Personalberater-Ranking Konzerne? Nix wie weg!

Auf der Suche nach einem tieferen Sinn wechselte Tina Müller kürzlich zum Naturkosmetikhersteller Weleda. Quelle: Laif/Selina Pfrüner

Führungskräfte aus Konzernen sind von jahrelangen Restrukturierungen ermüdet. Ihr Sehnsuchtsort: Familienunternehmen. Sind die Hoffnungen auf mehr Kontinuität und Gestaltungsfreiraum berechtigt?

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Je länger Michael Seddig über das Angebot nachdachte, desto besser gefiel ihm der Gedanke. Seit acht Jahren war der Manager damals, im Juni 2022, bereits beim Autozulieferer Leoni angestellt, eine Stufe unterhalb des Vorstandes. Das Unternehmen mit seinen 100.000 Mitarbeitern ist ein bedeutender Player in der Branche. Warum sollte er wechseln? Und dann noch zu einem deutlich kleineren Arbeitgeber?

Doch da war eben auch noch etwas anderes: Allein in den vergangenen fünf Jahren musste Seddig zwei Restrukturierungen umsetzen. Ob bald die nächste kommen würde? Unklar. Was er aber wusste: Wenn mehrere Reorganisationen nacheinander nötig wären, würden sich in der Belegschaft viele fragen, ob sie von Beginn an richtig durchdacht waren. Logistikexperte Seddig begann abzuwägen.

Klar, Head of Global Value Chain Management, wie sein Posten bei Leoni hieß, hatte immer gut geklungen. Aber die Alternative, bei Lapp, Weltmarktführer für Kabellösungen, Geschäftsführer für die Regionen Lateinamerika, Europa, Naher Osten sowie Afrika zu werden, das klang noch besser. Es versprach mehr Freiräume und die Verantwortung für zwei Drittel des Umsatzes. Das Familienunternehmen, für das ihn die Headhunterin Anke Hoffmann anzuwerben versuchte, gewann in Seddigs Augen immer mehr an Attraktivität – vor allem wegen der „langfristigen Orientierung“, die Personalexpertin Hoffmann immer wieder betonte.

Zur Methode

Hoffnung auf Kontinuität

Beständigkeit statt Quartalsdenke, gesellschaftliche Verantwortung statt Verpflichtung gegenüber renditeorientierten Investoren, danach hatte Seddig gesucht – und wurde schließlich fündig. Und tatsächlich träumen von solch einem Schritt inzwischen immer mehr Konzernmanager, die einen Wechsel zu kleineren Unternehmen früher kategorisch ausgeschlossen hätten. Diesen Trend macht auch Claudia Schmidt, Chefin der Unternehmensberatung Mutaree aus Wiesbaden aus: Führungskräfte aus Großunternehmen erhoffen sich bei unternehmergeführten Firmen mehr Gestaltungsspielraum, selbstbestimmteres Arbeiten, Kontinuität und Verlässlichkeit, beobachtet sie.

Personalberaterin Hoffmann macht dies an der sinkenden Zahl vergeblicher Ansprachen fest. Musste sie für Positionen auf der ersten und zweiten Führungskräfteebene in Familienunternehmen früher 40 bis 50 Manager kontaktieren, ehe einer sich bei einem Kunden auch nur vorstellen wollte, so seien es heute nur noch zehn.

Einer der prominentesten Wechsel dieser Art ist der von Top-Managerin Tina Müller, die nach Stationen bei Konzernen wie Douglas, Opel und Henkel kürzlich zum Naturkosmetikhersteller Weleda ging. Schon vor ihrer Zeit bei Opel, 2014, hatte sie mit einer Ärztin einen Gesundheitsratgeber geschrieben. Ihre Überzeugung, nun in der anthroposophischen Firma Sinnhaftes tun zu wollen, wirkt somit durchaus glaubwürdig. Und der Druck, unter dem sie bei der Parfümeriekette stand, die mehrheitlich im Besitz der Private-Equity-Gesellschaft CVC ist, dürfte diese Überzeugung noch gestärkt haben.

Prestige wird weniger wichtig

Die Headhunterin Angela Westdorf von Signium beobachtet bei Führungskräften zudem, dass diese viel stärker als noch vor ein paar Jahren auf die eigene Gesundheit achten – und sich deshalb für den Schritt zu einem vermeintlich ruhigeren Familienunternehmen entscheiden. „Wer wahnsinnig unter Strom steht, ist wechselwillig“, stellt sie fest. Ihr begegnet immer häufiger eine neue Offenheit: Manche Kandidaten erzählten ihr, dass sie sich umorientieren wollen, weil sie unter einem Burn-out oder Depressionen gelitten hätten.

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Eine Konzernkarriere und das damit verbundene Prestige verlieren so an Bedeutung. Und das Familienunternehmen wird zum Sehnsuchtsort. Und zwar zu einem, der sich im Alltag schnell entzaubern kann. Denn auch in mittelständischen Unternehmen gibt es schließlich Sparrunden. Und auch wenn sich viele inhabergeführte Unternehmen für ihren Verantwortungssinn rühmen: Nicht selten steht dafür ein Patriarch, mit dem die Manager erst einmal klarkommen müssen. Viele, so die Erfahrung von Personalberaterin Westdorf, sind ernüchtert, wenn sie erleben, wo sich der Chef so alles einmischt – und dass ihnen zugesagte Handlungsspielräume dann doch schnell schrumpfen.

Und doch hält sich das Bild von dem kuscheligen Familienunternehmen. Wird nahezu stilisiert, je stärker Manager in der kalten Konzernwelt ächzen. „Die emotionale Belastung durch den Druck der Restrukturierungen auf die Führungskräfte ist hoch“, berichtet Coach Sabine Votteler. „Angefangen vom Widerstand der Mitarbeiter bei Versetzungen bis hin zu neu zugeschnittenen Verantwortungsbereichen – und das alles neben dem fordernden Tagesgeschäft.“ Die Arbeit mit verunsicherten Mitarbeitern ist schon alles andere als einfach. Hinzu kommt: Sich selbst, so Vottelers Beobachtung, empfinden Führungskräfte bei Umstrukturierungen in den Unternehmen oft als Spielball – und bekommen Angst um den eigenen Job.

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„Andere Führungskräfte, die aus Großunternehmen flüchten wollen, ertragen es nicht mehr, dass sie Strategien und Maßnahmen umsetzen müssen, hinter denen sie nicht stehen“, sagt Votteler. Diese Erfahrung machte etwa ein Personalleiter, der vor einem Jahr seinen neuen Posten in der Münchner Niederlassung eines weltweit tätigen Medizindienstleisters aus den USA antrat. Er war hoch motiviert. Doch das änderte sich, als dem Konzern Aufträge wegbrachen – und der Rotstift angesetzt wurde. Sein direkter Vorgesetzter musste gehen, die Zentrale strich die Personalabteilungen anderer Länder. Deren Arbeit sollte der Personalleiter nun mit seinen Mitarbeitern zusätzlich erledigen. Für die ursprünglichen Pläne, Personal aufzubauen, fand er bei seinem neuen Chef kein Gehör. Im Gegenteil, er musste Leute entlassen – und zusehen, wie weitere Mitarbeiter enttäuscht gingen. Auch er klopfte bei Headhunterin Westdorf auf der Suche nach einem neuen Arbeitgeber an, einem, wie er es ausdrückte, „mit den richtigen Werten gegenüber Menschen“, am liebsten: ein Familienunternehmen.

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Spitzengehalt mit Herzinfarkt

Für die Hoffnung auf einen etwas einfacheren Arbeitsalltag, einen, den sie stärker nach den eigenen Vorstellungen gestalten können, sind einige hoch bezahlte Kandidaten mit Jahresgehältern von mehr als 500.000 Euro sogar bereit, weniger Gehalt hinzunehmen, weiß Unternehmensberaterin Schmidt. Und Headhunterin Hoffmann präzisiert: Im Schnitt verzichten diese Manager dann auf zehn oder sogar bis zu zwanzig Prozent. Dahinter, so ihre Überlegung, stecke eine einfache Rechnung: Was hat man von einem Spitzengehalt, wenn man dafür einen Herzinfarkt riskiert?

Ruhiger, sagt Michael Seddig, ist sein Arbeitsalltag nicht geworden, seit er zu Lapp gewechselt ist. Entscheidungen fielen dort sogar doppelt so schnell wie im Konzern. Und doch verliere er nun deutlich weniger Nerven. Denn das Tempo habe einen einfachen Grund: Das Geschäftsführerteam ziehe an einem Strang – und das motiviere auch ihn. „Ich habe den Schritt keine Minute bereut“, sagt der Manager.



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