
Ich bin ein Börsenmuffel. Wenn ich mich so provokativ vor Interviewpartnern oder Kollegen oute, ernte ich regelmäßig irritierte Blicke. Das ist verständlich, schließlich erwarten Leser von Wirtschaftsjournalisten zu Recht, dass sie sich mit den Hochs und Tiefs der Kapitalmärkte auseinandersetzen und die Fallstricke rund um Leerverkäufe, Kapitalertragsteuern oder Mindesthaltedauern kennen.
Diese Voraussetzungen erfülle ich auch, vielleicht sogar gründlicher als der eine oder andere Börsenenthusiast. Denn Börsenmuffel zu sein, heißt für mich nicht, dass mir egal wäre, was in der Welt der Aktien, Anleihen und Derivate passiert. Im Gegenteil, damit beschäftige ich mich als Diplom-Kaufmann und WirtschaftsWoche-Redakteur stündlich. An Tagen wie diesen, wenn die Kurse plötzlich besonders tief stürzen, sogar minütlich.
Das bedeutet aber nicht, dass ich Tipps parat hätte, welches spezielle Wertpapiergeschäft wann und wie zu einem höheren Gewinn führt, als ein Investment in die Breite des Gesamtmarkts. Wer sich ähnlich einschätzt und sich angesichts dieser Unkenntnis dumm vorkommt, sollte nicht verzweifeln.
Die größten Fehler der Anleger
„Die Neigung, Risiken einzugehen, ist mit zwei demografischen Faktoren verbunden: Geschlecht und Alter. Frauen sind normalerweise vorsichtiger als Männer und ältere Menschen sind weniger bereit, Risiken einzugehen, als jüngere Leute. Die Konsequenzen der Verhaltensökonomik für Anleger sind klar: Wie wir uns bei der Geldanlage entscheiden und wie wir uns bei der Verwaltung unserer Anlage entscheiden, hängt sehr davon ab, wie wir über Geld denken. [...] Sie demonstriert, dass Marktwerte nicht ausschließlich von den gesammelten Informationen bestimmt werden, sondern auch davon, wie menschliche Wesen diese Informationen verarbeiten.“
„An sich ist Zuversicht ja keine schlechte Sache. Aber übertriebene Zuversicht ist etwas ganz anderes, und sie kann besonders im Umgang mit unseren Finanzangelegenheiten Schaden anrichten. Übertrieben zuversichtliche Anleger treffen nicht nur für sich selbst dumme Entscheidungen, sondern diese wirken sich auch sehr stark auf den Mark als Ganzes aus.“
„Menschen [legen] zu viel Wert auf wenige mehr oder wenige zufällige Ereignisse [...] und meinen, sie würden darin einen Trend erkennen. Insbesondere sind Anleger tendenziell auf die neuesten Informationen fixiert, die sie bekommen haben, und ziehen daraus Schlüsse. So wird der letzte Ergebnisbericht in ihrem Denken zum Signal für künftige Gewinne. Und da sie meinen, sie würden etwas sehen, das andere nicht sehen, treffen sie dann aufgrund oberflächlicher Überlegungen schnelle Entscheidungen.“
„Der Schmerz durch einen Verlust [ist] viel größer als die Freude über einen Gewinn. Bei einer 50:50-Wette, bei der die Chancen exakt gleich sind, riskieren die meisten Menschen nur dann etwas, wenn der potenzielle Gewinn doppelt so groß ist wie der potenzielle Verlust. Das nennt man asymmetrische Verlustaversion. [...] Auf den Aktienmarkt bezogen bedeutet dies, dass sich die Menschen beim Verlust von Geld doppelt so schlecht fühlen, wie sie sich gut fühlen, wenn sie einen Gewinn erzielen. Diese Abneigung gegen Verluste macht Anleger übertrieben vorsichtig, und das hat einen hohen Preis. [...] Wir wollen alle glauben, wir hätten gute Entscheidungen getroffen, und deshalb hängen wir zu lange an schlechten Entscheidungen, in der vagen Hoffnung, die Dinge werden sich noch wenden.“
„Wir neigen dazu, das Geld geistig auf verschiedene ‚Konten‘ zu buchen, und dies bestimmt, wie wir es verwenden. [...] Zudem wurde die geistige Buchhaltung als Grund angeführt, weshalb Menschen schlecht laufende Aktien nicht verkaufen: In ihren Augen wird der Verlust erst real, wenn sie ihn realisieren.“
Quelle: Robert G. Hagstrom, „Warren Buffett. Sein Weg. Seine Methode. Seine Strategie.“, Börsenbuchverlag 2011.
Denn das Wissen über das eigene Unwissen schützt davor, sich mit vermeintlichen Anlagestrategien zu verzetteln oder zu ruinieren. Die Kenntnis der eigenen Unkenntnis ist die Voraussetzung für eine ausgeruhte Haltung gegenüber der Börse. Der richtigen Haltung, wie ich finde – auch wenn manche sie als verschlafen bezeichnen.
Kredo: Rationale Untätigkeit
Wer konkrete Anlagetipps sucht und an diese glaubt, braucht nicht weiterzulesen. Wer sich dagegen eine Grundeinstellung zu den Themen Kapitalmärkte und Geldanlage bilden will, könnte hier in aller Kürze den einen oder anderen hilfreichen Hinweis finden. Keine Angst, diese Hinweise kommen nicht alle von mir.
„Rationale Untätigkeit“ ist so ein Kredo, welches nicht von mir stammt, das mir aber im Zusammenhang mit der Debatte über Haussen und Baissen sehr gut gefällt. Dieses Motto ist Titel einer aktuellen Pressemitteilung. In dieser informiert die Frankfurter Goethe-Universität über die Forschungsergebnisse ihres Professors für Altersvorsorge und Portfoliomanagement, Raimond Maurer, gemeinsam mit seinen internationalen Kollegen Hugh Hoikwang Kim (Universität Seoul, Südkorea) und Olivia Mitchell (Universität von Pennsylvania, USA).
Diese Meldung und ihr Titel „Rationale Untätigkeit“ mit Blick auf die private Geldanlage sind der Grund, warum in einer Redaktion von lauter Börsenenthusiasten ausgerechnet ein Börsenmuffel ermuntert wurde, sich um das Thema zu kümmern.
Was Investoren für die lukrativste Geldanlage halten
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragt einmal jährlich im Auftrag von pro aurum die Deutschen nach ihren Anlagestrategien. Hier die Ergebnisse vom Juni 2015 - im Vergleich zu den Vorjahren. Zuerst wurden den Bürgern fünf Geldanlagen genannt, mit der Bitte, anzugeben, welche davon aus ihrer Sicht derzeit am besten als langfristige Geldanlage mit mindestens drei Jahren Laufzeit geeignet ist.
Gold platziert sich zum fünften Mal in Folge an erster Stelle, diesmal allerdings deutlicher vor Aktien, die seit 2011 Zuwächse erzielten, aber aktuell in der Anlegergunst gesunken sind: 30 Prozent der Bürger würden sich heute für Gold entscheiden, weil sie vermuten, dass diese Anlage nach mindestens drei Jahren Laufzeit im Vergleich zu den vier anderen Geldanlagen den meisten Gewinn bringt. Gold konnte somit um zwei Prozentpunkte zulegen.
Nur noch 23 Prozent halten Aktien für besonders lukrativ, wenn es um langfristige Geldanlagen geht. Im Vorjahr hatte dieser Wert mit 27 Prozent offenbar einen Gipfel erreicht.
Es folgen Fondsanteile mit zwölf Prozent. Fonds sind in der Gunst der Anleger wieder leicht gegenüber dem Vorjahr gestiegen. 2013 hatte dieser Wert mit 13 Prozent noch ein Hoch erreicht, war aber 2014 auf elf Prozent zurückgefallen.
Fest- beziehungsweise Termingeld hielten sieben Prozent der Befragten für die lukrativste langfristige Geldanlage. Seit 2011 ist diese Anlageklasse deutlich ins Hintertreffen geraten, damals glaubten noch 22 Prozent der Befragten, Termin- und Festgelder würden auf drei Jahre betrachtet den meisten Gewinn abwerfen.
Drei Prozent nannten Anleihen als aussichtsreichste Anlageklasse, im Vorjahr waren es nur zwei Prozent. Anleihen spielen somit für Privatanleger praktisch keine Rolle. Ernüchternd: Knapp jeder vierte Bürger (24 Prozent) kann nicht sagen, welche dieser Anlagen am besten geeignet wäre, um langfristig möglichst viel Gewinn zu erzielen. Die Angaben "weiß nicht" oder "keine davon" kamen bereits in den Vorjahren ähnlich häufig vor.
Was sonst so passiert, wenn Börsenenthusiasten auf Börsenmuffel treffen, zeigt folgendes Zitat aus einem der stets konstruktiven Streitgespräche, die ich regelmäßig mit einer von mir sehr geschätzten Kollegin führe. „Du bist einfach nur zu faul und zu feige, um richtig zu investieren“, sagte mir neulich diese Kollegin, die es gut mit mir meint und die ich unter anderem wegen ihrer Ehrlichkeit sehr schätze.
Das war vor dem Karnevalskater an der Börse und vielleicht hat die Kollegin mich gar nicht als faul bezeichnet, sondern nur als feige und die Faulheit habe ich mir eingebildet. Das würde ins Bild passen, denn den Vorwurf der Faulheit macht man sich selbst, wenn man Angst hat, etwas zu verpassen.
Bei dem netten Streitgespräch wäre „Rationale Untätigkeit“ eigentlich die sehr viel diplomatischere Formulierung gewesen als „Faulheit“. Doch die Kollegin ist, wie gesagt, ehrlich. Wenn ich demnächst von höflichen aber unehrlichen Menschen als „rational untätig“ bezeichnet werden sollte, wüsste ich genau, was gemeint wäre.
Damit sind wir bei der Psychologie und Psychologie ist Gift fürs Geld. Beispiel gefällig? Oft gab es Situationen, in denen ich mir mit meinem börsentechnischen Nichtstun ausgegrenzt vorkam. Als zu Beginn meines BWL-Studiums der sogenannte Neue Markt mit seinen verheißungsvollen Software- und Biotechnikwerten entstand, gehörte es zum guten Ton, sich dort zu tummeln.