Riedls Dax-Radar
Das Risiko für Kursrückschläge steigt. Quelle: Getty Images

Das Risiko eines neuen Kursrückschlags wird wieder größer

Nach sechs Wochen Kursanstieg wird die Luft für weitere Zugewinne dünner. Industrielle Schwergewichte wie Siemens lasten auf dem Dax; voll im Trend ist dagegen Energieriese RWE. 

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Weil die Inflation in den USA im Juli nur noch um 8,5 Prozent gestiegen ist und damit unter dem Juni-Spitzenwert von 9,1 Prozent lag, haben die Aktienmärkte nach mehrwöchiger Kletterpartie noch einmal Dampf gemacht. Dahinter steht die Hoffnung, dass die Notenbanken angesichts abflauender Inflation und schwächerer Wirtschaft bei ihrer Zinspolitik bald eine neue Wende einleiten könnten – nun wieder in Richtung expansive Geldversorgung der Wirtschaft. 

Besonders bei amerikanischen Technologietiteln kam es deshalb zu einem richtigen Kursfeuerwerk: Seit seinem Tief am 16. Juni (bei 11.128 Punkten) ist der führende Nasdaq-100-Index um 20 Prozent gestiegen. Im Dax, der sein jüngstes Tief am 5. Juli bei 12.401 Punkten erreicht hatte, sind es bisher immerhin noch gut 10 Prozent. Beides schürt die Hoffnung, die seit Januar dieses Jahres anhaltende große Abwärtsbewegung könnte vorbei sein. 

An den Anleihemärkten wird diese Hoffnung nicht geteilt. Zwar sind die Renditen der führenden zehnjährigen US-Staatsanleihen seit der Spitze am 14. Juni bei 3,5 Prozent zwischenzeitlich deutlich gesunken und haben am 1. August mit 2,6 Prozent ein mittelfristiges Tief erreicht, doch gerade nach den jüngsten Inflationszahlen ging es eben nicht mehr weiter nach unten. Im Gegenteil: Mit bis zu 2,9 Prozent am 11. August haben die US-Renditen sogar wieder den höchsten Stand seit der dritten Juli-Woche erreicht. 

Auch die Renditen für Bundesanleihen ziehen wieder an: Allein in diesem Monat sind sie von 0,69 Prozent auf 0,99 Prozent gestiegen. Der Anleiheindex Rex, in dem die Kurse der hierzulande wichtigsten öffentlichen Anleihen stecken, hat den seit Mitte Juni laufenden Aufwärtstrend sogar schon leicht gebrochen. Auch wenn an den Anleihemärkten damit noch lange keine Zinspanik herrscht, signalisieren die Bonds, dass die nachhaltige Aufwärtsbewegung der Renditen, die im Herbst vergangenen Jahres begann, mit großer Wahrscheinlichkeit noch nicht vorbei ist. Und so könnte die US-Notenbank Fed auf ihrer nächsten Sitzung am 21. September die Leitzinsen durchaus wieder deutlich anheben, wahrscheinlich um 0,5 Prozentpunkte. 

Als es letztmals um den großen Richtungsentscheid an den Wertpapiermärkten ging, hatten die Bonds die Nase vorne: Hier kam es schon Ende 2021 zu Schwächeanzeichen und dann zu Verkaufssignalen, während die Aktienmärkte da noch nach oben drängten, bevor auch sie dann Anfang Januar den Bonds nach unten folgten. Aktuell liegen die brisanten Marken für US-Renditen um 3,0 Prozent und für Bund-Renditen zwischen 1,0 bis 1,1 Prozent. Sollten die Renditen kurzfristig wieder über diese Zonen nach oben dringen, könnte dies die nächste Phase im großen Zinsanstieg einleiten. 

Gegenwind für Siemens, RWE unter Strom 

Vor allem der deutsche Aktienmarkt könnte dann erneut unter Druck geraten. Schon die Erholung der vergangenen Wochen fiel im Dax nur halb so stark aus wie bei den führenden amerikanischen Hightechs. Besonders industrielle Schwergewichte im Index haben Probleme. Dies gilt derzeit vor allem für Siemens. Seit Januar hat die Aktie in der Spitze bis zu 40 Prozent verloren. Das geht fast schon in Richtung der Katastrophenverluste im Coronacrash, als die Aktie sich glatt halbierte. 



Siemens hat derzeit zwei besondere Baustellen: Die Verluste der Windkrafttochter Siemens Energy, vor allem wegen anhaltender Schwierigkeiten auf dem spanischen Markt. Dazu kommen die teuren Folgen des Rückzugs aus Russland. Siemens ist hier immerhin schon seit 1851 substanziell vertreten. Die Belastungen aus dem im Frühjahr beschlossenen Abzug sind mittlerweile auf mehr als eine Milliarde Euro angewachsen. 

Auch wenn das klassische Industriegeschäft und die neuen Sparten um Digitalisierung und Automatisierung vergleichsweise gut laufen, bekommt Siemens auch hier die allgemeinen Belastungen zu spüren, vor allem über hohe Kosten für Materialien sowie die Lieferengpässe für elektronische Komponenten. 

Im Frühjahresquartal rutschte Siemens mit 1,5 Milliarden Euro erstmals seit 2010 in die roten Zahlen. Im gesamten Fiskaljahr, das bis Ende September läuft, dürften die 6,2 Milliarden Euro der Vorsaison bei weitem nicht mehr erreicht werden. Die durchschnittlichen Schätzungen der Banken pendeln immer noch um 5,5 Milliarden Euro Nettogewinn. Nachdem Siemens in den ersten neun Monaten der Saison 2021/22 bisher aber nur 1,5 Milliarden Euro erzielt hat, dürfte diese Schätzung kaum noch erreicht werden. Selbst wenn es nicht noch einmal zu teuren Abschreibungen im spanischen Windkraftgeschäft kommt und auch der Rückzug aus Russland keine weiteren, überplanmäßigen Aufwendungen beschert, könnte der Nettogewinn dann eher im Bereich um vier Milliarden Euro liegen. 

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Wer vorsichtig rechnet und für Siemens angesichts der unsicheren allgemeinen Entwicklung eine 15-fache Bewertung ansetzt, käme auf ein Rückschlagrisiko bis auf 60 Milliarden Euro, oder umgerechnet 75 Euro je Aktie. Mit 110 Euro notiert Siemens aktuell deutlich über diesem Niveau. Offensichtlich preist der Markt schon wieder eine Erholung der Gewinne in der Saison 2022/23 ein, die dann womöglich wieder zu einem Nettoergebnis von weit mehr als sechs Milliarden Euro führen sollte. Doch selbst wenn diese Hoffnung aufgeht, dürften Siemens-Aktien angesichts ihrer in den vergangenen Monaten erlittenen, hohen Verluste noch mehrere Monate für eine Kurswende nach oben in Anspruch nehmen. Spielraum für einen tragfähigen Boden könnte der gesamte Kursbereich zwischen 90 und 115 Euro werden. 

Im Gegensatz zu Siemens ein großer Gewinner im aktuellen Umfeld ist Energiekonzern RWE. Die Essener profitieren gleich von mehreren Entwicklungen: Als größter Stromproduzent Europas kommen ihnen massiv erhöhte Strompreise zugute; der Ausbau der Produktion aus erneuerbaren Quellen passt optimal zur politisch forcierten Energiewende; und die Kraftwerkskapazitäten (egal ob mit Gas, Kohle oder Atom betrieben) bekommen durch die aktuelle Versorgungskrise wieder einen neuen, höheren Stellenwert. 

Im ersten Halbjahr erhöhte RWE seinen Nettogewinn (inklusive der Gewinne aus Kohle- und Kernkraftwerken und nach Bereinigungen) von 0,9 auf 1,6 Milliarden Euro. Die von Banken erwarteten 2,0 Milliarden für das Gesamtjahr 2022 sollten damit deutlich übertroffen werden. Das gilt erst recht für die für 2023 bisher nur erwarteten 1,3 Milliarden Euro, weil Banken hier offensichtlich wieder mit wesentlich niedrigeren Strompreisen rechnen. Auch wenn dies keineswegs auszuschließen ist, sind RWE-Aktien mit einem gesamten Börsenwert von 28 Milliarden Euro nach wie vor nicht überbewertet. RWE ist einer der wenigen Titel im Dax, der seinen langjährigen, seit 2016 bestehenden Aufwärtstrend in der aktuellen Krise souverän behauptet. Nachkäufe bei Kursen unter 40 Euro sollten sich lohnen. 

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Fazit für den Dax: Nach fast sechs Wochen Kursanstieg und einem Plus von zehn Prozent wächst die Gefahr einer erneuten Abwärtsbewegung. Vor allem die Bondmärkte signalisieren, dass die Hoffnung auf eine Zinsentspannung verfrüht sein könnte. Zudem sind weder die konjunkturellen noch die geopolitischen Risiken vom Tisch. Zwischen 13.800 und 14.000 Punkten besteht im Dax eine starke Widerstandszone, die sich aus mehreren, mittelfristigen Hoch- und Tiefpunkten sowie dem seit Januar bestehenden Abwärtstrend bildet. Selbst wenn der Dax kurzfristig noch etwas zulegt, wächst das Risiko einer Korrektur. Sie könnte noch im Verlauf des August beginnen und dann im September ihre Dynamik entfalten. Im positiven Szenario kann der Dax dabei die wichtige Untergrenze zwischen 12.800 bis 13.000 Punkten verteidigen und dann im späteren Jahresverlauf durchstarten. Allerdings, ein möglicher Wiederanstieg der Renditen an den Anleihemärkte darf dann nicht zu stark ausfallen. 

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