Koenzens Netzauge

Mehr Mut zur digitalen Gesetzgebung

In der digitalen Welt passieren erstaunliche Dinge. Statt die Gesetzgebung selbst in die Hand zu nehmen, verlässt sich die Politik in kritischen Fragen zunehmend auf die Gerichte. Safe Harbor war so ein Fall – und die WLAN-Störerhaftung könnte der nächste werden. Ein Plädoyer für mehr digitalen Gesetzgebungsmut!

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W-Lan-Symbol vor dem Hamburger Rathaus. Quelle: dpa

Ein Aufschrei ging durch Europa, als der Europäische Gerichtshof im Oktober vergangenen Jahres das Safe-Harbor-Abkommen mit den USA für null und nichtig erklärte. Ganz plötzlich, so konnte man den Eindruck gewinnen, war Politikern in ganz Europa bewusst geworden, dass Safe-Harbor nicht mehr war als ein genialer Marketing-Coup, der bei genauerem Hinsehen leider nicht hielt, was er versprach. Grobe Verbrauchertäuschung also.

Aber kam diese Erkenntnis wirklich so plötzlich? Hätte man nicht schon viel früher als Reaktion auf die Snowden-Enthüllungen und das Bekanntwerden des Ausmaßes US-amerikanischer Massenüberwachungsmaßnahmen erkennen müssen, dass Safe-Harbor vermutlich eine Farce ist? Hätte man nicht viel früher – und zum Schutz der eigenen Bürger und ihrer freiheitlichen Rechte – Gegenmaßnahmen ergreifen und das Abkommen auch ohne das EuGH-Urteil aussetzen müssen?

Hätte man – hat man aber nicht.

Hier muss die Frage erlaubt sein, warum das so ist. Fehlt Europas Politikern der Mut zur Konfrontation? Fehlt ihnen das Verständnis für die digitalisierte Welt?

Europäischer Gerichtshof, die Zweite

Vielleicht ist es einfach nur praktisch, unter Verweis auf ein höchstrichterliches Urteil sagen zu können, man habe ja keine andere Wahl gehabt. So kann man auch unangenehme Entscheidungen fällen, Partnern auf die Füße treten, ohne die Verantwortung dafür übernehmen zu müssen.

Ein ähnliches Schicksal wie das Safe-Harbor-Abkommen könnte nun auch das deutsche Konstrukt der WLAN-Störerhaftung erleiden. Seit Jahren schon ringt die Politik um eine Lösung für dieses große Hemmnis der Digitalisierung. Bislang vergeblich.

Auch die jüngste Gesetzgebungsinitiative der Bundesregierung zur Neuregelung der Störerhaftung ist im Sande verlaufen. Eigentlich hatte man sich zum Ziel gesetzt, den „Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes“ im Januar durch den Bundestag zu bringen. Doch die Fronten waren verhärtet. Auf der einen Seite die Forderung nach einem völligen Wegfall der Störerhaftung, auf der anderen Seite diejenigen, die in einem bedingungslosen Wegfall einen Freibrief für illegale Downloads und Machenschaften im Netz sahen. Dem zuvor mühsam ausgehandelten Regierungskompromiss wollte dann offenbar auch keiner mehr zustimmen, der Gesetzentwurf verschwand sang- und klanglos wieder von der Agenda der Plenarsitzung.

Doch wer jetzt einen Aufschrei der Befürworter der Neuregelung erwartet hatte, wurde enttäuscht. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, dass man in Berlin auf irgendetwas wartete. Dass es plötzlich niemand mehr eilig hatte, das seit Jahren dümpelnde Gesetzgebungsverfahren endlich zu einem positiven Ende zu bringen.

Und ja, da war doch was. Saß nicht bereits im Dezember der Europäische Gerichtshof (EuGH) erstmals zusammen, um über eine Klage im Zusammenhang mit der WLAN-Störerhaftung zu beraten? Könnte es sein, dass man darauf wartete, dass die Luxemburger Richter es schon richten und die aktuelle Regelung zu Fall bringen würden?

Regiert!

Reagieren, statt regieren. Die Gerichte Politik machen lassen, statt selbst die Rahmenbedingungen für die Gesellschaft von morgen zu gestalten. Ist das der Anspruch unserer Parlamentarier in der digitalen Welt?

Habt endlich den Mut, die Digitalisierung aktiv mitzugestalten. Habt den Mut, die Regeln aus einer analogen Zeit kritisch zu hinterfragen und ins Morgen zu übersetzen. Habt den Mut, unangenehme Wahrheiten auszusprechen, die Konfrontation zu suchen. Setzt die Versprechen aus Eurer eigenen „Digitalen Agenda 2014-2017“ um, in der so viele gute Ideen stecken. Wartet nicht, bis andere für Euch entscheiden. Regiert!

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