Wirtschaftskriminalität Die Jäger der Wirtschaftsbosse

Deutschlands Staatsanwälte bringen immer mehr Top-Manager vor Gericht. Doch die spektakulären Aktionen sind Ausnahmen. Tatsächlich müssen die Fahnder ständig vor komplexen Wirtschaftsverbrechen kapitulieren. Nun bekommen die Jäger der Bosse Schützenhilfe aus der Politik.

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Alpha-Tiere im Visier
Josef Ackermann, November 2006ehemals Vorstandschef Deutsche BankDer Fall: Bei der Mannesmann-Übernahme 2000 durch Vodafone segnete der Aufsichtsrat 60 Millionen Mark Extra-Prämien und Abfindungen für Ex-Mannesmann-Chef Klaus Esser und weitere Manager ab.Die Folgen: Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf erhob Anklage wegen schwerer Untreue beziehungsweise Beihilfe dazu. Nachdem der BGH die erstinstanzlichen Freisprüche kassiert hatte, stellte das Landgericht Düsseldorf 2006 gegen Geldauflagen die Verfahren ein. Ackermann zahlte 3,2 Millionen Euro, Esser 1,5 Millionen, Ex-Aufsichtsratschef Joachim Funk eine Million und Ex-IG-Metall-Chef Klaus Zwickel 60.000 Euro. Quelle: dpa
Klaus Zumwinkel, Januar 2009Ex-Vorstandschef Deutsche PostDer Fall: Steuerhinterziehung in Höhe von einer Million Euro.Die Folgen: Gegen Hinterlegung von vier Millionen Euro entging Zumwinkel der U-Haft. Das Landgericht Bochum verurteilte ihn 2009 zu zwei Jahren auf Bewährung und zu einer Geldauflage von einer Million Euro. Quelle: dpa
Heinrich von Pierer, März 2010Ehemals Siemens-VorstandschefDer Fall: Siemens hatte von 1999 bis 2006 rund 1,3 Milliarden Euro Schmiergeld für Auslandsgeschäfte gezahlt und heimlich die Betriebsräteorganisation AUB finanziert.Die Folgen: Von Pierer zahlte 2010 ohne Schuldeingeständnis 250.000 Euro Geldauflage, weil er laut Staatsanwaltschaft München seine Aufsichtspflicht fahrlässig verletzt hatte. Andere Manager erhielten Bewährungsstrafen, zahlten Millionenbußgelder und saßen in U-Haft – Ex-AUB-Chef Wilhelm Schelky zwei Jahre und vier Monate. Quelle: dapd
Stefan Ortseifen, Januar 2010Ehemaliger Vorstandschef der IKB-BankDer Fall: Die Bank machte mit US-Subprime- Papieren desaströse Verluste.Ortseifen hatte behauptet, sie sei kaum betroffen.Die Folgen: Das Landgericht Düsseldorf verurteilte Ortseifen 2010 wegen vorsätzlicher Marktmanipulation zu zehn Monaten Haft auf Bewährung und zu 100.000 Euro Geldbuße. Quelle: dpa
Johann-Friedrich Haun (mitte), Dezember 2011 (Archivbild)Ehemals Vorstand bei FerrostaalDer Fall: Ferrostaal hatte bei U-Boot-Deals im Ausland mit rund 62 Millionen Euro geschmiert.Die Folgen: Rüstungsmanager Haun saß mehrere Monate in U-Haft. Im Dezember 2011 verurteilte das Landgericht München ihn wegen Bestechung zu je zwei Jahren Haft auf Bewährung und zu Geldauflagen. Ferrostaal zahlte 140 Millionen Euro Geldbuße. Gegen Ex-Vorstandschef Matthias Mitscherlich, der die Vorwürfe zurückweist, laufen Ermittlungen. Quelle: dpa
Gerhard Gribkowsky, Juni 2012Ehemals Risikovorstand der BayernLBDer Fall: Als die BayernLB 2005 ihre Formel-1-Anteile für 840 Millionen Dollar an den von Bernie Ecclestone präferierten Investmentfond CVC Capital Partners verkaufte, kassierte Gribkowsky verdeckt 44 Millionen Euro.Die Folgen: Wegen Bestechlichkeit, Untreue und Steuerhinterziehung verurteilte das Landgericht München Gribkowsky im Juni zu achteinhalb Jahren Haft. Sein Vermögen von geschätzt 25 Millionen Euro wird als Schadensersatz verwertet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen Ecclestone, der die Vorwürfe bestreitet, wegen Bestechung. Von ihm fordert die BayernLB gut 300 Millionen Euro, weil sie laut Gribkowsky für die Formel-1-Anteile deutlich mehr hätte erlösen können. Quelle: REUTERS
Anton Weinmann, September 2012Ehemals Vorstandschef MAN-NutzfahrzeugeDer Fall: MAN zahlte von 2002 bis 2009 im Vertrieb Millionenschmiergelder.Die Folgen: Zehn Monate Haft auf Bewährung und 100.000 Euro Geldauflage für Weinmann. Gegen Ex-MAN-Chef Håkan Samuelsson und Ex-Finanzchef Karlheinz Hornung, die eine Schuld bestreiten, wird wegen Beihilfe zur Bestechung ermittelt. Quelle: dpa

Wenn Modezar Albert Eickhoff in seiner Wirtschaftswunder-Villa im Düsseldorfer Nobelvorort Meerbusch Gäste empfängt, haben die in der Regel Glamour: Schauspielerin Iris Berben etwa oder Moderatorin Sabine Christiansen. Die fünf Herren und eine Dame hingegen, denen der Luxusmodehändler am vergangenen Montag um halb neun im Bademantel die Tür öffnete, trugen Stangenware und wollten nicht plaudern. Die Crew der Staatsanwaltschaft Bochum klingelte, um den verschwiegenen Zinserträgen der Stiftung Buschbad nachzuspüren, die der 76-Jährige vor 35 Jahren bei der Schweizer Bank UBS eingerichtet hatte. Von Eickhoffs dunklem Geheimnis wussten die Fahnder durch eine der drei CDs mit Informationen über rund 500 diskrete UBS-Konten von Deutschen, die NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) Mitte des Jahres angekauft hatte.

Wieder mal ein Unternehmer im Visier von Ermittlungen. Durchsuchungen, Anklagen, Urteile gegen einst unantastbar erscheinende Manager sind heute an der Tagesordnung. Allein in diesem Jahr kassierte Ex-BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky achteinhalb Jahre Haft, der frühere Telekom-Sicherheitsmanager Klaus Trzeschan dreieinhalb Jahre und der ehemalige MAN-Konzernvorstand Anton Weinmann zehn Monate auf Bewährung. Ermittlungen laufen gegen Dutzende Firmenlenker, darunter Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, Ex-Porsche-Lenker Wendelin Wiedeking und der frühere MAN-Chef Hakan Samuelsson. Die Manager bestreiten sämtliche Vorwürfe.

Womit die Staatsanwaltschaften kämpfen

Deutschlands Staatsanwälte verfolgen Wirtschaftsverbrechen also immer gnadenloser? Der schöne Schein der Zeitungsfotos von Razzien bei den Reichen und Mächtigen trügt. Zwar bringen einige unerschrockene Großwildjäger Bosse vor Gericht und demonstrieren so Handlungsfähigkeit. Das sei aber „kaum mehr als eine Show“, sagt ein hessischer Staatsanwalt im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Die solle mögliche Straftäter abschrecken, täusche aber darüber hinweg, wie ramponiert das Rechtssystem tatsächlich sei.

Burn-Out des Rechtssystems

Personaleinsparungen und Überlastung durch immer mehr und komplexere Fälle lähmen bundesweit die Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten. Allein zwischen 2008 und 2010 stieg die Zahl der registrierten Wirtschaftsverbrechen von 84.550 auf 102.813, die Schäden kletterten von 3,4 auf 4,7 Milliarden Euro. Zugleich wurde das Personal in den Staatsanwaltschaften reduziert. Bohren engagierte Staatsanwälte trotzdem dicke Bretter, sind die Ressourcen schnell verbraucht. Dann liegen andere Fälle bis zur Verjährung oder werden vorschnell eingestellt.

Und schon rollt im Nachgang der Finanzkrise eine neue Klagewelle auf die Justiz zu, die sie überfordern wird.

Übersicht zur Prozesswelle nach der Finanzkrise (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Bundesweit habe sich die Zahl der Verfahren infolge der Finanzkrise „vervielfacht,“ sagt Anwalt Wolf Bussian von der Wirtschaftskanzlei Hogan Lovells in Frankfurt. Um die Flut von Verfahren zu bewältigen, müssten, so ergeben interne Berechnungen der Länder, allein in Nordrhein-Westfalen rund 700 Richter und Staatsanwälte eingestellt werden, in Bayern 400.

Nähmen die Justizminister der Länder den in ihrem Auftrag entwickelten Personalschlüssel ernst, müssten sie bundesweit rund 3000 zusätzliche Staatsanwalts- und Richterstellen schaffen, sagt der Freiburger Oberstaatsanwalt und Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Christoph Frank. Die dritte Gewalt könne mit der heutigen Ausstattung den Anspruch der Bürger auf schnelle und ausgewogene Urteile nicht mehr erfüllen, wenn „sie weiter ausgezehrt wird“. Vom „Risiko für den Rechtsstaat“ spricht Frank und von „beträchtlichen gesellschaftspolitischen Folgeschäden“.

Auch andere Staatsanwälte geben ihre beamtenhafte Zurückhaltung auf und warnen vor dem Burn-out des Rechtssystems. „Der Mangel an qualifiziertem Personal hat uns an den Rand des Ruins gebracht“, schlägt der Stuttgarter Oberstaatsanwalt Hans Richter Alarm, dessen 42-köpfiges Team zu den angesehensten Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität gehört. Auf jeden der Stuttgarter Strafverfolger kämen durchschnittlich über 40 Verfahren. Gleichzeitig träfen „fast jeden Tag neue Anzeigen infolge der Finanzkrise ein“. Sollten in Stuttgart, wie vom baden-württembergischen Justizministerium geplant, Stellen gestrichen werden, drohe „eine Katastrophe“.

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