Es ist an der Zeit, das Smartphone in das umzubenennen, was seine Funktion viel besser beschreibt – eine Smartcam. „Der Wettbewerb dreht sich um die Kamera“, sagt Ben Stanton, Analyst des Marktforschungsunternehmens Canalys. Bei der Präsentation der ab dem 20. September erhältlichen neuen iPhone-Generation am Dienstagmittag kalifornischer Zeit im Steve-Jobs-Theater im Silicon Valley erwähnte Apple-Marketingchef Phil Schiller die Gesprächs- und Empfangsqualität der neuen Mobiltelefone erst gar nicht, sondern fokussierte sich auf das Entscheidende.
Apple folgt – wie schon bei Displaygröße oder dem drahtlosen Aufladen – dem Vorbild aus dem Android-Lager und spendiert dem neuesten iPhone ein zusätzliches Objektiv. Zudem gibt es wie bei einigen Android-Modellen, etwa dem Google Pixel, einen Nachtmodus, der Aufnahmen bei schlechten Lichtverhältnissen verbessert.
Die Dreifaltigkeit aus Ultraweitwinkel (13 mm Brennweite), Weitwinkel (26 mm Brennweite) und Teleobjektiv (52 mm Brennweite mit optischem Zweifach-Zoom) gibt es allerdings nur für die Pro-Version, bei der Apple seinen Premium-Preisen treu bleibt und für die Einstiegsvariante mit knickrigen 64 GB Speicher mindestens 1149 Euro verlangt. Bei der Max-Version mit 6.5 Zoll statt 5.8 Zoll müssen nochmal 100 Euro draufgelegt werden.
Das iPhone 11 ohne Pro-Zusatz muss ohne Zoomobjektiv auskommen, hat nur ein Duo aus Weitwinkel und Ultraweitwinkel. Sinnigerweise wird es mit „Exakt, was du brauchst“ beworben. Der Einstieg beginnt hier bei 799 Euro, was immerhin 50 Euro unter dem Startpreis des damals günstigsten Modells vom Vorjahr liegt. Dieses XR-Model war jedoch durch sein billigeres LCD-Display stärker abgestuft.
Trotz mehr Varianz gibt es auch beim kalifornischen Konzern noch keine Preisbremse. Was ihm bei seinem wichtigsten Produkt an Marge bleibt, wird man erst nach dem 20. September erahnen, wenn externe Spezialisten die neuen Geräte zerlegen. Beim iPhone Max XS, dem bis Dienstagmittag Top-Gerät der Apple-Linie, kosteten allein die Komponenten laut den Analysten der kanadischen Beratungsfirma TechInsights etwa 443 Dollar. Bei der neuesten Generation wird das ähnlich sein.
Es ist also genug Spielraum, auch um für die US-Kunden die nach dem 15. Dezember angekündigten Sonderzölle für in China gefertigte iPhones (fast alle) selbst abzufangen, falls sich US-Präsident Donald Trump bis dahin nicht mit dem Feind geeinigt oder es sich anders überlegt hat.
Apple bleiben bis zum Stichtag noch fast zwei Monate. Dann wird man in Cupertino auch wissen, ob die Dreifach-Kamera tatsächlich die Apple-Fans zum Upgrade anregt und der hohe Preis von genug Käufern geschluckt wird.
Dass die Konkurrenten Huawei und Samsung die Trio-Objektive in ihren Flaggschiff-Modellen bereits offerieren, meinen Analysten wie Stanton, spiele nur eine untergeordnete Rolle. Apple muss in dem zunehmend gesättigten Markt für Premium-Smartphones, bei dem die meisten Kunden nicht willens sind, sich in ein neues Betriebssystem einzufuchsen, zunächst mal seine eigene Klientel für den Nachkauf begeistern.
Zumindest nach der ersten Bestellwoge der finanziell potenten und loyalen Apple Fans wird das kein Selbstläufer sein. Reichen eine bessere Kamera und ein verbesserter Akku tatsächlich aus, um einen Upgrade-Zyklus richtig in Schwung zu bringen? Zumal der Nutzen der drei Objektive sich nicht von selbst erklärt. Im Gegensatz zu den größeren Smartphone-Displays beim iPhone 6 Plus, mit deren Hilfe Apple vor fünf Jahren einen seitdem unerreichten Turbo beim Verkauf einlegte.
„By Innovation only“ hatte der Konzern die Präsentation am Dienstag überschrieben. Schon im Vorfeld hatten Analysten wie Mike Olson von Piper Jaffray gewarnt, dass nichts Spektakuläres zu erwarten sei. Mit neuen iPhones, einem günstigeren iPad, einer neue Apple Watch und den Diensten Apple TV + und Apple Arcade wurde zwar einiges präsentiert. Doch die 100minütige Show wirkte trotzdem uninspiriert und zeigte nichts Bahnbrechendes.
Mag sein, dass die Innovationen in den Geräten stecken, beispielsweise den selbst entworfenen Prozessoren. Bestes Beispiel: Bei der am Dienstag angekündigten Apple Watch 5 ist die während der Präsentation ausgiebig beworbene Neuerung ein Display, das immer an ist, dank besserem Strommanagement. Dabei wurde bei den Vorgängern noch deren Fähigkeit gepriesen, dass das Zifferblatt nur aufleuchtet, wenn tatsächlich auf die Uhr geschaut wird und das Gerät damit länger bis zum nächsten Aufladen durchhält. Zumindest scheinen dem Marketingteam um Phil Schiller, der seit zwanzig Jahren jedes Jahr die vermeintlich „großartigsten“ Produkte in den schillerndsten Superlativen preist, die Wortschöpfungen nicht auszugehen. „Mitternachtsgrün“ ist eine der neuen iPhone Farben, die sich am ehesten mit „Kaugummigrün“ beschreiben lässt.
Die große Überraschung in der neuesten Apple Show war Apple-Chef Tim Cooks Ankündigung für den im November startenden Streaming-Dienst Apple TV + nur eine Monatsgebühr von 5 Euro zu verlangen, die Gebühr bei Kauf eines Apple-Gerätes gar für das erste Jahr zu erlassen. Das ist nur knapp die Hälfte, was die Konkurrenz verlangt, wenn auch bei wesentlich größerem Angebot.
Trotzdem eine kleine Sensation bei dem notorisch knausrigen Unternehmen, das sich jedes zusätzliche Gigabyte an Speicherplatz fürstlich bezahlen lässt. Der Köder für den neuen Service ließ die Aktie von Konkurrenten wie Disney, dessen Chef Bob Iger im Apple-Aufsichtsrat sitzt, am Dienstag um drei Prozent sowie von Lokalkonkurrent Netflix um satte sechs Prozent abstürzen.
Auch bei dem am 19. September startenden Online-Spiele-Dienst Apple Arcade mit über 100 Titeln zeigt sich Apple mit einer Flatrate von 5 Euro pro Monat genügsam. Wie bei Apple TV + gilt das Abo für bis zu sechs Personen pro Familie.
Während Disney und Netflix gebeutelt wurden, legte die Aktie von Apple trotz der unspektakulären Präsentation um 2.5 Prozent zu. Es ist ein Zeichen, dass die Wall Street Cooks Strategie überzeugt, stärker auf wiederkehrende Einkünfte durch Services wie Apple TV + oder Apple Arcade zu setzen, statt wie in der Vergangenheit vor allem auf den Verkauf von Hardware zu fokussieren. Wobei die Hardware auch weiterhin den Löwenanteil am Umsatz ausmachen wird und auch das iPhone, nachdem es im zweiten Kalenderquartal erstmals seit sieben Jahren unter die 50 Prozent Marke rutschte, sie im laufenden Quartal wieder locker überspringen wird. Zumal der Apple-Chef entschlossen scheint, bei dem Hardware-Preiskampf im Android-Lager, mit dem Samsung und Huawei unter anderem in Europa Marktanteile gewinnen konnten, nicht einzusteigen. Zumindest nicht offensichtlich, denn bei der Inzahlungnahme von älteren iPhones zeigt sich Apple mittlerweile kulanter.
Denn bei aller Kritik an der behutsamen Modellpflege und dem Mangel an sichtbaren Innovationen unter Cook: Bislang hat er geduldige Anleger in seiner Amtszeit stets beglückt. Und es wird oft vergessen, dass es auch der Konkurrenz schwerfällt, in einem zunehmend gesättigten Markt für Premium-Smartphones oder besser Premium-Smartcams, neue und vor allem für den Kauf überzeugende Akzente zu setzen. Schon spekulieren Analysten wie Ming-Chi Kuo von TF International Securities auf das Modelljahr 2020. Dann soll es „neue Formfaktoren“ geben, vielleicht sogar faltbare Smartphones oder die lange erwartete Unterstützung des Apple Pencil. Wie es auch kommt – Fotos lassen sich dann noch besser präsentieren. Die Smartcam bleibt aktuell.