Greator Festival Funktioniert Coaching auch per Videokonferenz?

Greator Festival in einer Halle Quelle: Presse

Coachinganbieter müssen durch die Pandemie ihr Geschäftsmodell umbauen. Statt auf großen Bühnen die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen, müssen sie über den Bildschirm überzeugen. Der Marktführer Greator versucht sich gerade an einem großen Digitalfestival. Kann das funktionieren?

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Kein Applaus. Keine Jubelrufe. Nur im kleinen Chatfenster erscheinen in schwarzer Schrift auf weißem Grund ein paar Kommentare zum Vortrag. „dankeschön <3“ ist dabei oder auch „Das war kompakt“ oder „Thank You“. Es bleiben die einzigen Indizien, an denen der Zuschauer festmachen kann, dass er nicht ganz alleine ist bei einem Vortrag, den er über Computerbildschirm, Smartphone oder Tablet auf dem Sofa, dem Bett oder am Schreibtisch verfolgt. 

Coachinganbieter wie Greator stellt die Corona-Pandemie derzeit auf eine Probe der ganz eigenen Art. Eigentlich leben sie von Live-Events, Bühnenspektakel und der Interaktion mit Publikum. All das fällt nun flach, ohne aber dass die Nachfrage nach Coaching und Lebensberatung nachlässt. Und so versuchen sie, ihr Geschäftsmodell digital mit Leben zu füllen. Das Greator Festival war in den vergangenen Jahren zum gigantischen Event gewachsen, bei der letzten Show in der Köln Arena trat sogar Ex-US-Präsident Barack Obama auf. Die Ausgabe 2020 läuft gerade, komplett digital. 

Es gibt Interviews, Vorträge, Live-Meditationen. Die Themen reichen von „Das einfachste Geschäftsmodell im Internet“, bis „Märchenhaft selbstbestimmt“ oder „Vorsprung durch Wissen – Mit den Tricks der Gedächtnisweltmeister zum Superhirn“. Soweit ähnelt es dem, was der Zuschauer bei einer Liveveranstaltung von Greator erwarten würde. Die Kölner Firma bietet mit ihrer Plattform nämlich Persönlichkeits- und berufliche Entwicklung sowie Führungskräftetraining an. Soweit die Fakten. Aber wie fühlt es sich an, digital motiviert oder gecoacht zu werden? Kommen die Emotionen an? Oder wirkt alles nur noch albern, was die Menschen bei einer Liveshow in den Bann zu ziehen vermag? 

Kommentierte Powerpoint-Präsentation

Der Greator-Jingle erklingt, eine Stimme aus dem Off begrüßt die Zuschauer mit einem „Good Morning, my name is Ben Greenfield“, der Livestream zeigt eine Powerpoint-Einstiegsfolie. Der Titel in weißer Schrift auf grauem Grund verspricht viel: „The Free Key to Unlocking Your Body’s Energy, Controlling Stress, Enhancing Productivity & More“. Daneben ein Foto von einem Mann, der mit geschlossenen Augen in einer Kupferbadewanne im Freien sitzt.

Ben Greenfield erzählt dann, dass er gerade von einem langen Spaziergang zurückgekehrt ist und dabei 45 Minuten lang Atemübungen gemacht hat. Er macht das fast jeden Tag, berichtet er. Und genau darum wird es in seinem Vortrag gehen: um das Atmen und „wie es dein Leben besser machen kann“. Dann hört das Publikum, wie er geräuschvoll einen Schluck von seinem „wunderbaren, biologischen Kaffee“ nimmt. Sehen wird der Zuschauer ihn jedoch in den dann folgenden 22 Minuten nie – abgesehen von den wenigen Fotos auf den Vortragsfolien.

Nach dem Bild in der Badewanne folgt als nächstes eines, auf dem der Biohacker und Gesundheitsexperte einen Fitnesskurs auf einer Wiese gibt. Es leitet sein Thema „The Power of Breath“ ein. Greenfield erzählt, warum unsere Atmung wichtig ist, dass sie unsere Stimmung und unseren Schlaf beeinflusst.

Deshalb schildert er verschiedene Atemübungen, die helfen sollen, etwa das Stresslevel zu senken. Als erstes demonstriert Greenfield das sogenannte „box breathing“: vier Sekunden lang einatmen, die Luft weitere vier Sekunden halten, über die gleiche Zeitspanne ausatmen und wiederum vier Sekunden die Luft halten. Währenddessen soll sich der Atmende vorstellen, um eine Box oder einen Kasten herumzuwandern. Doch mehr als eine Erklärung und eine Demonstration gibt es nicht. Greenfield fordert seine Zuhörer nicht dazu auf, es ihm gleich zu tun. Der Vortrag animiert höchstens zum Mitschreiben, aber sicher nicht zum Mitmachen. 

Browserprobleme und Instagram-Accounts

Das zeigt sich auch an der Kommunikation, die derweil unter den Zuschauern stattfindet. Im Chat wird über Browserprobleme diskutiert oder Instagram-Accounts werden gepostet, um andere zum Folgen aufzufordern. Eine neue Art des Netzwerkens? Jedenfalls eine neue Art der Unruhe.

Die hätte es wohl auch bei Greenfields nächstem Thema „Tantric Breathwork“ gegeben, hätte er seinen Vortrag in einem Saal vor einem Publikum gehalten. Manch einer hätte gelacht, ein anderer vielleicht mit seinem Nachbarn getuschelt. Greenfield erzählt nämlich wie er es mit einer speziellen Atemtechnik schafft, als Mann multiple Orgasmen zu bekommen. So bleibt es bei Reaktionen im Chat, wie „aha interessant was es alles so gibt“ und „Tantric Breath, the multi orgastic male… wie geil ist das denn“.

Neun Minuten vor dem offiziellen Ende ist Greenfield dann bereits fertig. Der Zuschauer wird automatisch in den anderen Stream geschaltet und bekommt noch die letzten Minuten eines Interviews mit. Als auch das endet, leitet Moderator und Greator-Frontmann Stefan Frädrich zu den nächsten beiden Themen über. Der Zuschauer kann sich zwischen „Beste Balance für den Projekterfolg – mit Tango Argentino“ im blauen Studio und „Der Helden-Key: Helden werden geboren – egal wo!“ im grünen Studio entscheiden. Statt in den anderen Saal zu laufen, reicht nun ein Klick. Es fehlt: Der Blick in andere Gesichter, um wahlweise Begeisterung, Verständnislosigkeit oder gar Belustigung zu teilen. Vom Tantric Breathwork muss sich so jeder alleine erholen. 

Frontaler Blick in die Kamera

Im grünen Studio, wo in der folgenden Session Helden geboren werden sollen, sieht der Zuschauer dann zumindest mal eine echte Person, in diesem Fall heißt die Vortragende Kerstin Gruchala und  steht in einem grauen Raum, links von ihr ein in grün und blau beleuchtetes G, rechts von ihr eine weiße Flipchart. Sie nennt mit ruhiger Stimme den Titel ihres Vortrags und hängt ein „Danke, dass du mir zuhörst“ an.

In den kommenden Minuten erzählt sie dann von ihrer Depression und wie sie die Entscheidung getroffen habe, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Nun will sie dem Zuschauer vier Schlüssel zum selbstbestimmten Leben weitergeben, die ihr geholfen haben: Heldenmut, Erkenntnis, Leichtigkeit und Dankbarkeit. Die Begriffe schreibt sie während des Vortrags untereinander auf das Flipchart, sodass die Anfangsbuchstaben das Wort „Held“ bilden.

Die Inhalte hätte Gruchala so wahrscheinlich auch auf einer Bühne präsentiert. Manche Dinge sind aber dann doch anders. Gedanken, die mancher Zuschauer sonst vielleicht nur geflüstert oder für sich behalten hätte, landen jetzt im Chatkanal: „Könnte schneller reden für meinen Geschmack.“ Und durch Gruchalas Blick in die frontale Kamera fühlt sich jeder Zuschauer nun im Fokus – zumindest so lange die Regie nicht die Kamera und Perspektive wechselt.

Am Ende wird dramatische Musik gespielt, als Gruchala ihren Vortrag mit den Sätzen „Die Schlüssel liegen in deiner Hand“ und „Du wurdest als Held geboren“ beendet. Trotz der fehlenden Saalatmosphäre scheint das einige Zuschauer berührt zu haben. Einer kommentiert „Tränen kamen bei mir hoch“, ein anderer „berührend und mitreißend“.

Meinungsstabile und keine sturen Esel

Was fehlt ist die Chance zur emotionalen Ansteckung. Viele der Kommentare hätten, live von einem Sitznachbarn in einem abgedunkelten Saal gesprochen, vielleicht das Potenzial, aus einem mäßig berührenden Vortrag doch noch ein bewegendes Ereignis zu machen. So aber verdrängt jeder weitere Kommentar unbarmherzig den vorherigen, innerhalb von Sekunden sind persönlichste Bekenntnisse aus dem Lesefenster verschwunden. Und mit ihnen die eigenen Gedanken. 


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Das wird gerade beim Vortrag „Glück ist tierisch“ von Daniela Ben Said offensichtlich. Sie erzählt locker und unterhaltsam von den Tieren auf ihrem Bauernhof, und erklärt, was sich die Zuschauer von ihnen abschauen können. So wie vom Shetlandpony Titus. Der hat laut Ben Said vor nichts und niemandem Angst. „Er weiß nicht, dass er klein ist“, erzählt sie, „Er stellt sich vor die großen Pferde und sagt: ‚Wow, ich weiß zwar nicht, wie ich drankomme, aber ich haue dir einen auf die Schnauze.‘“ Genau so sollten auch die Zuschauer nicht an sich zweifeln.

So folgen noch weitere Beispiele von ehrlichen Eichhörnchen, von der entspannten Schildkröte Morla, die sogar von einem Mitarbeiter ins Studio gebracht wird und von den meinungsstabilen und nicht etwa sturen Eseln Gustav und Horst. Und bei den Zuschauern kommt das Thema gut an. Unzählige Male schreiben sie „haha“, oder „tierisch guter Vortrag“. Und das nicht nur am Ende der Präsentation. Doch was fehlt: die tatsächlichen Lacher und der Applaus nach einer gelungenen Anekdote.

Mehr zum Thema: Greator ist die zentrale Plattform der deutschen Coachingwelt. Doch es gibt Kritik am Geschäftsgebaren.

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