Wenn Modezar Albert Eickhoff in seiner Wirtschaftswunder-Villa im Düsseldorfer Nobelvorort Meerbusch Gäste empfängt, haben die in der Regel Glamour: Schauspielerin Iris Berben etwa oder Moderatorin Sabine Christiansen. Die fünf Herren und eine Dame hingegen, denen der Luxusmodehändler am vergangenen Montag um halb neun im Bademantel die Tür öffnete, trugen Stangenware und wollten nicht plaudern. Die Crew der Staatsanwaltschaft Bochum klingelte, um den verschwiegenen Zinserträgen der Stiftung Buschbad nachzuspüren, die der 76-Jährige vor 35 Jahren bei der Schweizer Bank UBS eingerichtet hatte. Von Eickhoffs dunklem Geheimnis wussten die Fahnder durch eine der drei CDs mit Informationen über rund 500 diskrete UBS-Konten von Deutschen, die NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) Mitte des Jahres angekauft hatte.
Wieder mal ein Unternehmer im Visier von Ermittlungen. Durchsuchungen, Anklagen, Urteile gegen einst unantastbar erscheinende Manager sind heute an der Tagesordnung. Allein in diesem Jahr kassierte Ex-BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky achteinhalb Jahre Haft, der frühere Telekom-Sicherheitsmanager Klaus Trzeschan dreieinhalb Jahre und der ehemalige MAN-Konzernvorstand Anton Weinmann zehn Monate auf Bewährung. Ermittlungen laufen gegen Dutzende Firmenlenker, darunter Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, Ex-Porsche-Lenker Wendelin Wiedeking und der frühere MAN-Chef Hakan Samuelsson. Die Manager bestreiten sämtliche Vorwürfe.
Womit die Staatsanwaltschaften kämpfen
Oft fehlt den Staatsanwaltschaften das nötige Personal für eine angemessen Aufarbeitung. Konkret fehlen in...
NRW: 500 Richter und 200 Staatsanwälte;
Bayern: 281 Richter und 114 Staatsanwälte;
Hessen: 130 Richter und 56 Staatsanwälte;
Niedersachsen: 121 Richter und 29 Staatsanwälte.
Die vorgegebene Bearbeitungszeit (laut behördlichem Personalschlüssel, inklusive Präsenz vor Gericht)* pro Wirtschaftsstrafverfahren reicht häufig nicht aus.
Kleine Fälle: 4 Stunden
Größere Fälle: 43 Stunden
* Quelle: Deutscher Richterbund, JUVE Magzin
Wegen der schlechten Arbeitsbedingungen und großen Gehaltsunterschiede gehen gute Juristen eher zu einer Kanzlei als in den Staatsdienst:
Gehalt Staatsanwalt, 35 Jahre, verheiratet, 2 Kinder: 50.000 Euro
Gehalt Wirtschaftsrechtler, führende Kanzlei, 5. Jahr: 150.000 Euro
Deutschlands Staatsanwälte verfolgen Wirtschaftsverbrechen also immer gnadenloser? Der schöne Schein der Zeitungsfotos von Razzien bei den Reichen und Mächtigen trügt. Zwar bringen einige unerschrockene Großwildjäger Bosse vor Gericht und demonstrieren so Handlungsfähigkeit. Das sei aber „kaum mehr als eine Show“, sagt ein hessischer Staatsanwalt im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Die solle mögliche Straftäter abschrecken, täusche aber darüber hinweg, wie ramponiert das Rechtssystem tatsächlich sei.
Burn-Out des Rechtssystems
Personaleinsparungen und Überlastung durch immer mehr und komplexere Fälle lähmen bundesweit die Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten. Allein zwischen 2008 und 2010 stieg die Zahl der registrierten Wirtschaftsverbrechen von 84.550 auf 102.813, die Schäden kletterten von 3,4 auf 4,7 Milliarden Euro. Zugleich wurde das Personal in den Staatsanwaltschaften reduziert. Bohren engagierte Staatsanwälte trotzdem dicke Bretter, sind die Ressourcen schnell verbraucht. Dann liegen andere Fälle bis zur Verjährung oder werden vorschnell eingestellt.
Und schon rollt im Nachgang der Finanzkrise eine neue Klagewelle auf die Justiz zu, die sie überfordern wird.
Bundesweit habe sich die Zahl der Verfahren infolge der Finanzkrise „vervielfacht,“ sagt Anwalt Wolf Bussian von der Wirtschaftskanzlei Hogan Lovells in Frankfurt. Um die Flut von Verfahren zu bewältigen, müssten, so ergeben interne Berechnungen der Länder, allein in Nordrhein-Westfalen rund 700 Richter und Staatsanwälte eingestellt werden, in Bayern 400.
Nähmen die Justizminister der Länder den in ihrem Auftrag entwickelten Personalschlüssel ernst, müssten sie bundesweit rund 3000 zusätzliche Staatsanwalts- und Richterstellen schaffen, sagt der Freiburger Oberstaatsanwalt und Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Christoph Frank. Die dritte Gewalt könne mit der heutigen Ausstattung den Anspruch der Bürger auf schnelle und ausgewogene Urteile nicht mehr erfüllen, wenn „sie weiter ausgezehrt wird“. Vom „Risiko für den Rechtsstaat“ spricht Frank und von „beträchtlichen gesellschaftspolitischen Folgeschäden“.
Auch andere Staatsanwälte geben ihre beamtenhafte Zurückhaltung auf und warnen vor dem Burn-out des Rechtssystems. „Der Mangel an qualifiziertem Personal hat uns an den Rand des Ruins gebracht“, schlägt der Stuttgarter Oberstaatsanwalt Hans Richter Alarm, dessen 42-köpfiges Team zu den angesehensten Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität gehört. Auf jeden der Stuttgarter Strafverfolger kämen durchschnittlich über 40 Verfahren. Gleichzeitig träfen „fast jeden Tag neue Anzeigen infolge der Finanzkrise ein“. Sollten in Stuttgart, wie vom baden-württembergischen Justizministerium geplant, Stellen gestrichen werden, drohe „eine Katastrophe“.