Am Ende war es doch eine kleine Überraschung: Air Berlin hat Insolvenz beantragt. Seit Jahren balancierte Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft nahe am Konkurs. Zu nahe, fand jetzt Geldgeber Etihad – und ohne weitere Finanzspritzen vom Golf fehlt der klammen Air Berlin schlichtweg die Basis für ein weiteres Fortbestehen.
Über die betriebswirtschaftlichen Gründe der Insolvenz ist bereits vieles bekannt und es wird auch noch viel darüber geschrieben werden. Klar ist: Die unzähligen Chefwechsel und damit neuen Strategien haben die Airline nicht aus den roten Zahlen gebracht, die Verbindlichkeiten sind in den Milliarden-Bereich gestiegen. Mal war es schlichtweg der Größenwahn des Chefs, der auf allen Hochzeiten tanzen wollte (Achim Hunold), mal eine Reform-Lethargie (Wolfgang Prock-Schauer), mal die Hörigkeit vor den Arabern (Stefan Pichler).
Dem aktuellen Chef Thomas Winkelmann (seit April) und seinem neuen Chefaufseher Gerd Becht (seit Juli) fehlten jetzt schlichtweg Zeit und Geld, um ein tragfähiges Sanierungskonzept zu erarbeiten, mit welchem Air Berlin nachhaltig und aus eigener Kraft Gewinne einfliegen kann.
Zu zerfahren war das Unternehmen, das nach den Zukäufen verschiedenster Airlines unter Hunold sich vom Kerngeschäft des Ferienfliegers zum Lufthansa-Äquivalent für Geschäfts- und Privatreisende auf der Kurz-, Mittel- und Langstrecke entwickeln wollte. Plötzlich gab es zu viele verschiedene Flugzeugtypen in der Flotte, zu viele Flugverbindungen und zu wenige Passagiere, um all diese Flieger voll zu bekommen. Als dann noch Etihad Air Berlin zum Zubringer für sein Drehkreuz am Golf machen wollte, kam ein weiteres Standbein hinzu, das mehr Kapital verlangte als es einbrachte.
Doch all das ist nur ein Teil des Problems, das Air Berlin hat: Die Fluggesellschaft ist über die Jahre schlichtweg überflüssig geworden. Wer braucht noch Air Berlin? Innerdeutsche und -europäische Verbindungen für Geschäftsreisende bedient die Lufthansa oder ihre Allianzpartner von der Star Alliance bequemer und vor allem zuverlässiger – da die Firma zahlt, spielt der letzte Euro meist nicht die entscheidende Rolle. Hauptsache, man kommt rechtzeitig bei dem Geschäftstermin an.
Wie geht es weiter bei Air Berlin?
Die Lufthansa und eine weitere Fluggesellschaft - laut Insidern die britische Easyjet - stehen bereit, die begehrten Start- und Landerechte von Air Berlin etwa in Berlin und Düsseldorf zu übernehmen. "Der Plan ist, die Flugziele so aufzuteilen, dass nichts übrig bleibt", sagte ein Insider. Air Berlin fliegt vor allem Berlin und Düsseldorf an. "Lufthansa und Easyjet ergänzen sich da gut." Die Gespräche seien schon vor der Insolvenz weit gediehen gewesen. Der irische Billigflieger Ryanair will das aber nicht so einfach hinnehmen. In der Insolvenz hat er eine bessere Chance, noch einen Fuß in die Tür zu bekommen. Denn Vorstand und Sachwalter sind dann allein den Gläubigern verpflichtet. "Sie müssen dafür sorgen, dass nichts verschenkt wird." Bietet Ryanair mehr für die Rechte, wird es schwer, dagegen anzukommen.
Die Österreich-Tochter soll aus der Insolvenz herausgehalten werden. Etihad hat zwar bereits 300 Millionen Euro für die Niki-Anteile von Air Berlin bezahlt. Doch die Fluggesellschaft gehört wegen der Insolvenz weiterhin Air Berlin, das Geld dürfte für den Aktionär aus Abu Dhabi verloren sein. "Der Vertrag gilt als schwebend unwirksam", sagt ein Insolvenzrechtler.
Der ursprüngliche Plan von Etihad, Niki mit TUIfly zu fusionieren, war gescheitert. Der Ferienflieger TUIfly fliegt aber für Niki mit eigenem Personal und geleasten Flugzeugen. Der deutsch-britische Reisekonzern TUI hat auch Passagiere auf Air-Berlin-Flüge gebucht. Um diese beiden Themen geht es auch in den Gesprächen mit Air Berlin. Eine Übernahme von Unternehmensteilen durch TUI steht Insidern zufolge derzeit nicht zur Debatte.
Piloten und Bordpersonal dürften die besten Chancen haben, bei Lufthansa oder Easyjet unterzukommen. Schließlich müssen die bisher von Air Berlin geflogenen Strecken auch künftig bedient werden. Allerdings dürfte Lufthansa sie nur zu den Bedingungen der Billigflug-Tochter Eurowings einstellen. Schwieriger wird es für die rund 1000 Beschäftigten in der Berliner Zentrale und die 850 Mitarbeiter der Technik-Tochter. Alle 7200 Beschäftigten in Deutschland bekommen erst einmal bis Oktober Insolvenzgeld von der Arbeitsagentur. Die Gehälter für Juli hatte Air Berlin noch selbst gezahlt.
Aus den Erlösen aus dem geplanten Verkauf der Start- und Landerechte wird zunächst der Massekredit der Staatsbank KfW über 150 Millionen Euro zurückgezahlt. Ob das reicht, ist offen. Wenn nicht, springt der Staat ein. Was danach übrig bleibt, bekommt zunächst die Arbeitsagentur. Die Zeichner von Air-Berlin-Anleihen gehen aller Wahrscheinlichkeit nach leer aus: Ihr Schuldner ist die britische Air Berlin plc - die eine weitgehend leere Hülle ist. Etihad muss nicht nur seinen knapp 30-prozentigen Aktienanteil abschreiben. Auch die Kredite, die der Partner aus Abu Dhabi Air Berlin gegeben hat, dürften wertlos sein. Als Gesellschafterdarlehen werden sie nachrangig behandelt, das heißt nach allen anderen Schulden bedient.
Und die Ferienflieger, mit denen Air Berlin einst groß geworden ist, bedienen die Billigflieger heute besser (oder zumindest nicht viel schlechter, aber deutlich günstiger). Urlauber achten zunehmend auf den Preis – wer zwei oder drei Stunden der Sonne Richtung Süden entgegenfliegt, nimmt auch mal kleine Komforteinbußen in Kauf, wenn er bei vier Tickets für die Familie mehrere hundert Euro spart. Dazu kommt, dass Ryanair, Easyjet und Co. sich inzwischen nicht mehr nur auf abgelegene Regionalflughäfen konzentrieren, sondern auch an großen Airports wie Frankfurt, München oder Düsseldorf vertreten sind – und eben nicht mehr nur in Weeze oder Hahn.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Das Geschäftsmodell der Lufthansa mit der Kernmarke und Eurowings funktioniert, wie die riesigen Gewinne im ersten Halbjahr gezeigt haben. Und auch das Geschäftsmodell der Billigflieger funktioniert. Das Zwischendrin, also Air Berlin, funktioniert aber nicht. Es ist verständlich, dass der Staat in der Urlaubs- und vor allem Wahlkampfzeit mit einem Kredit einspringt. Tausende gestrandete Urlauber hätten nur der Opposition in die Hände gespielt. Der Kredit soll, so die Schätzungen, bis November reichen. Dann ist der nächste Koalitionsvertrag längst unterschrieben, so die Hoffnung im Regierungsviertel.
Und dann kann Air Berlin in Ruhe aufgeteilt werden. Für die Angestellten ist positiv, dass die Diskussion um ihre Zukunft in den Wahlkampf fällt – Zusagen in ihrem Sinne sind in dieser Zeit wahrscheinlicher.
Und für den Rest wird der Markt schon eine Lösung finden.