Bürokratie Tesla-Tempo – das klingt für Mittelständler wie ein schlechter Witz

Tesla hat seine Gigafactory in Grünheide auf der Basis von mehr als 20 Einzelgenehmigungen hochgezogen. Quelle: imago images

In Rekordzeit hat Elon Musk seine Gigafactory hochgezogen. Wer von deutschen Firmen die gleiche Geschwindigkeit verlangt, kennt die Realität nicht – denn allein auf einen Radweg zum Werk muss man sieben Jahre warten.

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Knapp zwei Jahre sind vergangenen, seit Elon Musk Ende 2019 sein neues Werk in Grünheide angekündigt hat, vor wenigen Wochen sind nun die ersten Autos ausgeliefert worden. Angesichts dieser Geschwindigkeit haben Teile der Politik gefordert, dass die deutsche Industrie künftig doch bitte auch mit diesem Tesla-Tempo bauen soll – schließlich ermögliche das deutsche Recht offensichtlich solche Geschwindigkeiten. Das klingt für viele Mittelständler wie ein schlechter Witz.

Denn Tesla hat das Werk auf Basis von mehr als 20 Einzelgenehmigungen hochgezogen. Wäre die abschließende Genehmigung ausgeblieben, hätte der US-Autobauer den vorherigen Zustand wiederherstellen müssen. Für einen Konzern wie Tesla mag das möglich sein, für die meisten anderen Unternehmen aber wäre es töricht, diesen heiklen Weg zu wählen.

Tesla-Ansiedlung politisch gewollt

Tesla konnte diesen Schritt machen, weil die Ansiedlung des Konzerns ein unglaubliches Prestige für die Region bedeutet. Ich kenne kein anderes Unternehmen, das für sein Bauprojekt einen solchen politischen Zuspruch erfahren hat. Sogar eine Taskforce aus Beamten und Unternehmensvertretern wurde geschaffen.

Dieser Zuspruch hat auch die lokalen Behörden unter Zugzwang gesetzt: Eine versagte oder erst nach Jahren eintrudelnde, endgültige Genehmigung hätte Deutschland international unmöglich gemacht. Hingegen wäre jedes deutsche Industrieunternehmen schon froh, zehn Prozent einer solchen politischen Unterstützung zu erfahren.

Tesla – das eine Marktkapitalisierung von einer Billion Dollar besitzt – verfügt über so viele Mittel, dass es sich einen Rückbau zur Not hätte leisten können. Die meisten anderen Unternehmen jedoch finanzieren solche Investitionen per Kredit. Sprichwörtlich in den Sand gesetzte Baukosten plus Rückbaukosten von etwa zehn Prozent der Gesamtinvestition wären für normale Unternehmen zumeist der sichere Tod. Um es klar zu sagen: Ich habe großen Respekt vor Elon Musk. Er ist ein richtiger Macher. Er hat das E-Auto salonfähig gemacht, bei der Digitalisierung Maßstäbe gesetzt und auch in der Produktion versucht, vieles neu zu denken. Aber bei dem Bau unter Vorbehalt konnte er einkalkulieren, dass sich Deutschland kein Scheitern erlauben würde.

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Daher ärgert es mich, wenn sich Politiker hinstellen und Tesla zum Vorbild erklären. Statt das Risiko der überlangen Prüfungen auf die Unternehmen abzuwälzen, sollte die Politik doch endlich ihre Hausaufgaben machen.

Die Vorschläge für ein modernisiertes Planungsrecht, wie sie etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Verband der Chemischen Industrie zusammen mit Praktikern entwickelt haben, liegen schon lange auf dem Tisch: Zielkonflikte müssen gelöst, Zuständigkeiten gebündelt und Rechtsklarheit geschaffen werden. Und warum sollte es keine festgelegte Dauer von zum Beispiel sechs Monaten geben, in der ein Antrag geprüft werden muss – andernfalls gilt er als genehmigt?

Die überfällige Digitalisierung der Verfahren, eindeutige Standards sowie personell und fachlich gut ausgestattete Behörden sind jedenfalls nur einige von vielen Maßnahmen.

Auch eine digital weiterentwickelte und auf benachbarte Stakeholder begrenzte Öffentlichkeitsbeteiligung sowie weniger Instanzen vor Verwaltungsgerichten sind erforderlich. Man muss dabei auch nicht gleich einen vermeintlichen Demokratieabbau beklagen. Die Legitimität einer Demokratie beruht nicht nur auf der vielfältigen Beteiligung mit einem möglichst großen Konsens, der noch jedes Partikularinteresse berücksichtigt – sondern auch auf effizienten und gemeinwohlorientierten Ergebnissen.

1500 Genehmigungsverfahren für Industrieanlagen werden jährlich allein nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz durchgeführt. Einer aktuellen IW-Studie zufolge dauern diese bis zur Genehmigung in der Regel fünf bis acht Jahre.

Länder wie Dänemark und die Schweiz machen vor, wie Beteiligung und Ergebnisse besser miteinander vereinbart werden können – und niemand würde ernsthaft behaupten, beide Nachbarn stünden in puncto Partizipation hinter Deutschland. Der Output spricht jedenfalls für sich: Der 57 Kilometer lange Gotthard-Basistunnel ging 2016 pünktlich in Betrieb. Der Ausbau des deutschen Zulaufs über die Rheintal-Strecke dagegen ist 20 Jahre hinter dem Plan und soll frühestens 2040 fertig werden.

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