




Nein, Karl-Ludwig Kley, Chef des Darmstädter Pharma- und Chemiekonzerns Merck, mag sein Büro nicht. Die grauen Säulen mitten im Raum, die pastellfarbenen Wände, der runde Besprechungstisch aus hellblauem brasilianischen Marmor. Der Chef von weltweit fast 40 000 Mitarbeitern macht kaum einen Hehl aus seiner Abneigung. „Nicht mein Stil“, sagt der 61-Jährige.
Das pompöse Mobiliar stammt noch von Vorvorgänger Bernhard Scheuble. Eine Renovierung kommt für Kley nicht infrage – zu teuer, zu nervig, zu nebensächlich.
Der Merck-Chef muss sich um Wichtigeres kümmern. Der sonst eher Feinsinnige, ein Freund der Literatur (aktuell: Fjodor Dostojewski), legt brutal Hand an das älteste chemisch-pharmazeutische Unternehmen der Welt, dessen Wurzeln zurückreichen bis ins Jahr 1668. Der Jurist, der früher für Bayer und Lufthansa arbeitete, baut allein in Deutschland ein Zehntel der etwa 11 000 Arbeitsplätze ab und schasst reihenweise Manager. Insbesondere zielt Kleys Radikalkur auf das kriselnde Pharmageschäft, das mehr als die Hälfte zum Konzernumsatz beiträgt. Im Jahr 2011 nahm Merck insgesamt 10,3 Milliarden Euro ein.
Luftschlösser in Darmstadt
Wohl kaum ein anderes globales Unternehmen aus Deutschland leidet so offenkundig an fortgeschrittener Sklerose und Innovationsschwäche. Konzernchef Kley kämpft mit den Altlasten seiner Vorgänger, die überfällige Restrukturierung wurde immer wieder aufgeschoben. Das im Deutschen Aktienindex (Dax) notierte Unternehmen, das sich zu 70 Prozent in Familienbesitz befindet, ist Deutschlands erfolglosestes Pharmaunternehmen.
Während die größeren Konkurrenten Bayer und Boehringer in den vergangenen Jahren etliche neue Medikamente auf den Markt brachten wie etwa die Schlaganfallpräparate Pradaxa (Boehringer) und Xarelto (Bayer), droht bei Merck der Nachschub zum Erliegen zu kommen. Das letzte Medikament, das komplett in Merck-Labors entwickelt wurde – ein Blutdrucksenker namens Concor – stammt aus dem Jahr 1988. Damals stand die Mauer noch. Bis heute zählt Concor, trotz Generikakonkurrenz, immer noch zu den meistverkauften Merck-Mitteln.

Hoffnungsträger erweisen sich regelmäßig als Luftschlösser; die Flop-Rate steigt und steigt. Zuerst lehnte 2009 die europäische Zulassungsbehörde das Mittel Erbitux gegen Lungenkrebs ab. Der Nutzen, ein Monat längere Überlebenszeit, erschien den Prüfern zu gering. Dann votierten die Kontrolleure ein Jahr später auch gegen das Multiple-Sklerose-Präparat Cladribin: Das Risiko einer Krebserkrankung war in ihren Augen zu hoch. Ende vergangenen Jahres mussten die Merck-Forscher nun auch ihre Hoffnungen auf den Krebs-Impfstoff Stimuvax weitgehend begraben. Das Mittel, das über viele Jahre entwickelt worden war, erwies sich in letzten Tests als nahezu wirkungslos.