört werden. „Eine solche gesetzliche Regelung ist überflüssig und gefährlich“, heißt es in einer Stellungnahme.

Derweil wartet Clarissa E. auf das Bewerbungstraining, das ihr das Arbeitsamt verordnet hat. Mit Ende 50 steht sie vor den Trümmern ihrer wirtschaftlichen Existenz – weil sie als Whistleblowerin ihr Unternehmen schützen wollte.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%