Herr Jung, Ihr Rivale SAP kommt immer wieder in die Schlagzeilen, weil manche Software-Großprojekte spektakulär scheitern. Wie viel Schadenfreude verspüren Sie dabei?
Gescheiterte Projekte gab es bei uns früher auch, das will ich gar nicht verhehlen. Aber inzwischen haben wir eine grundsätzlich andere Philosophie, wie wir unsere Software entwickeln und beim Kunden einführen.
Welche denn?
Wir gehen komplett in die Cloud, und zwar in die echte Cloud. Wir bieten also Software-Anwendungen, die wir für unsere Kunden in von uns betriebenen Rechenzentren vorhalten und die komplett über das öffentliche Internet abrufbar sind.
Und wie verhindern Sie damit, dass IT-Projekte aus dem Ruder laufen?
Weil Software aus der Cloud nicht extra auf Rechnern im Unternehmen installiert werden muss, sondern einfach via Internet genutzt werden kann. Das verringert den Einführungsaufwand bereits spürbar. Zudem stehen den Kunden in der Cloud spätere Software-Updates automatisch zur Verfügung, und schließlich, weil man flexibel je nach Bedarf Nutzer zu- und wieder abschalten kann.
Das klingt fast zu einfach. Wie schaffen Sie es, dass Ihre Programme auch in unterschiedlichen Industrien funktionieren?
Wie haben festgelegt: Wir müssen als Softwarehersteller auch die letzte Meile mit speziellen Industriefunktionen selber bauen – und dürfen das nicht an Partner verlagern, die dafür Module bauen. Das bedeutet auch: Wir bedienen nicht alle Industrien, die etwa SAP heute bedient, sondern wir fokussieren uns bewusst auf rund zwölf Branchen. Für die bieten wir vordefinierte Geschäftsprozesse und vorkonfigurierte Vorlagen an, um die Einführung der Software weiter zu beschleunigen. Unternehmen müssen dann praktisch nur noch ihre Daten dort hinein laden.
Aber solche Vorlagen für bestimmte Industrien bietet SAP bei seinem Flaggschiffprodukt S4/Hana doch auch an.
Der Unterschied liegt darin, wer sich um diese speziellen Funktionen für bestimmte Industrien kümmert. Wir machen das selbst. SAP baut hingegen ein Paket von Software-Tools, durchaus auch für Branchen, für das die SAP-Partner dann weitere eigene Funktionen entwickeln – das bedeutet: Der individuelle Zuschnitt des Projekts nach den Vorstellungen des Unternehmens liegt dann in den Händen der Partner. Das ist ja auch der Grund, warum die Projekte dann so lange dauern.
Zur Person
Jörg Jung ist Geschäftsführer und Managing Director Central und East Europe beim Softwareunternehmen Infor.
Viele Kunden sagen aber auch: Wir haben besondere Bedürfnisse und wollen nicht den Standard nutzen, sondern unsere eigenen Prozesse in der Software abbilden. Damit sind auch Unternehmen, die sich nicht mit dem Standard aus der Cloud zufriedengeben, Teil des Problems.
Das ist richtig. Die Unternehmen fanden es lange Zeit toll, ihre eigenen Anpassungen in der Software vornehmen zu können. Das Problem dabei: Spätere Upgrades auf eine neue Software-Version sind dann so aufwändig, dass es kaum jemand richtig überblickt. Das haben inzwischen viele Unternehmen erkannt. Diejenigen, mit denen wir über neue Projekte reden, wollen unser Knowhow in ihrer Industrie zwar überprüfen. Wenn die für sie passt, bekennen die sich zu unserem Standard.
Sie rühmen sich damit, dass Sie die Cloud auf die Bedürfnisse Ihrer Kundschaft besonders gut anpassen. Wieso ist das so wichtig?
Weil ein Unternehmen dann keine Entscheidungen für die nächsten zehn oder 15 Jahre treffen muss – einen Zeitraum, den man seriös ohnehin nicht überblicken kann. Wir können das System jederzeit nach Bedarf des Kunden hoch- und herunterfahren können. Es wächst also mit dem Unternehmen mit.
„Wer SAP Finance beherrscht, ist praktisch für jedes Unternehmen in Deutschland interessant“
Und das ist bei SAP nicht so?
Nehmen Sie beispielsweise eine intern betriebene private Cloud: Dort wird die Software auf einem speziellen Server im Unternehmen installiert. Dadurch ist sie nicht frei erweiterbar – sprich: Wenn der Kunde irgendwann aus diesem Anzug herauswächst, benötigt er einen neuen Anzug, weil er den alten nicht ohne weiteres erweitern kann. In einer echten Cloud hingegen funktioniert das sehr wohl, da bucht der Kunde einfach mehr Kapazität dazu. Außerdem muss ein Unternehmen in der privaten Cloud Aktualisierungen eigens einspielen. Kommt eine neue Software-Version, steht der nächste neue Anzug an – also wieder ein neues Großprojekt nur für das Upgrade. Das ist in der echten Cloud alles Schnee von gestern.
Aber wollen die Unternehmen eigentlich mit ihrer kompletten Unternehmenssoftware in die Cloud?
Das ist eine berechtigte Frage. Es gibt in der Tat immer wieder Unternehmen, die sagen: Ich möchte nicht in die Cloud. Als ich vor zwei Jahren bei Infor anfing, steckte das Thema Cloud in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Da gab es gerade erst die ersten Cloud-Deals. Das Cloud-Geschäft bewegte sich damals bei Infor im einstelligen Prozentbereich. Innerhalb von zwei Jahren ist die Nachfrage auf ziemlich genau die Hälfte angewachsen.
Warum?
Zum einen zeigen wir einem Kunden heute, wenn er zu uns kommt, was er von uns bekommt – und dass dies ausschließlich aus der Cloud kommt. Von zehn Unternehmen, die sich an uns wenden, wollen acht zuerst keine Cloud – am Ende haben wir neun überzeugt, mit uns gemeinsam in die Cloud zu gehen. Eins von zehn Unternehmen verweigert sich diesem Weg weiterhin – und dann ziehen wir uns zurück. Wir betrachten Projekte mit im Unternehmen installierter Software als Reise zurück in die Vergangenheit – dafür stehen wir nicht mehr zur Verfügung.
Sie verzichten dann wirklich auf Geschäft?
Ja. Ich habe kürzlich ein Großprojekt bei einer der führenden deutschen Modeketten im Discountbereich genau aus diesem Grund abgesagt.
Wenn Sie sich das leisten können…
Ja, das können wir uns leisten. Ich bin mir aber sicher, diese Unternehmen sprechen uns spätestens in einem Jahr wieder an. Wir stehen aktuell vor dem Abschluss eines Vertrags mit einem der führenden Handelsunternehmen in Deutschland. Das hatte das Projekt mit der Vorgabe ausgeschrieben, dass die Software im Unternehmen installiert wird. Wir haben uns darauf als einziger mit unserer Cloud-Lösung beworben – und den Zuschlag bekommen. Denn: Alle anderen sind in eine Falle getappt.
Wie das?
Der Kunde wollte durch die Art der Ausschreibung prüfen, ob ein Software-Anbieter auch als strategischer Partner arbeitet, der für die Zukunft berät – und auch neue Technologien wie die Cloud anbietet, statt nur seine althergebrachte Software wie in den vergangenen 40 Jahren verhökert. Er hatte in der Ausschreibung ganz bewusst das Thema Cloud ausgelassen.
Es ist noch nie ein CIO rausgeschmissen worden, weil er SAP gekauft hat. Wie überzeugen Sie Ihre Kunden, stattdessen auf Infor zu setzen?
Naja, ob das wirklich so ist gilt es zu überprüfen. In den Neunziger Jahren war das sicherlich so. Es stimmt aber schon, dass wenn wir in so einen Auswahlprozess einsteigen, dann gibt es immer zwei Abteilungen, die wir besonders überzeugen müssen: Die Finanz- und die IT-Abteilung. Viele sehen es ja auch als Karriereschritt: Wer SAP Finance beherrscht, ist praktisch für jedes Unternehmen in Deutschland interessant. Andererseits stehen viele IT- und Finanzchefs heute vor den Scherben ihrer Entscheidungen von vor zehn Jahren – und zugleich vor der Herausforderung der digitalen Transformation. Die Geschäftsmodelle wandeln sich also dramatisch. Jetzt schauen sie auf ihre IT und fragen sich: Wie soll ich das mit diesem Software-Moloch schaffen?