Riedls Dax-Radar

Der Kampf gegen Inflation ist ein Vorteil für die Börsen

Der Optimismus an den Aktienmärkten ist groß, doch zur Bestätigung der Aufwärtswende ist eine Kurskorrektur notwendig. Und die dürfte bald kommen, spätestens im Januar. Eine Kolumne.

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Die Aussicht auf eine weniger harte Geldpolitik in Amerika hat an den Weltbörsen noch einmal zu einem Kursfeuerwerk geführt. Fed-Chef Jerome Powell hat nach vier Zinserhöhungen von jeweils 0,75 Prozentpunkten nun für Mitte Dezember eine Erhöhung um nur noch 0,50 Prozentpunkte angedeutet. Hintergrund ist eine Inflationsentwicklung in den Vereinigten Staaten, die seit Mitte des Jahres langsam zurückgeht. Der Dow Jones ist deshalb bis auf 34.664 Punkte gestiegen, das ist der höchste Stand seit April; der Dax hat mit 14.593 Punkten bisher sein Hoch vom Juni fast erreicht. An der Technologiebörse Nasdaq kam der Index der 100 führenden Aktien bis in den Bereich um 12.000 Zähler, ist damit also noch weit vom August-Hoch bei 13.667 Punkten entfernt. 

An den Märkten ist die Hoffnung groß, dass mit dem Überschreiten des Inflations-Peaks und einem absehbaren Ende der ungewöhnlich starken Zinsschritte die Börsen wieder in eine langfristige Aufwärtsbewegung übergehen. Damit könnte auch die bisher vielfach übliche Anlagestrategie, an mutmaßlichen Tiefpunkten zu kaufen (buy the dip), wieder aufgehen.

Dem Dax sind in den vergangenen Wochen substanzielle Fortschritte gelungen. Bei 13.300 hat er den seit Januar bestehenden Abwärtstrend gebrochen, dann bei 13.600 die 200-Tagelinie überwunden und schließlich noch das vorangegangene Hoch vom August deutlich übertroffen. Das sind drei klassische Trendwende-Signale, die der Index letztmals in ähnlicher Weise im Frühjahr 2020 gegeben hat, in der Erholung nach dem Coronacrash. Bestätigt wird die positive Richtung des Marktes durch die besonders hohe Aufwärtsdynamik, die der Dax seit Anfang Oktober entwickelt und die ähnlich ausgeprägt ist wie in der ersten Phase der Coronahausse 2020. So gesehen hat der Dax erst einmal die Wende nach oben geschafft.




Dass sich die steile Kletterpartie der vergangenen zwei Monate nahtlos fortsetzt, ist allerdings unwahrscheinlich. Mehr noch: Ob die Aktienmärkte wie in den vergangenen vier Jahrzehnten in ihrer Grundtendenz nur nach oben zeigen, ist gerade in Zeiten hoher Inflationsraten fraglich. Der wichtigste Motor der langen Haussephase von 1982 bis 2022 war der säkulare Rückgang der Zinsen. Die Renditen für zehnjährige US-Staatsanleihen sanken dabei von 16 Prozent auf 0,5 Prozent; die Rendite zehnjähriger Bundespapiere ging von 11 Prozent auf minus 0,7 Prozent zurück.

Ganz anders war die Zinsentwicklung in der langen Phase davor, von 1960 bis 1982. Hier kam es hierzulande zu mehrfachen Schwankungen der Bund-Renditen zwischen sechs und elf Prozent. Analog dazu setzte sich an den Aktienmärkten auch keine grundlegende Aufwärtstendenz durch wie seit 1982, sondern es kam zu zwei Jahrzehnten Schaukelbörse mit mehreren mittelfristigen Auf- und Abwärtsbewegungen.

Inflationsbekämpfung ist von historischer Bedeutung

Sollte sich die Inflation in den nächsten Jahren ähnlich wie in den Siebzigerjahren verfestigen, könnte es auch im Dax wieder zu einer langjährigen Schaukelpartie ohne große Aufwärtstendenz kommen. Und dann würde es eben nicht ausreichen, Aktien einfach an schwachen Tagen zu kaufen, um früher oder später automatisch im Gewinn zu stehen.

Auch deshalb ist die ernsthafte Inflationsbekämpfung durch die Notenbanken für die Wertpapiermärkte von historischer Bedeutung. Wenn es den Notenbanken nicht gelingen sollte, die derzeit ausufernde und immer noch enorm hohe Teuerung wieder eindeutig zurückzuführen, dürfte es bei Anleihen und Aktien schwerlich wieder nachhaltige Aufwärtsbewegungen geben. Auch aus diesem Grund sollten weder die Fed noch die europäische Notenbank EZB in ihrer Bekämpfung der Inflation nachlassen.

Jerome Powell hat mit seiner jüngsten Andeutung einer nun etwas geringerer Zinserhöhung auch nicht einfach den Fuß vom Gas genommen. Powell leitet mit dieser Ankündigung nur die zweite Phase der Zinsstraffungen ein, die – nach den ersten, massiven Erhöhungen – jetzt moderatere Schritte vorsieht. Diese zweite Phase kann durchaus länger dauern, als sich Zinsoptimisten das vorstellen wollen. Und sie kann bei Bedarf letztlich auch zu höheren Renditen führen. Powell warnt deshalb immer wieder vor „Schmerzen“, die deshalb noch auf Wirtschaft und Wertpapiermärkte zukommen dürften.

Grund dafür ist vor allem die verzögerte Wirkung, mit der sich hohe Zinsen in der Realwirtschaft bemerkbar machen. Ob dabei wirklich eine sanfte Landung der Konjunktur gelingt, ist weiterhin offen. Die extrem inverse Zinsstruktur, nach der mittlerweile in Amerika die Renditen für Ausleihungen der Banken über Nacht höher sind als die Renditen für 30-jährige Staatsbonds, ist jedenfalls für 2023 ein sehr ernstes Rezessionssignal. Und ob die Aktienmärkte, die wie der Dow Jones oder der Dax, schon wieder näher an den Rekordkursen von Anfang 2022 sind als an den Tiefpunkten vom Herbst dieses Jahres, das dann klaglos verkraften, darf bezweifelt werden.

Der Dax braucht einen zweiten Tiefpunkt

Die Erholung des Dax in den vergangenen zwei Monaten fiel ähnlich dynamisch aus wie die Phase von Ende März bis Anfang Juni 2020, das Comeback nach dem Coronacrash. Damals kam es im Anschluss an die schnellen Kursgewinne zu einer Schaukelpartie von vier Monaten, die dann noch einmal im Oktober 2020 in einen Kursrutsch mündete. Erst mit dieser nochmaligen Marktbereinigung begann die zweite, nachhaltige Phase der Coronahausse, die schließlich im November 2021 bis Januar 2022 ihren Gipfel erreichte.

Fazit für den Dax: Mit der Ankündigung der zweiten, moderateren Phase der US-Geldpolitik ist die große Angst vor steigenden Zinsen an den Märkten erst einmal gewichen. Die faktische Wirkung des mittlerweile deutlich erhöhten Zinsniveaus wird sich in der Realwirtschaft allerdings erst in den nächsten Monaten richtig zeigen. Die Unsicherheit darüber, wie schwer die Konjunktur dabei nach unten gezogen wird, dürfte an den Aktienmärkten neue Unwägbarkeiten aufkommen lassen.

Vom Saisonmuster sind die Wochen zum Jahresende bis in den Januar hinein in der Regel eine starke Börsenphase. Zudem ist nach der Fed-Sitzung Mitte Dezember erst wieder im Februar mit einer weiteren Zinsentscheidung zu rechnen. Die derzeit robuste Verfassung im Dax spricht ebenfalls dafür, dass der Aktienmarkt seine derzeit positive Grundstimmung bis zum Jahresende retten könnte. Stimmungsindikatoren wie der Fear- and Greedindex haben mittlerweile Jahreshöchststände erreicht; das Angstbarometer VDax ist auf den niedrigsten Stand seit Februar dieses Jahres gesunken. Darin spiegelt sich eine große Portion Optimismus und Sorglosigkeit.

Auch wenn der Dax jetzt nicht automatisch abstürzen muss, wird eine bevorstehende Korrektur immer wahrscheinlicher. Sie könnte ausgelöst werden durch die Fed-Entscheidung Mitte Dezember nach dem klassischen Muster „sell on good news“. Sie könnte aber auch erst im Januar einsetzen, der – im Gegensatz zum saisonal starken Monat Dezember – in der Regel von schwächeren Notierungen gekennzeichnet ist.

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Eine solche Korrektur könnte durchaus mit den positiven Signalen zusammenpassen, die sich der Dax in den vergangenen Wochen erarbeitet hat. Klassische Regel dafür: Nachdem der Dax aktuell im Vergleich zur vorangegangenen Kursspitze vom August ein neues Hoch erreicht hat, bräuchte er für eine Bestätigung der großen Trendwende noch ein erhöhtes Tief. Das bedeutet: Der Dax sollte bei seinem nächsten Abtaucher dann möglichst ein gutes Stück oberhalb des Septembertiefs drehen, das bei 12.000 Punkten lag. Wenn ihm das gelingt, vielleicht im traditionellen Wendemonat März, dann könnte 2023 insgesamt sogar ein richtig gutes Börsenjahr werden.

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