Die Zahlenfrau
Deutschland braucht Mut zum Investieren und Gründen! Quelle: imago images

Wo bleibt der Mittelstand von morgen?

In den Gründungszeiten des heutigen Mittelstandes herrschte Aufbruchstimmung. Die brauchen wir zurück. Dringend!

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die Venture-Capital-Firma Lakestar hat vor kurzem eine äußerst informative Studie zum European Financing Gap veröffentlicht. Die Studie vermittelt einen sehr guten Überblick, wo wir in Deutschland bei den Themen Finanzierung, Forschung und Kommerzialisierung stehen. Und ich kann euch vorab verraten: Ich mache mir Sorgen. Aber lasst mich einen Schritt zurückgehen.

Unser Wohlstand heute basiert auf den Erfolgen unseres Mittelstands. Viele von ihnen sind Weltmarktführer in ihrem Segment, daher wird unser Mittelstand gern auch als das „Rückgrat unserer Nation“ bezeichnet. Es sind Unternehmen, die sich in den 1950er-, 60er- und 70er-Jahren etabliert haben – und die übrigens auch mal Start-ups waren. Diese Unternehmen wurden damals, gemäß Studie, von Banken in Höhe von bis zu vier Prozent des BIP finanziert.

Heute sieht die Welt der Start-ups anders aus und wir sehen viel schnelleres Wachstum und Skalierung. Die Wachtumsunternehmen basieren auf Technologie und nicht wie in der Vergangenheit auf Vermögenswerten, die physisch vorhanden sind, zum Beispiel Maschinen. Daher werden Start-ups heute in der Regel auch nicht von Banken finanziert, sondern von Risikokapitalgebern (Venture-Capital-Investoren). Laut derselben Studie ist deren Anteil heute im Vergleich zum BIP sehr viel geringer und wir haben eine massive europäische und deutsche Finanzierungslücke. Und nicht nur das: Die richtig erfolgreichen Tech-Superstars aus Europa sind kaum noch in europäischer Hand. Sie werden meist durch enormes Risikokapital aus den USA oder Asien finanziert.

Deutsche Erfolgs-Start-ups in internationaler Hand

Lasst mich ein paar Beispiele nennen: N26 beendete seine E-Series im Oktober 2021 mit 900 Millionen Euro. Die Finanzierung wurde von den führenden US-Investoren Third Point Ventures und Coatue Management mit Sitz in New York angeführt. Zusätzlich beteiligten sich die Dragoneer Investment Group und bereits existierende Investoren. Gegründet in Deutschland, ist das Unternehmen heute fest in amerikanischer Hand.

Lesen Sie auch: Neun Ideen, die Industrie und Alltag verändern werden

Auch Celonis bekam zuletzt eine Milliarde Euro von internationalen Investoren, primär großen US-Investoren: Angeführt wurde die Finanzierungsrunde von Durable Capital Partners und T. Rowe Price, dazu kamen weitere Geldgeber wie Franklin Templeton. Somit sind die Münchner heute ebenfalls mehr amerikanisch als deutsch.

Dabei fangen wir eigentlich immer gut an.

In der Seed-Finanzierung haben Deutschland und Europa in den letzten Jahren mächtig aufgeholt. Davon habe ich selbst profitiert. Als wir die erste Finanzierung für mein Start-up Banxware gesucht haben, kamen die meisten der Investoren aus unserem direkten Umfeld, sprich: aus Deutschland. Wir haben unsere erste Seed-Runde mit vier Millionen Euro abgeschlossen. Aber dann kippt das Gleichgewicht langsam zuungunsten Deutschlands. Auch das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.

Als wir nämlich eine erweiterte Seed-Runde in Höhe von zehn Millionen gestartet haben, kam das Interesse für höhere Tickets vor allem aus dem Ausland. Unser größter Investor kommt jetzt aus UK und wir haben auch schon einen ersten US-Investor mit an Bord. Und ich kann eines mit großer Sicherheit sagen: Wenn wir in die nächste Runde gehen und das Funding noch größer wird, werden wahrscheinlich immer weniger Player aus Europa dabei sein.

Das ist nicht gut. Hier muss sich dringend etwas ändern und es muss deutlich mehr europäisches Geld investiert werden, damit die jungen Wachtumsunternehmen auch in Deutschland und Europa bleiben.

Weltklasseschüler in der Forschung, Nachhilfeschüler im Unternehmertum

Eine weitere spannende Erkenntnis aus der Lakestar-Studie: Sie zeigt sehr deutlich, dass wir in Deutschland Weltklasse beim Thema Forschung und Patente sind, es uns aber offenbar nicht gelingt, daraus Unternehmen zu gründen. Dabei waren wir darin doch mal so unglaublich gut, denn unser Mittelstand ist ja auch nicht über Nacht so erfolgreich geworden.

Wann haben wir aufgehört, unternehmerisch zu denken und zu handeln und uns lieber in der Theorie zu verkriechen?

In den Gründungszeiten des heutigen Mittelstandes herrschte Aufbruchstimmung: Firmen wurden aufgebaut und umgebaut, Menschen scheuten das Risiko nicht. Heute – das zeigt eine Befragung von EY – wollen 26 Prozent der Uni-Absolventen in den öffentlichen Dienst. Gründen hingegen will kaum jemand: Laut Global Entrepreneurship Monitor liegt Deutschland fast als Schlusslicht auf Platz 41 von 43.

Wir brauchen wieder mehr von dem Spirit der Mittelstandsgründerzeit, damit wir auch zukünftig Weltmarktführer bleiben. Unsere Zukunft wird von Technologie bestimmt werden – daher müssen wir auch in Technologie investieren. Das braucht Risikofreude.

Das wünscht sich übrigens auch der Chef der Bundesbank, Joachim Würmeling, mit dem ich kürzlich gemeinsam auf einem Panel sein durfte. Er sagte: „Wir brauchen wieder mehr Mut in Deutschland.“

Da sich McKinsey in den letzten zwei Jahren in mehreren Reports auch zu diesem Thema geäußert hat, habe ich Max Flötotto, Senior Partner bei McKinsey, um seine Einschätzung zur Thematik gebeten.

Max, warum brauchen wir neue Wachstumsunternehmen?
Max Flötotto: Sie schaffen Werte und Arbeitsplätze – die Basis für Wohlstand in Deutschland. Es wird nicht ausreichen, sich auf den Erfolgen der Vergangenheit auszuruhen. Deutschland hat in den letzten 20 Jahren in wichtigen Industrien an Bedeutung verloren und nur wenige neue Champions hervorgebracht. Um in bestehenden und neuen Industrien relevant zu sein, braucht Deutschland neue erfolgreiche Wachstumsunternehmen. Den Wertschöpfungsbeitrag und das Arbeitsplatzpotenzial haben wir jüngst in einer detaillierten Studie abgeschätzt. So können bis 2030 insgesamt fast 1,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen und etwa 2,3 Billionen Euro an Marktkapitalisierung erreicht werden. Das allein würde die heutige Gesamtbewertung der Dax-40-Unternehmen um mehr als 20 Prozent übertreffen.

Gibt es in Deutschland aktuell wirklich zu wenig Gründungen?
Flötotto: Ganz klar. Und dafür gibt es zwei Gründe: zu wenig unternehmerisches Denken und Hindernisse im Gründungsprozess. Vor allem letzteres sollten wir besser heute als morgen adressieren. Aber wir müssen auch diejenigen unterstützen, die in der aktuellen Struktur des deutschen Start-up-Ökosystems unterrepräsentiert sind: weibliche Gründerinnen, Gründer ohne akademische Ausbildung oder die zahlreichen gründungswilligen Menschen mit Migrationshistorie. In diesen und weiteren Gruppen die Chancengleichheit zu erhöhen, ist ein wesentlicher wirtschaftlicher Faktor. Insgesamt schätzen wir, dass hierzulande bis 2030 mehr als 40.000 Gründungen möglich sind – das sind etwa 50 Prozent mehr, als wenn es einfach so weitergeht wie bisher.

Gibt es wirklich Lücken in der Finanzierung der Start-ups?
Flötotto: Deutsche, und auch europäische Investoren, stellen deutlich weniger Wachstumskapital bereit als amerikanische und chinesische. So wurde hierzulande in den vergangenen 20 Jahren je Einwohner achtmal weniger Wachstumskapital investiert als in den USA. Das spiegelt auch die Investorenstruktur wider: Über 60 Prozent des Risikokapitals der größten europäischen Wachstumsunternehmen entfällt auf US-Investoren. Aus europäischer oder deutscher Sicht geht damit nicht nur Einfluss, sondern auch ein großer Teil der Wertschöpfung verloren. Am Ende profitieren Pensionsfonds in den USA oder Kanada von der Rendite, während deutsche Pensionäre leer ausgehen.

Wie groß ist diese Finanzierungslücke?
Flötotto: In der kürzlich veröffentlichten Lakestar-Studie zum European Financing Gap, die du oben nennst, wird die Lücke in der Wachstumsfinanzierung mit 100 Milliarden Euro pro Jahr beziffert. Das ist eine sehr große Zahl. Aber sie wirkt nicht mehr ganz so erschreckend, wenn man bedenkt, dass jährlich 150 Milliarden Euro in Ferienimmobilien investiert werden. Die sind auch schön, aber sicherlich weniger relevant für den systematischen Aufbau unseres zukünftigen Wohlstands.

Entgeltumwandlung Lohnt sich betriebliche Altersvorsorge?

Einen Teil des Gehalts für betrieblich Altersvorsorge einsetzen: Rechnet sich das? Und: Geht es auch mit Aktien? Eine Fallanalyse.

Rezept zum Reichwerden? Das steckt hinter dem System von Deven Schuller

Ein selbsternannter Finanzexperte will seinen Kunden laut eigener Aussage dabei helfen, finanzielle Freiheit zu erreichen, und pflastert das Internet mit Werbung. Was steckt dahinter? Ein Selbstversuch.

Freiberufler-Report So viel verdienen Selbstständige in Deutschland

Zwei Euro mehr pro Stunde – und kaum noch ein Gender Pay Gap: Selbstständigen geht es auch in der aktuell schwierigen Lage recht gut. In welchen Bereichen sie am meisten verdienen.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Feriendomizile statt Unternehmensförderung?

Es gibt so Sätze, an denen bleibt man hängen, und im Gespräch mit Max war es definitiv dieser: Jährlich werden 150 Milliarden Euro in Ferienimmobilien investiert. Die Lücke in der Wachstumsfinanzierung liegt bei 100 Millionen. Beziehungsweise sein Nachtrag: „Die sind auch schön, aber sicherlich weniger relevant für den systematischen Aufbau unseres zukünftigen Wohlstands.“ Und ich frage mich, wie lange wir uns schöne Feriendomizile leisten können, wenn wir uns nicht endlich (wieder) aktiv um den Erhalt unserer Wirtschaftskraft und somit unseres Wohlstands kümmern. The time is now.

Lesen Sie auch: Neun Ideen, die Industrie und Alltag verändern werden

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%