Holzbau als Mittel zum Klimaschutz Gut Holz!

Das SKAIO ist mit einer Höhe von 34 Metern das derzeit höchste Holzhaus Deutschlands. Quelle: imago images

Ineffizientes Wohnen verursacht mehr als ein Drittel der CO2-Emissionen deutscher Haushalte. Nun fordern Politiker, mehr Häuser aus Holz zu bauen, Baden-Württemberg prescht mit einer Holzbau-Offensive voran. Was ist davon zu halten?

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Wenn CDU und SPD dieser Tage dasselbe fordern, dann hat man sich entweder verlesen – oder aber die Sache, um die es geht, ist wichtiger als Parteiprofilierung. Der Holzbau fällt in die zweite Kategorie. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) äußerte vor wenigen Wochen den Vorschlag, mehr Holzhäuser zu bauen, um die Klimaziele zu erreichen, weil Holz CO2 speichert. Nur wenige Tage später legten vier SPD-Bundestagsabgeordnete ein Positionspapier vor, in dem sie forderten, den Wald zu schützen und die Holzwirtschaft zu stärken. Für staatlich gebaute Gebäude wollen die Sozialdemokraten einen Holz-Mindestanteil vorschreiben.

Wenig überraschend freut sich Christoph Windscheif, Marketingleiter des Bundesverbands Deutscher Fertigbau (der im Hauptverband der Deutschen Holzindustrie organisiert ist): „Wenn die Politik nun die Vorteile von Holzbau erkennt und die Förderung auf Bundesebene voranbringt, ist das eine hervorragende Entwicklung.“

Tatsächlich bietet Holzbau einige Vorteile – und bei einem Anteil von zuletzt gemessenen 20,6 Prozent an Baugenehmigungen für Ein- und Zweifamilienhäuser in Deutschland ist auch noch genug Platz zum Wachsen. Laut Umweltbundesamt ist das ineffiziente Bewirtschaften von Wohnungen, im Wesentlichen bezogen auf Heizung und Warmwasser, für mehr als ein Drittel aller Kohlendioxid-Emissionen der deutschen Haushalte verantwortlich. Somit ist ineffizientes Wohnen umweltschädlicher als das Fahren schwerer Autos und das Essen von Rindersteaks. Wie sehr könnte Holzbau hier helfen?

Bis zu 56 Prozent CO2-Einsparpotenzial

Die Antwort kennt Sebastian Rüter. Und sie lautet: eine Menge. Rüter arbeitet für das Thünen-Institut, ein Bundesforschungsinstitut unter Aufsicht des Bundeslandwirtschaftsministeriums, das sich mit den Forschungsgebieten Ländliche Räume, Wald und Fischerei befasst. Rüter leitet den Arbeitsbereich zur Auswirkung der Holznutzung auf Umwelt und Klima. Nach seinen Erkenntnissen liegt das Treibhausgas-Einsparpotenzial bei holzbasierten Einfamilienhäusern, im Vergleich zu Häusern konventioneller Bauweise, zwischen 35 und 56 Prozent – abhängig vom Wärmedämmverbundsystem, von einer Kalksandstein- oder Lochziegel-Bauweise. Bei Mehrfamilienhäusern sieht Rüter Einsparpotenziale zwischen neun und 48 Prozent.

Vor Kurzem erst war Rüter als Experte zu einer Anhörung im baden-württembergischen Landtag geladen. Das Bundesland sieht sich als ökologischer Vorreiter: Die schwarz-grüne Landesregierung hat bereits im November 2018 die sogenannte Holzbau-Offensive beschlossen. Diese sieht unter anderem vor, einen Förderbonus zu prüfen, „der für Bauherren Anreize schafft, Ökobilanzen als Grundlage für die Baustoffauswahl zu erstellen.“ Der Rohstoff Holz als Baustoff soll in den kommenden fünf Jahren mit rund 16,5 Millionen Euro gefördert werden.

Baden-Württembergs Agrar- und Forstminister Peter Hauk (CDU) verweist ebenfalls auf die Umweltfreundlich- sowie Nachhaltigkeit des Rohstoffes: Alle fünf Sekunden, so schreibt es das baden-württembergische Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, wachse der Wald in Deutschland um die Holzmenge, die für ein Einfamilienhaus in Holzbauweise nötig wäre. Wie um die Vorzüge des Baustoffes zu demonstrieren, wurde im April in Heilbronn das mit 34 Metern höchste Holzhaus Deutschlands fertiggestellt.

„Potenzial von Holzbau noch nicht ausgeschöpft“

Auch anderswo sorgen prestigeträchtige weil besonders umfangreiche Holzbau-Vorhaben für Aufsehen: Im Messe-Stadtviertel Riem im Osten Münchens sollen elf neue Hochhäuser aus Holz entstehen; mit Höhen zwischen 45 und 60 Metern wäre der deutsche Holz-Hochhausrekord dann auch schon wieder gebrochen. In Hamburg-Neugraben im Quartier Vogelkamp ließ die Hansestadt Wohnungen sowie Ein- und Mehrfamilienhäuser bauen, die zu 75 Prozent aus Holz bestehen. Durch Materialoptimierung wie die Vorfertigung der Nagelholzwände konnte das Bauen beschleunigt werden. „Holzbau an sich ist zwar nicht günstiger, das Material kostet gleich viel“, sagt der zuständige Architekt Heiner Limbrock gegenüber der Berliner „Tageszeitung“ (Taz). „Die Schnelligkeit des Bauens macht aber den entscheidenden Unterschied.“ Und im Münchner Stadtteil Bogenhausen entsteht eine ökologische Musterhaussiedlung mit 570 Wohnungen in Holzbauweise – es soll Deutschlands „größte zusammenhängende Holzbausiedlung“ sein.

Und dennoch, so schreibt es auch die baden-württembergische Landesregierung: Trotz all der bekannten Vorzüge „hat der Holzbau seine Potentiale (…) bislang noch nicht ausgeschöpft.“

Christian Guse ist Partner der Beraterfirma Boston Consulting Group und als solcher zuständig für Prozesse und Lieferketten in den Bereichen Bau, Baustoffe und Industriegüter. Auch er befindet: „Das grundsätzliche Potenzial von Holzbau ist in Deutschland sicher noch nicht ausgeschöpft. Es ist davon auszugehen, dass der Anteil weiter wachsen wird.“ Neben dem Nutzen der CO2-Speicherung verweist er auf den industriellen Vorteil des Holzbaus: Holzbauteile könne man „stärker standardisieren, mehr vorarbeiten, mehr automatisieren, schneller bauen und die Bauteile sind aufgrund ihres Gewichts leichter zu transportieren.“ Holzbau sei zwar im Durchschnitt nicht wesentlich günstiger als herkömmliche Bauweisen, da die Baustoffe nur etwa fünf bis zehn Prozent der Baukosten ausmachten; aber in der Geschwindigkeit liege der entscheidende Vorteil.

von Benedikt Becker, Simon Book, Jan Guldner, Andreas Menn, Thomas Kuhn, Sven Böll

Bayern und Baden-Württemberg sind am waldreichsten

Mit der Geschwindigkeit aber ist es so eine Sache. Die deutsche Holzbau-Branche ist mittelständisch geprägt. Rund 50 Anbieter, oftmals inhabergeführte Familienunternehmen, teilen sich einen Markt von zuletzt rund 2,9 Milliarden Euro Umsatz (acht Prozent mehr als im Jahr 2017). Der Markt ist aber, entsprechend der Verteilung der einzelnen Firmen, recht regional strukturiert; Firmen, die deutschlandweit flächendeckende Präsenz haben, gibt es kaum. „Wo Holz als Rohstoff verfügbar ist, wird er auch mehr genutzt“, sagt Windscheif. „Dort befinden sich die holzverarbeitenden Unternehmen, und da gibt es auch eine starke Tradition: Die Leute kennen diese Bauweise.“

Die Bundesländer mit der größten Waldfläche sind laut Bundeswaldinventur von 2012 Bayern und Baden-Württemberg mit 2,6 Millionen Hektar beziehungsweise 1,4 Millionen Hektar Wald. Dementsprechend liegt auch in den beiden Ländern der Marktanteil des Holzfertigbaus über dem bundesweiten Durchschnitt: In Baden-Württemberg etwa betrug der Holzbau-Anteil im ersten Halbjahr dieses Jahres 37,7 Prozent, in Bayern 24 Prozent. Zum Vergleich: demgegenüber stehen Länder wie Hamburg mit 6,3 Prozent Holzbau-Anteil und Niedersachsen mit 8,6 Prozent am anderen Ende der Statistik.

„Starke Beharrungskräfte“ und Bauvorschriften bremsen den Holzbau

Im niederbayerischen Ortenburg, rund 20 Kilometer westlich von Passau, sitzt die Sonnleitner Holzbauwerke GmbH. Familiengeführt von Gotthard Sonnleitner. In den vergangenen fünf Jahren, so sagt es Marketingchef Ernst Mötz, hat die Firma ihren Umsatz um 35 Prozent auf 20 Millionen Euro steigern können. „Wir merken eine verstärkte Nachfrage, vor allem nach Mehrfamilienhäusern und Wohnungs- und Objektbauten“, erzählt Mötz. „Wir könnten aufgrund der Nachfrage und der größtmöglichen Fertigungstiefe theoretisch einen Drei-Schicht-Betrieb fahren, dazu fehlen uns aber die Fachkräfte. Das geht aber fast allen in der Branche so.“

Befürworter des Holzbaus wollen den deutschlandweiten Durchschnittswert von 20,6 Prozent anheben. „Im Vergleich mit Österreich hinkt Deutschland noch hinterher“, sagt Sonnleitner-Marketingchef Mötz. In Österreich liegt der Holzbau-Anteil bei rund 35 Prozent. Vorbilder sind auch Länder wie Schweden, Finnland und Norwegen mit Anteilen zwischen 45 und 50 Prozent. Im norwegischen Brumunddal, nördlich von Oslo, steht das mit 85,4 Metern derzeit höchste Holzhochhaus der Welt.

Das Problem: „Die Bauindustrie ist eine vergleichsweise traditionelle Industrie“, erklärt Boston-Consulting-Partner Guse. „Es wirken teilweise starke Beharrungskräfte, aber auch bei den Kunden ist das Thema Holzbau nicht durchweg positiv besetzt. Ein schneller Umstieg auf einen deutlich größeren Anteil von Holzbau ist daher nicht leicht zu realisieren. Das geht bereits bei dem Thema Know-how und Qualifizierung los – die meisten Architekten und Planer dürften nur geringe Erfahrung im Holzbau haben. Dasselbe gilt für Fachkräfte auf dem Bau, die müssten geschult werden.“

Mauerwerk-Industrie kritisiert die Holzbau-Offensive

Eine Kostprobe jener Beharrungskräfte erlebte etwa die Landesregierung Baden-Württembergs infolge ihrer erwähnten Holzbau-Offensive. Die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) reagierte mit deftiger Kritik. Der Vorsitzende ließ sich mit den Worten zitieren: „Baden-Württemberg ist auf dem Holzweg.“ Die Mauerstein-Industrie wolle nicht tatenlos zusehen, wenn die Landesregierung die Holzbauweise einseitig bevorteile, teilte Geschäftsführer Ronald Rast mit. Der Holzbau werde einseitig mit Steuermitteln gefördert und dies verzerre den Wettbewerb. Die DGfM sprach von einem „Baustoff-Diktat fürs Holz“ und kündigte juristische Schritte an. Ein vom Verband beauftragter Jurist schrieb: „Hier ist eine selektive, ausschließlich einer Branche zugutekommende Wirtschaftsförderung geplant.“

Kritik kommt auch vom Förster und Buchautor Peter Wohlleben. Im Interview mit der WirtschaftsWoche warnte er jüngst vor Aktionismus: einfach nur mehr Holz aus den Wäldern zu schlagen, „widerspricht dem gesunden Menschenverstand“. Er fordert ein Ende der „Nadelholzverliebtheit“ der Deutschen und stattdessen ein natürliches Wachstum heimischer Laubbäume. „Holzverarbeiter sind auf gleichmäßige Lieferungen angewiesen. Also hat die Holzwirtschaft ein großes Interesse an gesunden Ökosystemen, denn sie sorgen für stabilen Nachschub von Rohstoffen.“ Wenn man nur auf wenige Baumsorten setze „und die Plantagen eingehen, wird der Markt mit Holz überschwemmt“. Dem stimmt Fertigbau-Marketingleiter Christoph Windscheif zu: Seine Verbandsmitglieder wollten dasselbe. Keine Monokulturen, dafür Artenvielfalt. „Wir müssen den Wald so umbauen, so dass er nachhaltig ist. Der Begriff Nachhaltigkeit kommt ja aus der Forstwirtschaft. Und wir brauchen den Wald dauerhaft. Darum wollen wir sicherstellen, dass er funktioniert.“

Fehlende Fachkräfte und zu viele Vorschriften

Von diesem Widerstand abgesehen sieht Christoph Windscheif noch zwei weitere Gründe dafür, warum in Deutschland nicht mehr Wohnungsholzbauten entstehen: Auf den Baustellen fehle es an Holzbau-Fachkräften, wie etwa Holzmechanikern. Vor allem aber seien „ordnungsrechtliche Hindernisse“ der einzelnen Länder ausschlaggebend: Laut einer Studie des Thünen-Instituts aus dem Jahr 2014 benachteiligen sechs von 16 Bundesländern das Bauen mit Holz wegen veralteter Landesbauordnungen. Einschränkende Bauvorschriften machten Holzbau unnötig teurer. So schreiben einige Bundesländer bei Holzhäusern ab drei Geschossen besondere Vorschriften vor. In der Schweiz etwa gibt es keine solcher besonderen Vorschriften für Holzbau; dort liegt der Holzbau-Anteil auch wesentlich höher als in Deutschland.

Der Präsident des Deutschen Holzfertigbau-Verbandes Erwin Taglieber fordert deshalb, das Nebeneinander von 16 Landesbauordnungen zu beenden, vor allem im Bereich Brandschutz, wo es die größten Unterschiede gibt. Das Architektur- und Baufachmagazin BBA nennt als Beispiel die „Anleiterhöhe“, jene Fenster, an die Feuerwehrleute im Brandfall eine Leiter anbringen können, um Bewohner zu retten. In Hessen muss dieses Fenster andere Dimensionen haben als in Brandenburg oder Baden-Württemberg, auch gibt es verschiedene Vorgaben, in welcher Höhe diese Fenster angebracht werden dürfen. Hersteller müssen also je nach dem, in welchem Bundesland sie bauen, ihre Hausteile anpassen, was den Bau teurer macht.

Bis 2050: Wohnungsbedingte Emissionen auf null

Auch der niederbayerische Holzbetrieb Sonnleitner macht diese Erfahrung: „Die Bauvorschriften werden immer umfangreicher – vollkommen unbegründet“, kritisiert Marketingchef Ernst Mötz. „Hatten die Einreichunterlagen für ein Bauvorhaben vor drei Jahren noch 40 bis 50 Seiten, sind es heute schon oft 70 Seiten. Das blockiert die Freiheit im Hausbau.“ Zudem werde immer noch fälschlicherweise angenommen, Holzhäuser hätten eine erhöhte Brandgefahr – „dabei brennen Holzhäuser nicht häufiger als Gebäude aus anderen Baustoffen.“

„Es könnten noch mehr Holzhäuser gebaut werden“, sagt Christoph Windscheif. Und er glaubt die Dringlichkeit des Klimaschutzes auf seiner Seite: Im Klimaschutzplan der Bundesregierung gibt es einen „Fahrplan für einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand“: Bis zum Jahr 2050 sollen die wohnungsbedingten Emissionen der Deutschen also möglichst auf null sinken. Am 20. September will das „Klimakabinett“ der Regierung ihr Klimaschutz-Maßnahmenpaket präsentieren. Und am 25. September hat Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) zu einem Waldgipfel eingeladen. Möglicherweise wird Thünen-Holzexperte Sebastian Rüter im Anschluss noch ein paar mehr Anhörungen geladen werden.

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