Abstimmung auf Hauptversammlungen Stimmrechtsberater: Die heimliche Macht im Hintergrund

Quelle: Getty Images

ISS und Glass Lewis sagen Großinvestoren, wie sie auf Hauptversammlungen abstimmen sollten. Immer häufiger richten sich die Empfehlungen gegen die Linie der Unternehmen. Vor allem in den USA ernten sie dafür Kritik.

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Für TotalEnergies könnte es am 26. Mai ungemütlich werden. An diesem Tag findet die Hauptversammlung des französischen Öl- und Gaskonzerns statt. Die aktivistische Aktionärsgruppe „Follow This“ aus den Niederlanden will dann beantragen, dass sich das Unternehmen zu strengeren Emissionszielen verpflichtet. Dafür haben sich die Niederländer mit anderen Investoren zusammengetan.

Zwar hat das Zweckbündnis nur einen winzigen Bruchteil der Stimmen. Aber es hat einen mächtigen Verbündeten: den Stimmrechtsberater Institutional Shareholder Services (ISS). Dieser rät anderen Investoren dazu, dem Antrag von „Follow This“ zuzustimmen.

ISS und Konkurrent Glass Lewis sind die heimliche Macht auf Hauptversammlungen rund um den Globus. Ihr Geschäft funktioniert so: Fondsanbieter, Hedgefonds und andere institutionelle Anleger halten Aktien vieler Unternehmen. Weil sie diese Aktien mit dem Geld ihrer Kunden kaufen, üben sie auf Hauptversammlungen das Stimmrecht für sie aus – und zwar auf Hunderten, teils Tausenden Hauptversammlungen jedes Jahr. ISS und Glass Lewis geben solchen Investoren gegen Bezahlung Empfehlungen, wie sie auf den Versammlungen abstimmen sollten.

Taktikspiele zur Hauptversammlung, Superstimmrecht für Gründer, kein Bezug neuer Aktien: Wie Unternehmen Kleinaktionäre abschrecken.
von Julia Groth

Deutsche Börse mischt mit

Die zwei Unternehmen mit Sitz in den USA teilen den Markt für Stimmrechtsberatung praktisch unter sich auf. Beide haben in den vergangenen Jahren in Europa kräftig zugekauft. Mittlerweile haben sie global mehr als 90 Prozent Marktanteil. ISS ist mit Abstand die Nummer Eins und befindet sich seit Ende 2020 mehrheitlich im Besitz der Deutschen Börse. Marktzweiter Glass Lewis gehörte bis vor zwei Jahren einem kanadischen Pensionsfonds und wurde dann von der Beteiligungsgesellschaft Peloton Capital Management und dem kanadischen Investor Stephen Smith übernommen.

Die Eigentümer haben den Unternehmen zufolge keinen Einfluss auf die Inhalte der Stimmrechtsberatung. Politiker haben dabei ebenfalls nichts zu sagen. Sowohl ISS als auch Glass Lewis haben sich strenge Regeln zu Unabhängigkeit und Transparenz auferlegt. Alles andere wäre auch geschäftsschädigend. Dennoch: Der politische Druck auf die Unternehmen steigt – vor allem in den USA, wo die Geldanlage immer stärker politisiert wird.

ISS und Glass Lewis empfehlen ihren Kunden seit einigen Jahren immer häufiger, Anträgen zu Nachhaltigkeitsthemen stattzugeben. Solche Anträge gibt es mittlerweile viele: Aktivisten haben entdeckt, dass sie als Aktionäre mitunter mehr Einfluss nehmen können als mit Protestaktionen. Dass Stimmrechtsberater den Aktivisten teilweise entgegenkommen, gefällt nicht jedem. 

In republikanisch regierten US-Bundesstaaten gibt es regelrechte Abwehrkämpfe gegen nachhaltige Geldanlage. Das bekommen auch ISS und Glass Lewis zu spüren. Zu Jahresbeginn verboten die Gesetzgeber in einigen konservativ geführten Bundesstaaten den staatlichen Pensionsfonds, Nachhaltigkeitsempfehlungen von Stimmrechtsberatern Folge zu leisten.

Konkurrenz vom Anti-Woke-Prinzen

Die Investmentfirma Strive Asset Management gründete zu Jahresbeginn eine eigene Sparte für Stimmrechtsberatung, um den Marktführern von konservativer Seite Konkurrenz zu machen. Strive wurde im vergangenen Jahr von dem Investor Vivek Ramaswamy gegründet. Der fährt einen expliziten Anti-Nachhaltigkeits-Kurs und machte zuletzt von sich reden, weil er als Präsidentschaftskandidat der Republikaner ins Rennen gehen will. Nebenbei will er nun den Markt für Stimmrechtsberatung aufmischen.

Warnungen vor der Marktmacht von ISS und Glass Lewis sind nicht neu. Von Unternehmen gibt es immer wieder harsche Kritik an den Stimmrechtsberatern, vor allem, wenn sie empfehlen, bei einer Hauptversammlung den Vorstand eines Konzerns nicht zu entlasten. Donald Trump hatte während seiner Präsidentschaft unternehmerfreundliche Regeln eingeführt, die die Macht der Stimmrechtsberater beschneiden sollten. Unter seinem Nachfolger Joe Biden drehte die US-Marktaufsicht SEC diese Regeln im vergangenen Jahr wieder zurück.

Dass nun ausgerechnet die Nachhaltigkeitsempfehlungen von ISS und Glass Lewis solche Wellen schlagen, ist eigentlich erstaunlich. Denn Fondsgesellschaften und andere große Investoren leisten diesen Empfehlungen längst nicht immer Folge. Die britische Nichtregierungsorganisation Share Action schaut sich jedes Jahr an, inwiefern große Investmentgesellschaften den Empfehlungen der Stimmrechtsberater zu Nachhaltigkeitskriterien folgen. Das Ergebnis der jüngsten „Voting Matters“-Studie: Im Jahr 2022 stimmten die vier weltgrößten Vermögensverwalter noch weniger Anträgen zu Nachhaltigkeitsthemen zu als im Vorjahr – und 2021 hatten sie sich in dieser Hinsicht schon zurückhaltend gezeigt.

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Die Hauptversammlung von TotalEnergies am 26. Mai könnte einen Hinweis darauf geben, wie mächtig ISS heute wirklich noch ist. Im vergangenen Jahr hatte der Energiekonzern eine Resolution der Aktivisten-Aktionäre von „Follow This“ blockiert, es kam nicht einmal zur Abstimmung. Auch im laufenden Jahr rät Total seinen Aktionären, gegen schärfere Klimaschutzziele für das Unternehmen zu stimmen. Ob der gegenteilige Rat von ISS genug Gewicht hat, damit das Ergebnis diesmal anders ausfällt, wird sich zeigen.

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