Weltmarktführer Innovation Day Das Öl für die Wasserstoff-Welt

Viel Platz für grüne Energie: Öltanker wie dieser vor der Küste Chinas könnten genutzt werden, um in der ölartigen organischen Substanz LOHC gebundenen Wasserstoff zu transportieren. Quelle: dpa

Alle Welt spricht von grünem Wasserstoff – und kaum einer davon, wie kompliziert und teuer der Transport bisher ist. Ein Forscher aus Erlangen glaubt, nun die Lösung gefunden zu haben.

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Lastwagen, Schiffe, Stahlwerke - wo es heute noch mächtig qualmt und rußt, soll künftig ein sauberer Energieträger aushelfen: Wasserstoff, erzeugt aus Solar- oder Windstrom, gilt als Schlüsselelement der weltweiten Energiewende. Das sieht auch Peter Wasserscheid so - mit einer Einschränkung: „Wasserstoff ist super“, sagt der Professor an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, „nur nicht, wenn man ihn handhaben muss.“

Das leichte Gas ist schwer zu transportieren. Das liegt vor allem an seiner geringen Dichte - sie ist dreitausend mal geringer als die von Diesel. Um Wasserstoff von A nach B zu bringen, wird er darum heute entweder unter hohem Druck komprimiert - was enorm stabile Behältern erfordert. Oder er wird herabgekühlt auf minus 253 Grad Celsius, damit er flüssig wird - was enorm isolierte Tanks erfordert. Wollte man weltweit so mit Wasserstoff Handel treiben, müsste eine gigantische neue Infrastruktur aufgebaut werden.

Dafür aber sei keine Zeit mehr, sagt Wasserscheid. Für den Umstieg auf hundert Prozent grüne Energie blieben der Menschheit noch 27 Jahre - dann habe sie so viel CO2 in die Atmosphäre gepustet, dass sich das Weltklima um zwei Grad Celsius aufwärme. „Wir brauchen also eine Transportlösung für Wasserstoff, die mit der bestehenden Infrastruktur funktioniert“, sagt der Forscher.

„Wir müssen uns wieder fokussieren – auf Menschen und Technologie“

Und genau die präsentierte der Chemiker auf der Bühne des Weltmarktführer Innovation Day der WirtschaftsWoche in Erlangen. Sie nennt sich Liquid Organic Hydrogen Carrier, kurz LOHC. Die ölartige organische Substanz kann Wasserstoff chemisch binden. Dann ist das Gemisch auch bei normalem Luftdruck und Zimmertemperatur flüssig. 1000 Liter LOHC, verpackt in einem kompakten Behälter, der auf eine Standard-Palette passt, können so viel Wasserstoff transportfähig machen wie bisher 75 Gasflaschen, die ein Vielfaches des Raums einnehmen. Und anders als reiner Wasserstoff, der hochentzündlich ist, ist LOHC nur sehr schwer brennbar. Der Transport des Energieträgers wäre also verhältnismäßig sicher.

Die Zukunft könnte laut Wasserscheid so aussehen: Solarkraftwerke in sonnenreichen Regionen, etwa Nordafrika, und Windkraftwerke an guten Standorten, etwa in Skandinavien, produzieren sehr preiswerten Strom. So genannte Elektrolyseure wandeln ihn in Wasserstoff um. Den verbindet eine Technologie der Erlanger Forscher dann mit dem LOHC, wozu unter anderem ein spezieller Katalysator nötig ist.

Eine Pfandflasche für Wasserstoff

In LOHC gebunden, lässt sich der Wasserstoff dann so problemlos transportieren wie heute Diesel - in großen Tankschiffen etwa, die dazu nicht einmal umgerüstet werden müssten. Bis zu 17.000 Tonnen Wasserstoff pro Ladung könnte so ein Schiff dorthin bringen, wo er gebraucht wird, etwa nach Deutschland. Dort wird er in speziellen Anlagen der Wasserstoff wieder freigesetzt. Das LOHC kann zurück zu den Stromkraftwerken transportiert und wieder verwendet werden. „LOHC ist wie eine Pfandflasche für Wasserstoff“, sagt Wasserscheid.

Zwar geht bei der Umwandlung in LOHC und zurück Energie verloren. Trotzdem glaubt Wasserscheid, dass es insgesamt preiswerter sei, das saubere Gas an den besten Standorten weltweit für Solar- und Windstrom zu erzeugen, als es viel teurer mit heimischen Stromkraftwerken zu gewinnen. Obendrein sei heute schon der Widerstand in der Bevölkerung in Deutschland etwa gegenüber neuen Windkraftwerken groß.

Das Erlanger Start-up Hydrogenious, dass Wasserscheid mit zwei weiteren Professoren 2013 gegründet hat und bei dem er heute im wissenschaftlichen Beirat tätig ist, soll darum die Idee des chemischen Wasserstoffträgers jetzt in großem Stile kommerzialisieren. CEO Daniel Teichmann stellte auf dem Weltmarktführer Innovation Day seine Vision vor: „Wir verbinden die Orte, an denen Wasserstoff preiswert erzeugt wird, mit den Orten, an denen er dringend gebraucht wird.“

Seit gut sieben Jahren arbeiten die Erlanger Entwickler daran, die LOHC-Technologie marktfähig zu machen. Als Ein-Mann-Betrieb gegründet, hat Hydrogenious inzwischen Hundert Mitarbeiter - und 30 Millionen Euro Wagniskapital eingesammelt. Zu den Geldgeber zählen internationale Großkonzerne wie der Autobauer Hyundai und Mitsubishi; auch der Leverkusener Chemiekonzern Covestro ist dabei.

Mit Hilfe des Risikokapitals arbeitet Teichmanns Team nun daran, die Technologie hochzuskalieren. Ihre Anlagen sollen bald mehrere Tonnen Wasserstoff am Tag in chemischer Form binden. Nächstes Jahr soll damit weltweit erstmalig eine Tankstelle beliefert werden, die nun in Erlangen gebaut wird und die vor Ort aus LOHC Wasserstoff gewinnt, den Brennstoffzellenfahrzeuge tanken können.

LOHC ist durchaus nicht die einzige Methode, um Wasserstoff über große Strecken zu transportieren. Auch Ammoniak und Methanol gelten als mögliche Speicherformen für das Gas - zumal beide Stoffe auch für die Düngerproduktion und die Chemieindustrie gebraucht werden. Für diese beiden Chemikalien gibt es etwa an Häfen weltweit schon eine Infrastruktur.

Teichmann setzt dennoch voll auf seinen organischen Wasserstoff-Träger. Im EU-Projekt Blue Danube, an dem Hydrogenious beteiligt ist, will er demnächst dessen Stärken präsentieren: Dabei soll in Bulgarien und Rumänien in große Mengen grüner Wasserstoff produziert werden - und dann per Transportschiff als LOHC nach Deutschland gebracht werden. Es wäre der Nachweis, dass die Erlanger Erfindung einen Welthandel mit Wasserstoff möglich machen kann.



LOHC-Pionier Wasserscheid arbeitet unterdessen an einer weiteren Vision: Mit neuartigen Brennstoffzellen könnten Züge, Binnenschiffe und LKW künftig LOHC direkt tanken und verstromen. „Wir können eine Wasserstoffwelt ohne elementaren Wasserstoff aufbauen“, sagt er. Die Idee werde in Fachkreisen heftig diskutiert. Er selbst sei davon überzeugt. „Ich verspreche jetzt hier, das ich bis zu meinem letzten Arbeitstag daran arbeiten werde“, sagt Wasserscheid. Einige Jahre hat der 49-Jährige dazu noch.

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