
Die Deutsche Telekom und ihre Kunden sind bei der jüngsten Attacke auf die „Speedport“-Router offenbar mit einem blauen Auge davongekommen. „Sie können ja sagen, dass es schlimm war, dass 900 000 Router ausgefallen sind. Sie können aber auch sagen: Es ist gut, dass nicht noch Schlimmeres passiert ist“, betonte Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Dienstag. Die Geräte der Telekom waren laut Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) durch einen weltweit angelegten Hackerangriff lahmgelegt worden.
Wer hinter der Attacke stand und welchen Zweck die Angreifer verfolgten, ist weiterhin nicht abschließend geklärt. Das BSI werde als zuständige Behörde alles daran setzen herauszubekommen, woher die Angriffe kamen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). „Das ist naturgemäß nicht einfach.“ Solche Cyber-Angriffe gehörten jedoch heute zum Alltag. „Wir müssen lernen, damit umzugehen.“
De Maizière wollte zu den möglichen Angreifern keine Spekulationen anstellen. „Im Moment steht der genaue Urheber noch nicht fest“, sagte de Maizière. Viele Experten gehen allerdings davon aus, dass es bei solchen Attacken in der Regel unmöglich ist, mit letzter Gewissheit eine Spur zu verfolgen, die eindeutig zum Angreifer führt.
Klar scheint nach Meinung von Experten dagegen, dass die Attacke durch Stümperei der Angreifer nicht noch mehr Schaden angerichtet hat. Wäre die Schadsoftware besser programmiert worden, wären die Folgen des Angriffs noch viel schlimmer gewesen, sagte ein Telekom-Sprecher im RBB-Inforadio am Dienstag. Im aktuellen Fall hatte in der Regel ein Neustart der Router gereicht, um sie wieder funktionsfähig zu machen.
Nach ersten Analysen ist der eingeschleuste Schadcode mit dem bekannten Botnet-Code Mirai verwandt, berichtete die IT-Sicherheitsfirma Kaspersky Lab. Ziel sei wahrscheinlich gewesen, die Router mit einem Botnetz zu verbinden, das Online-Kriminelle gewöhnlich für ihre Zwecke, etwa Erpressung, Spam-Versand oder gezielte Angriffe auf andere Rechner missbrauchen.
Wie Stefan Ortloff von Kaspersky erklärte, wurde der Schadcode durch eine Sicherheitslücke im Router eingeschleust. Doch die Software sei offenbar nicht in der Lage gewesen, sich selbst in das Dateisystem zu schreiben. Deshalb habe sie einen Neustart nicht überlebt.
Andernfalls wäre der Angriff völlig unbemerkt geblieben, sagte Ammar Alkassar, IT-Sicherheitsexperte bei Rohde & Schwarz Cybersecurity. Gewöhnlich würden solche Botnetze aufgebaut und dann erst einmal schlafen gelegt. Nach einer Weile würden sie dann je nach Intention für politische oder schlicht kriminelle Zwecke genutzt.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) zeigte sich am Dienstag „sehr besorgt“. Wenn die Telekom Opfer eines solchen Angriffs werden könne, müsse „jedem klar werden, wie aktuell und alltäglich die Gefahr ist“. Bei der Sicherheit der IT-Infrastruktur müssten die Deutschen „eindeutig nachlegen“, sagte er.
Das BSI forderte schärfere Sicherheitsstandards im Internet der Dinge. „Je vernetzter die Welt ist und je allgemeiner Massenprodukte wie Router weltweit baugleich im Netz eingesetzt werden, desto verwundbarer sind unsere Netz-Infrastrukturen“, sagte BSI-Präsident Arne Schönbohm der „Welt“. Schönbohm plädierte auch für Sicherheits-Gütesiegel vor allem für DSL-Router asiatischer Anbieter wie Arcadyan - die Firma gilt als Hersteller der betroffenen „Speedport“-Router der Telekom. Auch eine Verpflichtung der Hersteller, zeitnah und regelmäßig Sicherheitsupdates aufzuspielen, könne die Sicherheit stärken.
Noch immer sei das Bewusstsein für die potenziellen Gefahren nicht groß genug, sagte Alkassar. Das führe dazu, dass die Sicherheit nicht hoch genug priorisiert werde. Alkassar plädierte für klarere Verantwortlichkeiten und Haftungsregeln.
Die Schadsoftware Mirai ist Sicherheitsexperten bereits bekannt. Ihre Spezialität ist, sich vorzugsweise in Verbrauchergeräte wie Router oder andere, privat genutzte vernetzte Elektronik einzuschleusen, um sie kapern und zum Teil eines ferngesteuerten Netzes zu machen. Zuletzt hatten Kriminelle Mirai-Botnetze mit fast einer halben Million verbundener Geräten im Netz zur Miete angeboten, wie vergangene Woche das Fachportal „heise online“ berichtete.
Angriffsziele von aufsehenerregenden Cyberangriffen
Im Dezember 2015 fiel für mehr als 80.000 Menschen in der Ukraine der Strom aus. Zwei große Stromversorger erklärten, die Ursache sein ein Hacker-Angriff gewesen. Es wäre der erste bestätigte erfolgreiche Cyberangriff auf das Energienetz. Ukrainische Behörden und internationale Sicherheitsexperten vermuten eine Attacke aus Russland.
Im Februar 2016 legt ein Erpressungstrojaner die IT-Systeme des Lukaskrankenhauses in Neuss lahm. Es ist die gleiche Software, die oft auch Verbraucher trifft: Sie verschlüsselt den Inhalt eines Rechners und vom Nutzer wird eine Zahlung für die Entschlüsselung verlangt. Auch andere Krankenhäuser sollen betroffen gewesen sein, hätten dies aber geheim gehalten.
Ähnliche Erpressungstrojaner trafen im Februar auch die Verwaltungen der westfälischen Stadt Rheine und der bayerischen Kommune Dettelbach. Experten erklären, Behörden gerieten bei den breiten Angriffen eher zufällig ins Visier.
In San Francisco konnte man am vergangenen Wochenende kostenlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, weil die rund 2000 Ticket-Automaten von Erpressungs-Software befallen wurden. Laut einem Medienbericht verlangten die Angreifer 73 000 Dollar für die Entsperrung.
Im Mai 2015 fallen verdächtige Aktivitäten im Computernetz des Parlaments auf. Die Angreifer konnten sich so weitreichenden Zugang verschaffen, das die Bundestags-IT ausgetauscht werden. Als Urheber wird die Hacker-Gruppe APT28 vermutet, der Verbindungen zu russischen Geheimdiensten nachgesagt werden.
Die selbe Hacker-Gruppe soll nach Angaben amerikanischer Experten auch den Parteivorstand der Demokraten in den USA und die E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampf-Stabschef John Podesta gehackt haben. Nach der Attacke im März wurden die E-Mails wirksam in der Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfs im Oktober 2016 veröffentlicht.
APT28 könnte auch hinter dem Hack der Weltdopingagentur WADA stecken. Die Angreifer veröffentlichen im September 2016 Unterlagen zu Ausnahmegenehmigungen zur Einnahme von Medikamenten, mit einem Fokus auf US-Sportler.
Ein Angriff, hinter dem Hacker aus Nordkorea vermutet wurden, legte im November für Wochen das gesamte Computernetz des Filmstudios lahm. Zudem wurden E-Mails aus mehreren Jahren erbeutet. Es war das erste Mal, dass ein Unternehmen durch eine Hackerattacke zu Papier und Fax zurückgeworfen wurde. Die Veröffentlichung vertraulicher Nachrichten sorgte für unangenehme Momente für mehrere Hollywood-Player.
Bei dem bisher größten bekanntgewordenen Datendiebstahl verschaffen sich Angreifer Zugang zu Informationen von mindestens einer Milliarde Nutzer des Internet-Konzerns. Es gehe um Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, Geburtsdaten und verschlüsselte Passwörter. Der Angriff aus dem Jahr 2014 wurde erst im vergangenen September bekannt.
Ein Hack der Kassensysteme des US-Supermarkt-Betreibers Target macht Kreditkarten-Daten von 110 Millionen Kunden zur Beute. Die Angreifer konnten sich einige Zeit unbemerkt im Netz bewegen. Die Verkäufe von Target sackten nach der Bekanntgabe des Zwischenfalls im Dezember 2013 ab, weil Kunden die Läden mieden.
Eine Hacker-Gruppe stahl im Juli 2015 Daten von rund 37 Millionen Kunden des Dating-Portals. Da Ashley Madison den Nutzern besondere Vertraulichkeit beim Fremdgehen versprach, erschütterten die Enthüllungen das Leben vieler Kunden.
Im Frühjahr 2016 haben Hacker den Industriekonzern Thyssenkrupp angegriffen. Sie hatten in den IT-Systemen versteckte Zugänge platziert, um wertvolles Know-how auszuspähen. In einer sechsmonatigen Abwehrschlacht haben die IT-Experten des Konzerns den Angriff abgewehrt – ohne, dass einer der 150.000 Mitarbeiter des Konzerns es mitbekommen hat. Die WirtschaftsWoche hatte die Abwehr begleitet und einen exklusiven Report erstellt.
Im Mai 2017 ging die Ransomware-Attacke "WannaCry" um die Welt – mehr als 200.000 Geräte in 150 Ländern waren betroffen. Eine bislang unbekannte Hackergruppe hatte die Kontrolle über die befallenen Computer übernommen und Lösegeld gefordert – nach der Zahlung sollten die verschlüsselten Daten wieder freigegeben werden. In Großbritannien und Frankreich waren viele Einrichtungen betroffen, unter anderem Krankenhäuser. In Deutschland betraf es vor allem die Deutsche Bahn.
Grundsätzlich seien Angriffe gegen bestimmte Router-Modelle nichts Neues, sagte Tim Berghoff von G Data. Bereits 2014 habe es einen Angriff auf die Router von Heimanwendern gegeben, der dazu führte, dass ohne Wissen des Inhabers Premium-Telefonnummern gewählt wurden und damit hohe Kosten für den Anschlussinhaber verursachten.