Riedls Dax-Radar
Bringt die Zinswende die Erholung zum Absturz? Quelle: Marcel Stahn

Letzte Hoffnung gegen den Zinscrash

Inflationsängste machen Anleger nervös, immer wieder gerät der Dax ins Taumeln. Doch es gibt Hoffnung. Als Retter des Aufschwungs könnten sich vor allem Börsenklassiker erweisen – Allianz, BASF, Daimler und Volkswagen.

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Enttäuschung macht sich breit nach der jüngsten Rede von Jerome Powell, weil der Chef der amerikanischen Notenbank nichts Neues im Kampf gegen Inflation und steigende Zinsen von sich gibt. Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen, derzeit die wichtigste Kurve für die weltweite Börsengemeinde, steigen wieder über die neuralgische Marke von 1,50 Prozent; der Dollar, vor kurzem noch als Absteiger eingestuft, legt plötzlich kräftig zu; und Aktienkurse reihum gehen in die Knie. Ganz besonders an der Technologiebörse Nasdaq mit ihren vielen Wachstumswerten, die in den Zeiten extrem niedriger Zinsen ganz besonders stark gestiegen sind. Jetzt geht die Angst um vor ungebändigter Inflation und rasant steigenden Renditen. 

Dabei hat Powell in seiner jüngsten Erklärung für die Börse kein schlechtes Umfeld beschrieben: Die wirtschaftliche Entwicklung komme voran, sei aber noch weit vom Zustand vor Corona und der angepeilten Vollbeschäftigung entfernt. Inflationäre Tendenzen seien eine vorübergehende Erscheinung und dürften mittelfristig wieder abflauen. Die Notenbank werde deshalb auf absehbare Zeit, also deutlich über 2021 hinaus, an ihrem expansiven Kurs festhalten. 

Die Reaktion der Märkte auf die Rede Powells hat im Grunde weniger mit der Notenbankpolitik oder der wirtschaftlichen Entwicklung selbst zu tun, sondern ist eher ein Zeichen für die Nervosität an den Börsen. Kein Wunder, schließlich haben sich die Notierungen vor allem an der Technologiebörse Nasdaq seit dem Coronatief vor einem Jahr glatt verdoppelt. Das war der stärkste Kursanstieg seit der Startphase der großen Hausse direkt nach der Finanzkrise 2009. Ein solcher Kursanstieg verlangt geradezu nach einer Korrektur – und genau das findet an den Börsen derzeit statt: Eine Abkühlung der zuletzt überhitzten Kursentwicklungen, eine Neukalibrierung des Marktes.

Klassiker wieder gefragt: Versicherer, Autos und Chemie 

Dabei werden keineswegs alle Aktien über einen Kamm geschoren. Vielmehr findet eine Differenzierung statt, bei der sich Anleger und Investoren umpositionieren. Begehrt sind Zinsgewinner: Im Dax profitiert die Allianz davon, dass die immensen Mittel für ihre Kapitalanlage wieder mehr abwerfen. Schon durch das schwierige Coronajahr ist die Allianz vergleichsweise gut gekommen. Jetzt ist die Aktie dank moderater Bewertung und hoher Dividende wieder im Aufwind. Allein in den vergangenen acht Wochen ist der Kurs um gut zehn Prozent gestiegen und dabei erfolgreich über die alte Widerstandszone um 190 Euro geklettert; ein gutes Zeichen für die nächsten Wochen. 

Ähnlich die Münchener Rückversicherung. Sie wird nicht nur von der Zinsentwicklung beflügelt, sondern durch den weltweit steigenden Bedarf an Absicherung. Dank ihres mittlerweile erfolgreichen Ablegers Ergo können die Münchner das sogar in einer Kombination aus Rück- und Erstversicherung bieten. Die im Rückversicherungsgeschäft üblichen, zum Teil hohen Gewinnschwankungen lassen sich damit ausgleichen. Die Münchener haben deshalb 2020 auch deutlich besser abgeschnitten als ihr großer Konkurrent, die Swiss Re. Wenn sich die Aktie kurzfristig weiter über der Schwankungszone bei 240 bis 250 Euro behauptet, sollte der Anstieg auf das letztjährige Hoch um 280 Euro noch in diesem Frühjahr möglich sein. 

Auch klassische Konjunkturwerte sind gefragt. Daimler hat unter den Autoaktien im Dax lange Zeit die Pace gemacht und das Vor-Coronahoch schon übertroffen. Nun arbeitet sich BMW durch die Widerstandszone um 75 Euro. Aktueller Star der Branche ist Volkswagen. Hier stimmt die starke operative Erholung, zudem kommt VW in der E-Mobilität strategisch und mit realen Verkaufszahlen richtig voran. 

Zusätzlich motiviert der mögliche Börsengang der Sportwagenmarke Porsche die Anleger. Wenn die VW-Manager hier auf die Bremse treten und ein solches Vorhaben womöglich erst für nächstes Jahr in Aussicht stellen, ist das für die Börse nicht schlecht, im Gegenteil: Es hält die Erwartung der Investoren auf zweistelligen Milliardeneinnahmen am Glimmen. Vorfreude auf zukünftige Gewinne, im Fachjargon Antizipation genannt, ist an der Börse immer noch der beste Treibstoff für die Kurse. 

Neben den Autos zündet es auch in der Chemie. Kunststoff-Spezialist Covestro hat sich schon mehr als verdoppelt. Die Unternehmensziele wurden hochgeschraubt, die Bewertung ist nicht überzogen, der Aufwärtstrend makellos. Jetzt legt auch die für den Dax viel wichtigere weil viel schwerere BASF dynamisch los. Monatelang ist darüber spekuliert worden, ob die Ludwigshafener ihr Dividendenversprechen halten können. Das tun sie, auch wenn sie es zum Teil aus der Substanz finanzieren – weil sie eben die Aussicht auf ein wesentlich stärkeres Jahr 2021 haben. Mit dem Anstieg über 58 Euro gab die Aktie ein wichtiges Kaufsignal. Im Bereich zwischen 70 und 75 Euro ist eine vorübergehende Korrektur möglich. Die aber dürfte den Trend nicht beenden, sondern sollte Zwischenstation sein bis zum langfristigen Ziel bei 80 bis 90 Euro. 

Software, Immobilien und Gesundheit im Schatten

Schwache Performer gibt es im Dax natürlich durchaus. SAP ist bisher nur mühsam über die Marke von 100 Euro gekommen. Das Unternehmen leidet stärker unter Corona als erwartet, Kunden berichten über technische Probleme, hohe Übernahmeprämien (Goodwill) lasten auf der Bilanz. Sollte die Aktie sogar im Zuge einer allgemeinen Marktschwäche unter 90 Euro rutschen, wäre das ein gefährliches Verkaufssignal. 

Kräftig unter Druck geraten sind die Immobilienaktien Vonovia und Deutsche Wohnen. Eine schnelle Wiederaufnahme des alten Trends ist im Zuge der Zinsunsicherheit wenig wahrscheinlich. Fresenius und FMC leiden unter hohen Zusatzkosten wegen Corona. E.On konnte die Hoffnungen auf das sichere und lukrative Netzgeschäft bisher nicht wie erwartet erfüllen. Henkel ist zuletzt wieder abgekippt, obwohl das Unternehmen nach dem schwächeren Coronajahr für 2021 wieder mehr Wachstum verspricht. Immerhin, im Bereich um 80 Euro könnte die Aktie wieder Tritt fassen. 

Fazit für den Dax: Der robuste Zinsanstieg an den Anleihemärkten hat den Markt im Griff. Bisher ist es dabei aber noch nicht zu einer generellen Baisse gekommen, sondern zu Umschichtungen – vor allem von Technologiewerten zu Versicherern, Autos und zur Chemie. Wenn der Zinsanstieg nicht doch noch eskaliert (also wenn die zehnjährigen US-Renditen noch über 1,60 oder 1,70 Prozent klettern sollten), dürfte es bei einer solchen Neuorientierung des Marktes bleiben. 

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Zu viel sollte der Dax in einem solchen Szenario aber nicht an Boden verlieren. Ein erstes Warnsignal wäre ein Unterschreiten der Marke von 13.800 Punkten auf Schlusskursbasis. Bei 13.700 Punkten verläuft der Trend der Tiefspitzen seit Dezember, bei 13.400 Punkten lag das Korrekturtief Ende Januar. Etwas darunter liegt die 200 Tagelinie, die aktuell bei 13.030 verläuft und in einigen Wochen den Bereich 13.200 bis 13.300 Punkte erreichen dürfte. Bis in diese Kurszone reicht der maximale Spielraum, der zum Szenario der Umorientierung im Dax passt. Sollten die Verluste – wider Erwarten – doch größer ausfallen, wird es mit einer Marktkorrektur von wenigen Wochen dann nicht mehr getan sein. 

Mehr zum Thema: Rohstoffe werden auf breiter Front teurer. Das dürfte der Start eines neuen Trends sein – der auch die Inflation befeuert. Anleger können daran verdienen.

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