Karriere Start-ups, die neuen Kaderschmieden der Top-Manager

Etablierte Konzerne setzen auf digitale Kompetenz - die lässt sich am besten im Start-up lernen. Quelle: Illustration: Daniel Downey

Früher waren Unternehmensberatungen Kaderschmieden der Top-Manager, inzwischen bilden auch Digitalunternehmen die CEOs der Zukunft aus – nicht nur aus fachlichen Gründen.

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Können wir die Programmplanung unserer Sender automatisieren? Welche Daten benötigen wir? Wie lange dauert die Umsetzung? Und wie teuer wird das Ganze? Der typische Finanzvorstand ist bei solchen Fragen den Antworten der zuständigen Fachabteilung ausgeliefert.

Es sei denn, er heißt Jan Kemper. Im Juni 2017 wurde der damals gerade mal 37-Jährige Chief Financial Officer (CFO) von ProSiebenSat.1. Seine steile Karriere verdankt er nicht nur den üblichen Stationen so vieler Überflieger: BWL-Studium an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar, Promotion an der RWTH Aachen, Investmentbanker bei Credit Suisse und Morgan Stanley. „Entscheidend“ beim Wechsel in den Vorstand, sagt Kemper, „war auch meine Digitalerfahrung“.

Seit 2010 hat Kemper mit einer Handvoll Mitarbeitern die Finanzabteilung des Berliner Start-ups Zalando aufgebaut. Er suchte nach Investoren und verhandelte mit ihnen, meisterte 2014 den Börsengang: „CFO in einem Start-up zu sein beinhaltet mehr als das Betrachten von Gewinn-und-Verlust-Rechnungen.“ Fast zwangsläufig sei er bei Zalando zum Generalisten geworden, der sich in digitale Geschäftsmodelle hineindenken und verschiedene Abteilungen miteinander vernetzen kann.

Das blieb auch dem Aufsichtsrat von ProSieben nicht verborgen, der ihn schließlich nach Unterföhring lockte. Neben den Zahlen ist Kemper auch für die E-Commerce-Sparte zuständig, in der sich mittlerweile zehn Digitalunternehmen wie die Partnerbörse Parship und das Vergleichsportal Verivox tummeln. Kemper soll die Portale mit dem Kerngeschäft verzahnen, ProSieben möchte die dort generierten Daten für personalisierte TV-Werbung nutzen. „Ich bin zwar kein ‚gelernter‘ Techie“, sagt der Betriebswirt, „aber bei Zalando habe ich ein großes Verständnis dafür entwickelt, wie man moderne Technologien so einsetzt, dass sie den Erfolg des Unternehmens beschleunigen.“ Darauf sind fast alle Unternehmen angewiesen – und das verändert das Anforderungsprofil der Top-Manager.

Früher galt die Station bei einer Unternehmensberatung als Eintrittskarte in die Chefetage. Allianz-Chef Oliver Bäte, Deutsche-Post-CEO Frank Appel oder Telekom-Top-Managerin Claudia Nemat sind McKinsey-Gewächse, Pepsi-Chefin Indra Nooyi und der frühere GE-Chef Jeff Immelt arbeiteten bei der Boston Consulting Group.

Heute sind andere Lebensläufe gefragt. „Digitalunternehmen werden den Beratungen als Ausbildungsstätte fürs Top-Management den Rang ablaufen“, meint der Hamburger Personalberater Dwight Cribb. Schon heute konkurrierten beide Branchen an den Eliteunis um Absolventen. Und derzeit sieht es so aus, als hätten junge Firmen einen Vorteil gegenüber den Platzhirschen: Eine Umfrage der Marktforschung GfK unter mehr als 1000 Studenten ergab vor einigen Jahren, dass mehr als die Hälfte unternehmerisch tätig sein möchte.

Nicht nur wegen der damit verbundenen Freiheiten – sondern auch aus Kalkül. „Wer eine Führungsposition in einem Start-up vorweisen kann“, sagt die Gründerin der Hamburger Personalberatung D-Level, Katharina Wolff, „kann beim Wechsel in eine digitale Führungsposition eines etablierten Unternehmens leicht 30 Prozent mehr Gehalt verlangen.“ Die Headhunterin hat sich ebenfalls auf die Digitalbranche spezialisiert, trotzdem staunt sie regelmäßig über die Angebote. 150 000 Euro Jahresgehalt für einen Leiter des Digitalgeschäfts seien selbst bei kleineren Mittelständlern Normalität.

Die Großzügigkeit der Firmen hat Gründe. Digitalisierung wird zur Chefsache – auch in Bezug auf die Personalstrategie. Deshalb suchen die Unternehmen händeringend nach Führungskräften, die die strategischen Visionen mit der technologischen Wirklichkeit abgleichen können – inklusive der entsprechenden Attitüde, neudeutsch „mindset“. Gefragt sind prozesshaft denkende Manager, denen das Arbeiten an fast fertigen Experimenten („Betaversionen“) lieber ist als verspätete Ingenieur-Perfektion.

Digitale Denke

Das zeigt auch eine Studie der Personalberatung Rochus Mummert aus dem vergangenen Jahr. Den 114 befragten Unternehmern und Geschäftsführern war es vor allem wichtig, dass Manager Szenarien für die digitale Zukunft entwickeln können. Und auch ausweislich einer Befragung des Karrierenetzwerks LinkedIn glauben Personalentscheider, dass in den kommenden zehn Jahren zunehmend Digitalkompetenz gefragt sein wird. Doch was genau verbirgt sich eigentlich dahinter? Warum sollen hippe Nerds aus Berlin-Mitte plötzlich geeigneter fürs Top-Management sein als kühl kalkulierende Berater?

Ganz einfach, sagt Headhunter Dwight Cribb. Die großen Veränderungen unserer Zeit seien allesamt technologisch getrieben – das Internet, das Smartphone, Künstliche Intelligenz. Ohne „digitale Denke“ gebe es keine Innovation – und ohne Innovation keinen Erfolg. „Ein guter Manager muss den Schneeball kommen sehen und abschätzen, ob er die nächste Lawine auslöst“, sagt Cribb. Das sei schwierig, wenn man die Blockchain für einen Zaun rund um ein Wohngebiet hält.

Gleiche Chancen

Die Neuausrichtung zeigt sich auch in den obersten Chefetagen. War früher häufig der Finanzvorstand der Kronprinz, haben Technologiechefs heute gleichermaßen Chancen auf den Spitzenjob. Zum Beispiel bei BASF, wo Chief Technology Officer (CTO) Martin Brudermüller Anfang Mai den Vorstandsvorsitz von Kurt Bock übernimmt. „In den vergangenen 20 Jahren ging es vor allem um Kosteneinsparungen und Ergebnisoptimierung“, sagt Cribb, „heute treiben Innovationen den Unternehmenswert.“

Das wissen auch die Personalverantwortlichen beim Telekommunikationskonzern Telefónica in München. Um Führungskräfte für die Digitalisierung fit zu machen, können sie via Onlinetool ihre eigene Zukunftsfähigkeit einschätzen. Dabei sollen sie unter anderem die Frage beantworten, ob sie schon mal für ein Start-up gearbeitet haben. Für Christian Sekels, Leiter Recruiting und Talentmanagement von Telefónica, ein entscheidendes Kriterium. „Wer schon mal in einem Start-up gearbeitet oder sogar selbst gegründet hat“, meint der 34-Jährige, „hat oft eine ganz andere Einstellung.“ Gründer seien mutig, neugierig, ausgestattet mit Unternehmergeist – genau das, was Telefónica brauche. „Wir wollen Mitarbeiter, die auch links und rechts ihrer Abteilung schauen und zukunftsweisende Ideen entwickeln“, sagt Sekels. Dafür sei es eine gute Voraussetzung, wenn man mal „in einer Dreimannfirma“ gearbeitet habe, wo man für alles gleichermaßen zuständig sei.

Auch Telefónica hat derweil ein eigenes Start-up gegründet – mit Sitz in Berlin, versteht sich. Die Ausgründung soll einerseits Geschäftsmodelle für die Zukunft entwickeln, aber andererseits auch digitale Köpfe der Start-up-Welt anlocken, die eines Tages eine Führungsposition im Konzern übernehmen könnten.

In den USA gibt es die direkte Verbindung vom Start-up in die Chefetage schon länger. Der Finanzchef der Investmentbank Goldman Sachs startete seine Karriere zum Beispiel im Silicon Valley. Der studierte Informatiker Martin Chavez gründete bereits in den Achtzigerjahren ein Software-Start-up, im Jahr 2000 folgte ein zweites.
Und Meg Whitman, frühere Chefin des Druckerherstellers Hewlett-Packard (HP), leitete zwischen 1998 und 2008 die Handelsplattform Ebay und formte aus dem Internetauktionshaus einen internationalen Konzern. Von ihren Start-up-Erfahrungen habe sie auch bei HP profitiert, sagt Whitman gerne – und erzählt die Geschichte, wie Ebay beinahe zufällig zum größten Gebrauchtwagenhändler der Welt wurde. Ein Mitarbeiter sei in ihr Büro gekommen und habe berichtet, dass Kunden Autos auf Ebay verkauften. Whitman beschloss kurzerhand, Gebrauchtwagen eine eigene Kategorie zu geben – und wurde innerhalb von drei Jahren zum größten Automakler der USA.

Ganz anderes Tempo

Schnelle, kundenorientierte Entscheidungen; die Fähigkeit, die analoge mit der digitalen Welt kurzzuschließen; das Bewusstsein für hierarchieoffenes, kreatives Arbeiten; und die Bereitschaft zum prozesshaften Betaversion-Denken – diese Kompetenzen brauchen auch Konzerne. Aber erlernen lassen sie sich leichter in einem agilen Start-up.

Sicher, auch Unternehmensberatungen bieten nach wie vor Einblicke in verschiedene Branchen; zeigen, wie Großunternehmen grundsätzlich funktionieren; und lehren die Consultants die schnelle Analyse und Problemlösung. „Aber das ist nur die Grundausbildung“, sagt Personalberaterin Wolff, also gewissermaßen das Pflichtprogramm, das heute der Kür vorausgeht: „Wer danach erfolgreich ein Start-up mit aufgebaut hat, kann anschließend fast überall arbeiten.“

Das bestätigt Tarek Müller, Geschäftsführer des Onlinemodehändlers About You. Drei bis fünf Jahre in einer Beratung seien Qualifikation genug, um in einem größeren Unternehmen Abteilungsleiter zu werden. „Wer dann noch mal ein paar Jahre Digitalerfahrung im Start-up draufsattelt“, sagt der 29-Jährige, „ist reif fürs Top-Management.“ Bei ihm heuern immer wieder Exberater an, die sich digital weiterbilden wollen.

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Ungenutzte Potenziale erschließenWer das digitale Knowhow seiner jüngeren Mitarbeiter missachtet, verschenkt ungenutzte Potenziale fürs Unternehmen. Digitalisierungsexperte Christian Krause gibt im Fachmagazin Creditreform Tipps, mit denen Chefs dieses Wissen systematisch erschließen können. Quelle: Fotolia
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Eine von ihnen ist Janina Jansen. Die 29-Jährige leitet das neue Cloud-Geschäft von About You, zuvor arbeitete sie bei einer Unternehmensberatung. Warum sie wechselte? „Meine Lernkurve war nach zwei Jahren deutlich flacher“, sagt Jansen. Ihre Grundkenntnisse im Bereich E-Commerce wollte sie vertiefen und das Umfeld eines Start-ups kennenlernen. Und das ist vor allem eins: schnell. „Ich musste lernen, mit einer völlig neuen Geschwindigkeit umzugehen“, sagt Jansen. Bei About You werden Projekte schon vor ihrer Fertigstellung umgesetzt und im laufenden Prozess optimiert. Weil auch Konzerne immer schneller reagieren müssen, adaptieren sie diese Herangehensweise. Dass sie dazu häufig noch die richtigen Leute suchen, merkt Janina Jansen regelmäßig an ihrem vollen Postfach. „Seitdem ich bei About You arbeite“, sagt sie, „erhalte ich von Headhuntern jeden Monat mehrere Anfragen.“

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