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Der neue Pragmatismus in Großbritannien

Unter Premierminister Rishi Sunak könnte Großbritannien eine Reihe von Problemen ganz pragmatisch angehen. Für die Londoner Börse könnte das weiteres Kurspotenzial eröffnen. Eine Kolumne.

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Und dann ging auf einmal alles relativ schnell. Am 27. Februar traten der britische Premierminister Rishi Sunak und die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen vor die Kameras und verkündeten das Ende des Zoll- und Handelsstreits um Nordirland zwischen Großbritannien und der Europäischen Union (EU).

Kern des bisherigen Problems, um eine hart kontrollierte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland zu verhindern, musste der Status Nordirlands geklärt werden. Die nun ausgehandelte Einigung sieht vor, dass Nordirland faktisch Teil des EU-Binnenmarktes bleibt, Zoll- und Handelsvorschriften zwischen Nordirland und Großbritannien aber mit Einverständnis der EU sehr locker gehandhabt werden.

Als Sunak und von der Leyen den Deal verkündeten, beendete sie damit einen seit rund drei Jahren schwelenden Streit. Ein Streit, der unter Sunaks Vorgänger Boris Johnson unlösbar schien – nun aber, mit Sunak an der Spitze, ein pragmatisches Ende fand.

Lösungen für mehr Wachstum müssen her

Und pragmatisch könnte es weitergehen. Sunak kämpft nämlich gegen eine ganze Reihe an Problemen in seinem Land an, die schnellstens einer Lösung bedürfen. Denn seit Austritt Großbritanniens aus der EU droht das Land an chronischer Wachstumsermüdung zu erkranken. Während 2021 und 2022 noch ganz im Zeichen der Coronapandemie standen und nur ein verzehrtes Bild liefern, könnten im laufenden und im kommenden Jahr die negativen Folgen des Brexit voll durchschlagen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet zum Beispiel für 2024 nur noch ein Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent – und das wäre das schwächste Wachstum aller G7-Staaten.

Vor allem der Mangel an Arbeitskräften und zurückgehende Ausfuhren aufgrund von Handelsvorschriften mit der EU kosten das Land wichtige Wachstumspunkte. Das weiß auch Sunak, der nun den Spagat zwischen Brexit und der Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen mit der EU schaffen muss. Vor diesem Hintergrund muss auch die nun erfolgte Einigung mit der EU über den Handel mit Nordirland gesehen werden. Vielen Briten, vor allem konservativen, dürfte der Deal nicht schmecken, stellt er doch indirekt den Status Nordirlands als Teil Großbritanniens in Frage. Doch Sunak muss Lösungen liefern, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, ansonsten droht eine erneute Regierungskrise.

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Und die Börse in London? Die scheint derzeit ein Eigenleben zu führen. Allen Problemen zum Trotz, sie steigt. Der Leitindex FTSE 100 notiert bei rund 8000 Punkten und damit auf Allzeithoch. Das ist beachtlich, hat aber einen ganz pragmatischen Grund: die hohe Gewichtung von Energie/Rohstoff- und Finanztiteln. Über die Hälfte der Indexgewichtung machen Unternehmen aus diesen beiden Branchen aus.

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Und die konnten in den zurückliegenden Wochen und Monaten besonders vom makroökonomischen Umfeld profitieren. Die Energie- und Rohstoffkonzerne, weil der Krieg in der Ukraine die Energie- und Rohstoffpreise nach oben schnellen ließ; die Finanztitel, weil Banken und Versicherungen von steigenden Zinsen profitieren, die auch in Großbritannien ein Thema sind. Verstärkt wurde der Effekt aus steigenden Energie-/Rohstoffpreisen und steigenden Zinsen noch durch den Umstand, dass das Britische Pfund abwertete. Da viele britische Unternehmen stark im Ausland engagiert sind, konnten sie von der Abwertung zusätzlich profitieren, weil sie ihre Produkte in der jeweiligen ausländischen Währung billiger anbieten konnten.

Doch der skizzierte Erfolgsmix für die Londoner Börse sieht nicht nachhaltig aus. Die Energie- und Rohstoffpreise könnten ihren Höhepunkt überschritten haben, die Zinsen werden angesichts des schwachen Wachstums eher stagnieren, und die Abwertung des Pfunds – nun, Währungsabwertungen mögen hilfreich sein, zeugen aber nicht von einer starken Wirtschaft. Die zieht tendenziell Kapital an und lässt Währungen aufwerten.

Was dennoch für die Londoner Börse spricht, ist der Pragmatismus des britischen Premierministers Sunak. Sollte er ähnlich erfolgreich die Probleme anpacken, die Großbritannien belasten, wie er dies nun mit dem Abkommen mit der EU über die Handelsbeziehungen mit Nordirland getan hat, könnte die britische Wirtschaft ihr Comeback erleben und die Börse weiter anschieben. Zudem: Trotz Rekordhoch beim FTSE 100 sind viele im Index gelisteten Unternehmen nicht zu hoch bewertet. Mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV) häufig im einstelligen Bereich und Dividendenrenditen zwischen zwei und vier Prozent bietet der britische Aktienmarkt durchaus Chancen. Mit einem ETF auf FTSE 100 können interessierte Anleger an dieser Entwicklung partizipieren.

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Nach der Verkündung des Deals zwischen Großbritannien und der EU besuchte von der Leyen übrigens noch schnell „King Charles“. Der hat zwar mit der Tagespolitik nicht so viel zu tun, gilt vielen Briten aber immer noch als wichtige Instanz. Ihn ins Boot zu holen, um die Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU zu verbessern, ist taktisch klug. Kritiker warfen Sunak daraufhin vor, den König für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Doch der wiegelte nur lächelnd ab und verwies darauf, dass das ja wohl Sache des Königs sei, wen er empfangen würde. Recht hat er, der Herr Premierminister, doch so ein königlicher Segen ist schon was wert, wenn es um pragmatische Lösungen geht.

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