Riedls Dax-Radar
Quelle: dpa Picture-Alliance

Krimi um Volkswagen wird zum Treibsatz für den Dax 

Mitten in der grassierenden Inflationsangst helfen ausgerechnet neue Spannungen zwischen den Großmächten, den Zinsanstieg zu bändigen. Der Dax-Trend zeigt sich so stabil – auch dank des Machtpokers bei einem Autokonzern.

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Bis auf 1,75 Prozent ist die Rendite zehnjähriger US-Anleihen zwischenzeitlich gestiegen; der höchste Stand seit 13 Monaten. Das Niveau der Tiefpunkte von Juli 2016 und September 2019, das zwischen 1,4 und 1,6 Prozent lag, wurde damit übertroffen. Die nächste, große Zielzone dürfte erst wieder im Bereich um 2,0 Prozent liegen. Seit August vergangenen Jahres haben sich die US-Renditen verdreifacht und nun wieder das Niveau aus der Zeit vor Corona erreicht. 

Bill Gross, legendärer Gründer der amerikanischen Vermögensgesellschaft Pimco (die mittlerweile zur Allianz gehört), einer der erfolgreichsten Anleiheinvestoren aller Zeiten, rechnet mittelfristig in den USA mit einem Anstieg der Inflation auf drei bis vier Prozent. Gross war in den vergangenen Wochen short bei US-Anleihen, profitierte also von sinkenden Kursen und steigenden Zinsen. Allerdings, Gross rechnet auch damit, dass zwischenzeitlich Gegenbewegungen möglich sind. 

Die Anzeichen dafür mehren sich. Vor allem ist der Ölpreisanstieg im Bereich um 70 Dollar für die Nordseeölsorte Brent erst einmal zum Stehen gekommen. Die Rückschläge fielen dabei so heftig aus, wie seit fast einem Jahr nicht mehr. Rohöl hat nach der ersten Anstiegsphase von April bis Juni vergangenen Jahres (von 20 auf 40 Dollar) und der nun zweiten Kletterpartie von November bis März (von 35 auf 70 Dollar) eine Entwicklung absolviert, die typisch ist für einen größeren Zyklus – und nach der eine längere Konsolidierung immer wahrscheinlicher wird. Die könnte, ähnlich wie 2019, in der Bandbreite 55 bis 75 Dollar stattfinden. 

Ähnliche Signale kommen auch von anderen Rohstoffkurven. Kupfer hat sich seit dem Coronatief auf fast 10.000 Dollar je Tonne verdoppelt und kühlt sich nun um 9000 Dollar etwas ab. Aluminium pendelt nach einer 50-Prozent-Rally um 2200 Dollar je Tonne, Eisenerz nach einer Verdopplung aktuell um 170 Dollar. Auch bei den Agrarpreisen gibt es ausgeprägte Spitzenbildungen. Die hier wichtigste Kurve, der Weizenpreis, hat im März von 250 auf 220 Euro nachgegeben. 

Bisherige Preistreiber stoßen an Grenzen

Die Entwicklung auf den Rohstoffmärkten signalisiert, dass die Preistreiber der vergangenen Monaten an Grenzen stoßen. Das heißt nicht, dass die großen Trends nun zu Ende sein müssen. Es bedeutet nur, dass der Inflationsdruck kurz- bis mittelfristig wieder etwas nachgeben kann. In Kombination mit den extremen Inflationsängsten, die an den Anleihemärkten zuletzt aufgekommen sind, kann dies kurzfristig sogar zu schnellen und heftigen Gegenbewegungen führen – zu sprunghaften Erholungen bei Anleihekursen und schnellen Zinsrückgängen. 

Ein Auslöser für eine solche Entwicklung zeichnet sich auch schon ab: Die Verschärfung der politischen Großwetterlage, die Anleger mit der Fixierung auf Corona in den vergangenen Wochen kaum noch im Blick hatten. Zudem wurde die Rivalität zwischen den USA und China, um die es nun wieder geht, stets mit Donald Trump assoziiert. Nun zeigt sich, dass sich der Wettlauf der Großmächte unter dem neuen Präsidenten Joe Biden fortsetzt und aktuell sogar an Schärfe gewinnt. Auch gegenüber der dritten der großen Mächte, Russland, wird der Ton rauer. 

Die Verschärfung der internationalen Lage könnte durchaus dazu führen, dass Anleihen der wichtigen Industrieländer von Anlegern wieder als sicherer Hafen entdeckt werden: Und das sind nun mal amerikanische Bonds, Bundesanleihen – und natürlich auch Währungen wie der Schweizer Franken, der nach einer zwischenzeitlichen Schwächephase ebenfalls ein Revival erfahren könnte. 

Politische Spannungen und Poker um VW stützen den Dax

Der Dax hat den hektischen Anstieg der Anleiherenditen in den vergangenen Wochen gut überstanden. Dafür gibt es im wesentlichen drei Gründe: 

Erstens haben im Dax klassische Industriewerte, vor allem aus den Branchen Auto und Chemie, ein sehr hohes Gewicht. Die werden mehr von der Hoffnung auf eine weitere Konjunkturerholung beflügelt als von der Zinsangst gedrückt. Dazu kommen die beiden Versicherer Allianz und Münchener Rück, die von steigenden Zinsen profitieren. 

Zweitens sind die Beteuerungen der Notenbanken, dass sie die Zinsen mittelfristig nicht anheben werden und sogar inflationäre Tendenzen in Kauf nähmen, nicht einfach Schall und Rauch. Mindestens bis 2023, so Fed-Chef Jerome Powell, werde die Null-Zinspolitik in den USA anhalten. In einem wohlwollenden Umfeld würden Anleger ein solches Statement als Freibrief für höhere Kurse ansehen – bei Aktien und Anleihen. 

Drittens gibt es im Dax besondere Entwicklungen, die den Indexverlauf zusätzlich befeuern. Dazu gehört derzeit die bemerkenswerteste Aktie im Dax – und das ist Volkswagen.

In den vergangenen Tagen kam es hier zu einer exzessiven Hausse. Seitdem Volkswagen-Vorzugsaktien, die im Dax notiert sind, ihr bisheriges Hoch um 185 bis 190 Euro hinter sich gelassen haben, sind die Schleusen nach oben durchbrochen. Zu einer regelrechten Kursexplosion kam es bei Volkswagen-Stammaktien, die sich binnen weniger Monate mehr als verdoppelt haben. 

Spannende, hoch volatile Investments

Der massive Anstieg bei VW wurzelt zunächst in der allgemeinen Erholung der zyklischen Aktien und den besonderen Chancen, die sich durch den Umbau in Richtung Elektromobilität in der Autobranche ergeben. Hier ist Volkswagen weltweit der einzige große Autokonzern, der strategisch und substanziell dem Jahrhundert-Protagonisten Tesla wirklich im Nacken ist. 

Es ist alles andere als verwunderlich, dass im Windschatten der extrem hohen Bewertung von Tesla nun auch Volkswagen mitgezogen wird. Gleichzeitig findet eine Relativierung von Tesla statt, der das Alleinstellungsmerkmal des weltweit einzigen großen E-Autoherstellers schrittweise verlieren dürfte. 

Als weiterer Kurstreiber von VW-Aktien kommt die besondere Konstruktion des Volkswagenkonzerns an der Börse hinzu. Sie ist maßgeblich auf den Umbruch in der Finanzkrise vor einem Jahrzehnt zurückzuführen, als das Volkswagen-Imperium durch die Eignerfamilien Porsche und Piëch nach gegenseitigen Attacken neu strukturiert wurde. 

Eine solche epochale Neustrukturierung könnte nun wieder stattfinden – und deshalb sind die Kursausschläge so heftig. Auslöser sind Gedankenspiele um einen Börsengang des Sportwagenherstellers Porsche. Es gibt zwar Porsche-Aktien schon an der Börse, aber das ist nur die Dachgesellschaft, in der die Familien Porsche und Piëch ihre Anteile bündeln, vor allem die Beteiligung an VW. 

Damit den Porsches und Piëchs dabei die Macht nicht aus den Händen gleitet, haben sie die Mehrheit an den VW-Stammaktien fest im Griff, gut 53 Prozent. Dazu kommen weitere Großaktionäre wie das Land Niedersachsen (20 Prozent) und die Scheichs aus Qatar (17 Prozent). Insgesamt ist nicht einmal jede zehnte Volkswagen-Stammaktie in freien Händen. 

Das aber heißt: Die Frage um die Neustrukturierung und die Macht bei Volkswagen entscheidet sich um Aktien, von denen an der Börse Anteile von nicht einmal zehn Milliarden Euro im Umlauf sind. Selbst ein Mini-Daxwert wie Covestro hat einen größeren Streubesitz (Free Float) an der Börse.

Wenn bei einer solchen Aktienstruktur auch nur einige Großanleger zugreifen, sind Kursexzesse programmiert. Und die ziehen dann auch die Vorzugsanteile mit nach oben, weil die bei einer Neustrukturierung natürlich nicht unter den Tisch fallen können. 

Egal, wie sich der Neubau der Börsenstruktur des Volkswagenkonzerns darstellen wird: Dass die Großaktionäre, die heute das Sagen haben, dabei schlecht abschneiden, ist wenig wahrscheinlich. VW-Stämme, VW-Vorzüge und Porsche-SE-Aktien bleiben damit spannende, hochvolatile Investments, auch wenn sie sich nach den jüngsten Exzessen erst einmal abkühlen sollten. Bei VW-Vorzügen könnte es in den Bereich um 200 Euro zurückgehen, bei den Stämme womöglich in Richtung 250 Euro, bei Porsche in die Zone 70 bis 80 Euro. 

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Fazit für die Börsen: Dank seiner zyklischen Aktien hat der Dax den Anstieg auf das Rekordhoch von bisher 14.800 Punkten geschafft. Diese Rally ist zum einen eine Vorwegnahme der weiter anziehenden Konjunktur; zum anderen könnte es auch ein Zeichen dafür sein, dass die zuletzt heftige Inflationsangst an der Börse an Schrecken verliert. Von Öl über Kupfer bis Weizen haben die Notierungen an den internationalen Rohstoffmärkten nach langer Hausse ein hohes Niveau erreicht, auf dem Korrekturen oder Konsolidierungen wahrscheinlicher werden. Dies sollte in den nächsten Wochen Druck von den Anleihemärkten nehmen. Zudem könnten politische Spannungen dazu beitragen, dass die Anleihen führender Industriestaaten wieder als sicherer Hafen eingeschätzt werden; auch das würde den Zinsanstieg erst einmal begrenzen. Der Dax sollte in diesem Umfeld seine Aufwärtstendenz behaupten. Dass er dabei sogar Spielraum bis auf 14.100 Punkte hinab hat, ohne den großen Trend zu verletzen, ist ein guter Puffer für die nächsten Wochen. 

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