Vor allem die Rechtsgelehrten nehmen daran zunehmend Anstoß. An erster Stelle beklagen sie die mangelnde Transparenz der Urteile und ihre möglichen Folgen für das Wirtschaftsleben. „Mangels Kenntnis der Schiedssprüche kann niemand sicher sagen, ob in diesen privaten Verfahren das öffentliche Interesse gewahrt wird“, sagt Moritz Renner, Professor für transnationales Wirtschaftsrecht an der Universität Bremen. Die Frage stellt sich in erster Linie, wenn ein privates Unternehmen gegen den Staat vorgeht wie aktuell Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland. Der schwedische Energiekonzern liegt mit dem Bund wegen des Atomausstiegs vor einem Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten in Washington im Clinch.
Gleichzeitig formen die Schiedsgerichte im Verborgenen neues Recht, das nur die Eingeweihten kennen und das Wirtschaftsleben beeinflusst, ohne dass der Gesetzgeber dies so will. „Ich sehe ein großes Problem bei der Rechtsfortbildung. Die findet nicht mehr in allgemein zugänglichen Entscheidungen, sondern allenfalls noch in Schiedszirkeln statt. So wird auch für die Unternehmen keine Rechtssicherheit geschaffen“, kritisiert Jurist Renner.
Zudem wächst das Unbehagen bei einigen Rechtsgelehrten, weil sich so mancher Richter dadurch ein hübsches Zubrot verdient. Immerhin sind von den rund 20.400 Richtern in Deutschland im Schnitt geschätzte fünf Prozent auch bei Schiedsgerichten aktiv, bei den Oberlandesgerichten mehr. Sie müssen sich die Nebentätigkeit zwar genehmigen lassen. In Nordrhein-Westfalen etwa müssen die Richter bei Verfahren gegen die öffentliche Hand den Honoraranteil, der 6000 Euro im Kalenderjahr übersteigt, abführen. Für andere Verfahren gilt das aber nicht.
Beispielrechnung
Zwei Unternehmen streiten sich. A verklagt B auf Zahlung von 500.000 Euro, B fordert in einer Widerklage von A 300.000 Euro Der Streitwert beträgt 800.000 Euro.
Quelle: DIS-Gebührentabelle, Auslagen des Schiedsgerichts und die Anwaltskosten der Unternehmen gehen extra; Gerichtskostenrechner
Bearbeitungsgebühr der Schlichtungsstelle für die Klage: 5500 Euro
Bearbeitungsgebühr der Schlichtungsstelle für die Widerklage: 3000 Euro
insgesamt einschließlich Mehrwertsteuer: 10.115 Euro
Honorar für Beisitzer: 33.300 Euro
Honorar für den Vorsitzenden: 21.645 Euro
Honorar gesamt: 54.945 Euro
65.060 Euro
Vor Gericht beliefen sich die Kosten auf rund 34.000 Euro in der ersten Instanz.
„Außerdem fließt viel Expertenwissen ab, wenn sich staatliche Richter mit Problemen in bestimmten Bereichen wie bei Unternehmensübernahmen kaum noch beschäftigen“, sagt Jens Gnisa, Direktor des Amtsgerichts Bielefeld. „Und die zugängige Rechtsprechung wird ausgedünnt.“
Der Koordinator der Schattenjustiz hierzulande ist die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) in Köln. Der Verein wird von Industrie- und Handelskammern, Unternehmen und Juristen getragen. Er berät und organisiert gegen Bezahlung die Prozedur (siehe Kurztextgalerie). Die Gesamtsumme, um die Unternehmen vor Schiedsgerichten rangeln, hat sich explosionsartig erhöht, von 1,1 Milliarden Euro 2010 auf fast vier Milliarden Euro 2011. Neuere Zahlen gibt es nicht. Streitigkeiten nach Unternehmensverkäufen werden inzwischen zu mehr als 90 Prozent von Schiedsrichtern entschieden.