Osteuropa Europas Werkbank macht dicht

Grenzkontrollen an der deutsch-tschechischen Grenze Quelle: imago images

Die deutsche Industrie bekommt ein Nachschubproblem. Durch die innereuropäischen Grenzschließungen stockt auch der Warenverkehr. Zudem fahren immer mehr Werke in Osteuropa die Produktion herunter.

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Bernard Bauer verfolgt die Nachrichten über die Corona-Pandemie in tschechischen Zeitungen und Nachrichtenseiten. Die Bilder und Videos von den enormen Staus an den Grenzen Tschechiens zu Bayern und Sachsen gefallen dem Geschäftsführer der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (AHK Tschechien) gar nicht. „Die Wartezeiten an der Grenze betreffen mittlerweile auch die Warenlieferungen. Für Just-in-Time-Lieferungen wird das natürlich zum Problem“, sagt Bauer.

Eigentlich gelten die innereuropäischen Grenzschließungen von Deutschland, Italien, Tschechien, Slowakei und Polen nur für den Personenverkehr. Doch die dadurch ausgelösten Staus – vergangene Woche bildete sich auf der italienischen Seite des Brenners durch die österreichischen Grenzkontrollen eine Schlange über rund 80 Kilometer – betreffen längst auch den Warenverkehr. Die exakt austarierten Lieferketten der Industrie quer durch Europa geraten massiv unter Druck. Slowakischen und italienischen Unternehmen fehlen durch die Grenzstaus etwa zunehmend Vorprodukte aus den Nachbarländern Europas.

Gleichzeitig fahren immer mehr Unternehmen ihre Werke in Osteuropa herunter. Volkswagen, das wegen dem Coronavirus seine europäischen Werke für ein bis zwei Wochen schließen will, hat die Produktion in der Slowakei bereits ruhend gestellt. Auch Audi will die Produktion neben den deutschen Standorten Ingolstadt und Neckarsulm etwa in Ungarn Ende dieser Woche vorerst stilllegen. Sowohl die Deutschen Außenhandelskammern in Tschechien als auch der Slowakei rechnen mit weitreichenden Auswirkungen auf die Produktion in diesen Ländern.

Peter Kompalla, Chef der Deutsch-Slowakischen Industrie- und Handelskammer (AHK Slowakei), beobachtet die wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus auf die Slowakei bereits seit Wochen: „Die Probleme beim produzierenden Gewerbe in der Slowakei gingen bereits mit dem Corona-Ausbruch in China los. Die Verzögerungen in der Logistik spürte man hier sehr stark“, sagt Kompalla. Zwar habe es durch das chinesische Neujahrsfest noch eine gewisse Überproduktion gegeben, die den Puffer in der slowakischen Industrie erhöhte. Danach sei es für einige Unternehmen allerdings eng geworden.

Wie gering diese Probleme im Vergleich zur momentanen Lage in Europa sind, zeigt die Handelsstatistik: Der Handel mit China beträgt gemessen am slowakischen Bruttoinlandsprodukt gerade einmal fünf Prozent. Der Handel zwischen der Slowakei und Italien liegt hingegen bei 20 Prozent, der mit Deutschland bei 37 Prozent.

„Wenn ein so starkes Industrieland wie Italien sowohl Probleme als Abnehmer als auch als Lieferant hat, wirkt sich das stark auf die Slowakei aus“, sagt Kompalla. Lieferprobleme gäbe es etwa bei Vorprodukten für den Automotive-Bereich, die durch die Grenzkontrollen teilweise nicht rechtzeitig in der Slowakei ankommen würden. Massive Eintrübungen befürchtet Kompalla auch beim Handel mit Deutschland. „Zwischen der Slowakei und Deutschland wir es sowohl bei der Nachfrage als auch beim Angebot Verschlechterungen geben“, warnt der slowakische AHK-Chef.

Während Volkswagen die Autoproduktion in der Slowakei zurückfährt, hat auch das Nachbarland reagiert. So fährt etwa die tschechische VW-Tochter Skoda die Produktion in seinen Werken bereits zurück und will sie am Freitag für zwei Wochen komplett einstellen. Betroffen sind die Werke Mlada Boleslav, Kvasiny und Vrchlabi. Insgesamt beschäftigen die tschechischen Skoda-Werke rund 37.000 Menschen. Sie sollen während des zweiwöchigen Stopps rund Dreiviertel ihres Lohns weiter ausgezahlt bekommen.

Bernard Bauer von der AHK Tschechien rechnet mit einer weiteren Drosselung der Produktion. „Alleine schon durch die Tatsache, dass vom Coronavirus infizierte Arbeiter ausfallen werden, rechne ich mit weiteren Produktionsrückgängen.“ Noch habe die tschechische Regierung allerdings keine konkreten Maßnahmen oder Beschränkungen für Arbeitsabläufe in Fabriken verlautbart.

Betroffen von möglichen Maßnahmen könnten etwa die Werke von Bosch und Siemens sein. Siemens betreibt in Tschechien sieben Werke mit mehr als 13.000 Mitarbeitern. So steht etwa in Brno ein Siemens-Werk für Industrie-Dampfturbinen oder in Mohelnice eines für Schienensysteme. Siemens teilt mit, dass sich das Unternehmen punkto Regelungen in den Werken „an die Vorgaben der Behörden“ halte, um die „Sicherheit und Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewährleisten“. Siemens weist darauf hin, dass in den „jeweiligen Ländern“ unterschiedliche Bestimmungen gelten können. Fragen, ob „möglicherweise Werksschließungen anstehen oder nicht“, wertet Siemens als Spekulation, die das Unternehmen nicht kommentiere.

Auch wenn die Pandemie die Wirtschaft in Zentral- und Osteuropa massiv lähmen könnte, sieht Peter Kompalla die Region mittel- bis langfristig sogar als Gewinner der Krise: „Eine Umfrage unter unseren Mitgliedern hat gezeigt, dass viele Unternehmen ihre Lieferketten von Asien zurück nach Europa holen wollen. Die Slowakei wird von diesem Trend profitieren.“

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