US-Onlineversicherer Lemonade zieht in den Preiskampf um deutsche Mieter und Hausbesitzer

Versicherer Axa unterstützt den Markteintritt von Lemonade in Europa. Quelle: REUTERS

Der US-Onlineversicherer Lemonade startet seine Expansion in Europa. Axa unterstützt den Markteintritt – und hofft auf frischen Wind für das eigene Geschäft.

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Ärger mit der teuren Hausratversicherung? Das mit vielen hundert Millionen Dollar geförderte US-Insurtech Lemonade verspricht ab sofort auch deutschen Eigenheimbesitzern und Mietern Abhilfe. Mit Unterstützung von Axa Deutschland nimmt das 2016 in New York an den Start gegangene Unternehmen die seit geraumer Zeit in Aussicht gestellte Expansion nach Europa in Angriff. Via App oder Website sollen Versicherungen verbraucherfreundlich abgeschlossen und Schadenmeldungen schnell und unbürokratisch bearbeitet werden – und das auch noch kostengünstig: Die Palette der Beitragsraten soll bei weniger als fünf Euro pro Monat starten und orientiert sich an den tatsächlich zu versichernden Werten.

Das wäre aus Kundensicht durchaus eine Verbesserung im Vergleich zu den heute oft schwer durchschaubaren Berechnungen nach Quadratmetern, Lage, Stockwerk und so weiter. Manchmal unterscheiden sich die Kosten für eine Police sogar von einer Straßenseite zur anderen.

Außer dem Interesse der Versicherten soll die Kooperation aber natürlich den beiden neuen Partnern dienen: Der altgediente Axa-Konzern könnte sein in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem bei jungen, Internet-affinen Kunden angestaubtes Image aufpolieren und in einer Sparte auf Neukunden hoffen, die wegen ihrer seit Jahren riesigen Gewinne den Kampf um Marktanteile anstachelt. Dafür stellt Axa den Lemonade-Gründern Daniel Schreiber und Shai Wininger zunächst einen mehrjährigen Rückversicherungsvertrag zur Verfügung, der das Risiko abfedert. Die selbsterklärten Laien in der Versicherungsbranche betonen im Gegenzug ihre Pionierleistung für eine „Generation, die es gewohnt ist, global unterwegs zu sein“: Es ist das erste Mal, dass ein US-Versicherer direkt Policen in Deutschland vertreibt. Nebenbei können sie darauf hoffen, ein paar hausgemachte Schwierigkeiten zu bewältigen.

Das betrifft vor allem ihre bisher zu hohe Schadenquote. Also den Teil der Beitragseinnahmen, den der Versicherer für Schäden wieder ausbezahlt. Der habe im ersten Quartal 2019 bei 87 Prozent gelegen, sagte Schreiber im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Vor allem auf dem deutschen Markt mit einem scharfen Wettbewerb und der Marktmacht etablierter Anbieter ist es für Newcomer schwierig, sich als Makler oder Versicherer allein durchzusetzen. Auch aus diesem Grund hatte etwa die Sachversicherungstochter One des Berliner Insurtech-Unternehmens Wefox frühzeitig auf Maklerkooperationen gesetzt.

Zunächst werde Axa Deutschland einzig als Rückversicherer für Lemonade agieren, betont Nils Reich, seit 1. Januar Vorstand des Bereichs Sachversicherung. Eine künftige Vertiefung der Partnerschaft sei aber nicht ausgeschlossen. „Sie ist ein Mittel, um das Übermorgen zu planen.“ Die Kooperation bringe „die Marktexpertise und das weitreichende Netzwerk eines global agierenden Konzerns mit Lemonades innovativem Geschäftsmodell und dem Anspruch von maximaler Einfachheit und Geschwindigkeit zusammen“, heißt es weiter in einer gemeinsamen Presseerklärung von Axa Deutschland und Lemonade. Die Police 2.0 des Insurtechs sei eine „verbraucherfreundliche Abkehr von den oftmals undurchsichtigen und veralteten Policen, die auf dem Markt verfügbar sind.“ Die eigenen Angebote nimmt Reich von dieser Kritik nicht aus. Da gebe es noch „Potenzial für Verbesserungen.“ Frischer Wind, wie ihn Lemonade nun nach Deutschland bringe, werde aber dem gesamten Versicherungsmarkt gut tun, betont er.

In den USA punktet Lemonade seit seiner Gründung damit, auf menschliche Versicherungsmakler zu verzichten und maschinell gesteuerte Antworten auf Policen-Anträge und Schadenmeldungen binnen Minuten und zuweilen sogar in Sekundenschnelle zu liefern. Die Kommunikation mit den Kunden über sogenannte Bots, die automatisch agieren und ständig mit den so gewonnenen Daten optimiert werden, hat die Versicherungsbranche zu Hause ziemlich durcheinander gewirbelt. Große Anbieter dort wie etwa State Farm haben ihre Preise für Hausratversicherungen gesenkt, um mit den günstigen Raten von Lemonade mitzuhalten. Kunden freuen sich in Foren, dass der Abschluss einer Versicherung mit wenigen Klicks eher der angenehmen Bestellung eines Essens bei einem Lieferdienst gleiche als einer lästigen Pflicht, sein Hab und Gut gegen Schäden abzusichern.

Genau das hatte Lemonade bei seinem Start versprochen und wirbt damit nun auch um deutsche Kunden: Statt saurer Zitronen werde es süße Limonade geben. Investoren sind von dem Anspruch so angetan, dass sie dem Start-up inzwischen 480 Millionen US-Dollar zuschaufelten. Erst am 11. April waren in einer Finanzierungsrunde 300 Millionen US-Dollar zusammengekommen. Geführt wurde die Finanzierungsrunde von dem japanischen Technologie- und Telekommunikationskonzern Softbank. Auch der deutsche Axa-Konkurrent Allianz beteiligte sich.

Aber im Alltag scheint der Spaß an seine Grenzen zu stoßen.

„Lemonade braucht Unterstützung,“ urteilt deshalb ein mit der Insurtech-Branche vertrauter Manager. Dass Finanzexperten das Start-up für einen möglicherweise bevorstehenden Börsengang inzwischen auf zwei Milliarden US-Dollar bewerteten, sei auch einem Hype um Fintechs und Insurtechs geschuldet. Dabei werde zu wenig beachtet, dass dem enormen Umsatzwachstum des Unternehmens gewaltige Mittelabflüsse durch Schadenmeldungen entgegenstünden.

2018 verzeichnete Lemonade einen Umsatzanstieg auf 57 Millionen Dollar von 10,1 Millionen Dollar im Jahr zuvor. Die Anzahl der Policen legte nach Unternehmensangaben auf mehr als 425.000 zu. Allerdings hat Lemonade die Schadenquote zwar zwischen dem ersten Quartal 2018 und dem ersten Quartal 2019 auf die von Schreiber genannten 87 Prozent nahezu halbiert. Für die Branche ist sie aber immer noch erheblich. Zum Vergleich: Bei Axa Deutschland betrug sie nach Unternehmensangaben zuletzt 62,2 Prozent. Der Versicherer zahlt also von jedem eingenommenen Euro weniger als 63 Cent aus.

Den Makel versuchte Lemonade voriges Jahr selbst zu beheben: Im vierten Quartal verzeichnete das Insurtech einen Umsatzeinbruch. Mitgründer Wininger führte dies auf das Bemühen zurück, das Wachstum kurzzeitig zu verlangsamen, um die Risiken im Portfolio besser auszubalancieren.

„We suck, sometimes“, überschrieb Wininger vor fast genau einem Jahr seinen Blog auf der Firmen-Website. Manchmal also, räumte der Mitgründer selbst freimütig ein, baue Lemonade richtig Mist. „Eines der Dinge, die wir noch nicht hingekriegt haben, ist unsere Schadenquote. Sie ist immer noch im roten Bereich und rund 60 Prozent höher als wir sie gerne hätten.“ Zum ersten Mal habe das Unternehmen aber nun genügend Daten zur Verfügung, um die Quote zu reduzieren. „Um unsere Schadenquote in Ordnung zu bringen, bedarf es einem Fine-Tuning der Maschine, einer Optimierung von Produkt, Preisgestaltung und Bearbeitung, aber wir sehen bereits ermutigende Ergebnisse.“

Dabei hat sich Lemonade mit Hausratversicherungen für Mieter und Eigenheimbesitzer noch ein relativ leicht bespielbares Feld ausgesucht. Kranken- und Lebensversicherungen sind sehr viel komplexer, vor allem auch in der Schadenbewertung. In Deutschland wird Lemonade ebenfalls Privat-Haftpflichtversicherungen vertreiben. Anders als in seinen US-Policen sind Risiken wie Schäden Dritter im eigenen Haushalt in typischen deutschen Hausratversicherungen nicht enthalten.

Schreiber erwartet in Deutschland ein ähnlich fulminantes Wachstum für Lemonade wie auf dem US-Markt. „Massive Auswirkungen“ auf die Preise im hiesigen Versicherungsmarkt erwartet Axa-Vorstand Reich nach eigenen Angaben trotzdem zunächst nicht. Er hebt vielmehr die Aussicht auf bessere Kundenbeziehungen und technische Innovationen hervor, die Lemonades Markteintritt beflügeln werde.

Nach dem Start hierzulande plant Lemonade, weitere Märkte in Europa zu erschließen. Dafür hat es Amsterdam als europäischen Hauptsitz gewählt. Das Unternehmen wird von der niederländischen Zentralbank (DNB) lizenziert und von dieser auch beaufsichtigt. Dort habe man ein „kollaboratives und erfahrenes Regulierungsumfeld“ gefunden, heißt es. Zu Vermutungen über einen möglichen Börsengang seines Unternehmens wollte sich Schreiber anlässlich des Deutschlandstarts nicht äußern.

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